In einem streng patriarchalischen Land wie dem Iran sind Informationen über den eigenen Körper für Frauen nur schwer zugänglich. Zudem sind Iranerinnen durch das geltende Scharia-Recht vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie dürfen nicht ohne Erlaubnis eines männlichen Vormunds reisen oder einen Pass beantragen, noch dürfen sie bestimmte Berufe wie das Richteramt ausüben oder sich ohne triftigen Grund und Beweise scheiden lassen. Auch häusliche und sexuelle Gewalt des Ehemanns gegen die Frau ist im Iran weitgehend erlaubt.
Durch diese vielseitigen Einschränkungen der eigenen Rechte fehlt es jungen Frauen und Mädchen an Möglichkeiten, sich über Verhütung, Familienplanung und die Periode zu informieren und auszutauschen. Die Feministin und Aktivistin Soudeh Rad möchte dies mit der App “Hamdam” – übersetzt soviel wie “gute Freundin” – ändern.
Bei der Entwicklung der App musste aufgrund der vielen Restriktionen im Iran einiges beachtet werden. So verzichteten die Entwickler*innen in ihrer App komplett auf Fotos, um die iranische Kultur zu wahren und um Eltern von der Kindertauglichkeit der App zu überzeugen.
Zudem vermeidet die App die explizite Nennung von Wörtern wie “Feminismus”, “Sexualität” und “Frauenrechte”. Um dennoch über diese Dinge aufklären zu können, hat “Hamdam” einen cleveren Weg gefunden: Getarnt als Menstruationskalender stellt sie ein vielseitiges Informationsportal für Frauen dar, die mehr über ihren Körper und ihre Rechte erfahren möchten.
Die Aktivistin Rad ist Gründerin der Plattform "Feminist Spectrum", einer Beratungsstelle für Iranerinnen zu ihren Rechten. In Kooperation mit dem Entwicklerteam für soziale App-Dienste IranCubator hat sie “Hamdam” 2017 ins Leben gerufen. Bereits sechs Monate nach Veröffentlichung wurde die App im Iran über 165.000 Mal heruntergeladen. Zudem kann die App auch offline benutzt werden. Damit möchten die Entwickler*innen sicherstellen, dass auch Frauen in ländlichen Gemeinden oder ohne direkte Netzanbindung Zugriff haben.
Die Nutzer*innen von “Hamdam” können über die Kalenderfunktion zunächst ihre Periode festhalten und so ihre fruchtbaren und unfruchtbaren Tage ermitteln. Über Untermenüs gelangen sie dann zu weiterführenden Informationen zu beispielsweise übertragbaren Geschlechtskrankheiten, Verhütung und Brustkrebsvorsorge.
Neben sexueller Gesundheit klärt die App aber auch über Eheverträge, das Scheidungsrecht und über häusliche Gewalt auf. Dadurch sollen Frauen ermutigt werden, zu reagieren und sich zu wehren, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist.
Dadurch bricht “Hamdam” im Iran mit mehreren Taboos gleichzeitig. Die Entwicklerin Soudeh Rad betont den emanzipatorischen Ansatz der App: "Das Recht, die Kontrolle über den eigenen Körper zu haben, ist universell", sagt sie in einem Interview mit der News-Plattform Bento. "Ich will dabei helfen, dass das auch iranische Frauen wissen."
Nicht nur im Iran warten Frauen und Mädchen darauf, in ihrer Familienplanung und in ihren Rechten gestärkt zu werden. Weltweit gibt es fast 232 Millionen Frauen, denen es ähnlich geht.
Die Folgen dieses Mangels an reproduktiver Gesundheitsvorsorge und sexueller Selbstbestimmung sind vielfältig. So können Mädchen oft die Schule nicht besuchen, wenn sie ihre Periode haben, da ihnen der Zugang zu den einfachsten Hygieneartikeln fehlt. Ohne Aufklärung über Geschlechtskrankheiten und dem Zugang zu Verhütungsmitteln sind sie hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt und können ihr Leben nicht selbstbestimmt planen.
Um das zu ändern, müssen Bevölkerungsprogramme wie der Fonds der Vereinten Nationen (UNFPA) weiterhin von Regierungen weltweit finanziell unterstützt werden.