Jedes Jahr werden in Indien 11 Millionen Babys neben Eisenbahnlinien, auf Mülldeponien oder an Bushaltestellen ausgesetzt. Ob sie überleben, ist reine Glückssache.
90% dieser ausgesetzten Säuglinge sind Mädchen.
Ein neues Programm im Bundesstaat Rajasthan, in dem die zweithöchste Aussetzungsrate im ganzen Land herrscht, will jetzt dagegen vorgehen.
Denn bisher wurden in dem Staat pro Jahr rund 100 Babys ausgesetzt.
Laut dem Nachrichtensender Al Jazeera haben Gesundheitshelfer in ganz Rajasthan daher 67 Babystationen - bei uns auch als 'Babyklappen' bekannt - vor Krankenhäusern, medizinischen Fakultäten und Adoptionsstellen eingerichtet. Eltern können hier ihre Neugeborenen mit dem Gewissen, dass man sich um das Baby kümmern wird, anonym hineinlegen.
Dank dem neuen Programm mit dem Namen „Ashray Palna Yojana” konnten in den ersten 10 Monaten seines Bestehens bereits 20 Kinder - darunter überwiegend Mädchen - gerettet werden. Die Initiatoren hoffen, dass dies erst der Anfang der Kampagne ist und viele weitere Babys so vor dem Tod gerettet werden können.
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Ähnlich wie in Deutschland haben die meisten Babystationen in Indien zwei Klappen: die eine Klappe erlaubt den Eltern, das Baby von der Straßenseite aus in die Wiege zu legen, die andere lässt sich auf der Seite der medizinischen Einrichtung öffnen.
Damit die Anonymität der Eltern gewahrt bleibt, sind die Babystationen mit einem zeitverzögerten Alarm ausgestattet. Sobald sich ein Baby in der Klappe befindet, werden erst knapp drei Minuten später Mitarbeiter alarmiert.
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Die Säuglinge werden als allererstes medizinisch versorgt. Danach treten die Einrichtungen laut Bericht mit verschiedenen Adoptionsstellen in Kontakt, um für die Kinder so schnell wie möglich ein neues Zuhause zu finden.
„Das Hauptziel des Programms ist es, das Überleben der Neugeborenen, die sonst von ihren Eltern in eine Mülltonne geschmissen oder einfach neben der Straße ausgesetzt worden wären, zu garantieren. Meistens handelt es sich dabei um Mädchen”, sagte der medizinische Berater Devendra Agrawal, der bei der Entwicklung des Programms half, gegenüber Al Jazeera.
Mädchen, die in arme Familien hineingeboren werden, werden laut Bericht wesentlich häufiger ausgesetzt als Jungen. Denn Mädchen werden als großer Kostenfaktor gesehen, weil die Eltern bei der Heirat der Tochter die Aussteuer zahlen müssen - auch wenn das nach indischem Recht schon längst verboten ist.
Laut Al Jazeera wurden seit Einführung der Babystationen vor einem guten Jahr bereits 20 Kinder darin abgelegt. Von diesen 20 Kindern waren 12 Mädchen.
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Damit die Eltern auch wirklich die Babyklappen nutzen, statt ihre Säuglinge einfach auszusetzen, haben diese noch einen weiteren Clou: Eltern, die die Babystation nutzen, umgehen für die ansonsten illegale Aussetzung des Kindes eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.
„Wir richten uns an die Gesellschaft und sagen: ‚Wenn ihr ein Mädchen zur Welt bringt, bittet tötet es nicht - wir werden uns um sie kümmern‘, sagt Agrawal. „Wir kümmern uns nicht darum, wer die Eltern des Kindes sind - gerade dadurch zeichnet sich unser Programm aus. Denn, wenn wir das versuchen würden, würden die Eltern ihre Babys nicht mehr bei uns abgeben wollen.”
Agrawal verdeutlichte allerdings auch, dass das Programm nur eine „vorübergehende Lösung” sein kann, um die Leben der Kinder zu retten. Die Regierung habe daher auch schon mit anderen Projekten begonnen. Einige davon wollen vor allem intensiv daran arbeiten, dass sich das Ansehen eines Mädchens in der Gesellschaft zum positiven ändert und Mädchen dadurch erst gar nicht ausgesetzt werden.
In der Zwischenzeit aber soll das Babystationen-Programm die Eltern davon überzeugen, ihre Kinder anonym zur Adoption freizugeben, um ihnen so das Leben zu schenken.
„Wir können nicht darauf warten, bis sich die Einstellung gegenüber Mädchen ändert. Sie müssen jetzt gerettet werden”, sagt Agrawal.