In Deutschland eine Ausbildung zu finden, ist für Geflüchtete besonders schwierig. Eigentlich paradox: Denn allein in der Gastronomie werden rund 20.000 angehende Köche gesucht. Das muss nicht sein, finden die Gastrolotsen und gründeten ein Projekt, das Geflüchtete hinter den Herd bringt.

‚Herzoginkartoffeln' steht auf dem Flipchart, daneben eine Zeichnung, die aussieht wie ein gelber Hundehaufen. Zabi legt die Stirn in Falten. Von dieser Kartoffelvariante hat er in seinem Leben noch nicht gehört. Trotzdem schreibt er fleißig die Zutatenliste ab: Kartoffeln, Mehl, Eier, Muskat, Salz. Es dauert etwas, bis er die Worte in sein Notizheft geschrieben hat. Denn nicht nur Herzoginkartoffeln sind für Zabi neu: Auch die Sprache, die Schrift und die deutsche Pünktlichkeit. Zabi ist 27 Jahre alt und kommt aus Afghanistan. Zum ersten Mal stampft er heute Kartoffeln: „Da wo ich herkomme, pressen wir Kartoffeln nicht, sondern braten sie nur.“

Philip heißt der Mann, der vorne am Flipchart steht, in schwarzer Kochschürze und Mütze. Er versucht Zabi und seinen Kollegen, einer Gruppe junger Männer in weißen Schürzen, die Begriffe zu erklären. Dafür wedelt Philip mal eine Muskatnuss durch die Luft oder reibt Zeigefinger und Daumen aneinander, um zu erklären, was „eine Prise“ Salz bedeutet. Zabi beurteilt die Herzoginkartoffeln derweilen mit einem „schmeckt okay“, womit Philip noch nicht ganz zufrieden ist. „Etwas mehr Muskat“, ordnet er an.

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Zabi beim Zubereiten von Nudelteig. Foto: Gastrolotsen.

Philip, 30 Jahre alt, ist gelernter Systemgastronom. Seit er bei der „Refugee Canteen“ arbeitet, sei er allerdings eher „ein bisschen Koch und ein bisschen Deutschlehrer“ – aber vor allem ein Coach, der es seinen Schützlingen ermöglichen will, eine Perspektive in Deutschland zu haben. Sein Ziel: Den 14 Geflüchteten alle Grundkenntnisse mitzugeben, damit sie eine Ausbildung als Koch beginnen können. Sie sollen keine Hilfsarbeiter werden, sondern einen festen Job finden: „In einem stockdunklen Raum zu stehen und Geschirr zu spülen, das können sie auch ohne uns“, sagt Philip.

Sieben Wochen kochen die Teilnehmer in der „Refugee Canteen“, bevor sie für ein Praktikum in einem laufenden Betrieb gehen. Es war Benjamin Jürgens, der die Idee zu diesem Projekt hatte: Ein junger Mann, aufgewachsen im Hamburger Problembezirk Mümmelmannsberg, mit einer turbulenten Jugend. Als 17-Jähriger fand er den Absprung und landete „mit ein bisschen Glück“, wie er sagt, in der Gastronomie. Er wollte einen Ort schaffen, an dem Geflüchtete auf einen Ausbildungsplatz vorbereitet werden.

Foto: Gastrolotsen

Foto: Gastrolotsen

Gemeinsam mit einer Freundin, Hannah Hillebrand, gründete er die Gastrolotsen und startete die Akademie „Refugee Canteen“. „Die Akademie ist quasi eine berufliche Vorschule – ein geschützter Raum in dem Geflüchtete, Geringqualifizierte und Jugendliche, die in Deutschland Startschwierigkeiten haben, bei uns in der Küche die Grundlagen für einen erfolgreichen Weg in die Gastronomie- und Hotellerie lernen“, sagt Hannah.

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Besonders für Afghanen ist es in Deutschland derzeit schwer, Integrationsmaßnahmen zu finden, die ihnen finanziert werden. Denn kaum einer weiß, wie lange sie noch in Deutschland bleiben dürfen. Politiker streiten seit Monaten darüber, ob Abschiebungen nach Afghanistan nun richtig oder falsch sind, während die Geflüchteten mit einem diffusen Gefühl aus Hoffen und Bangen alleingelassen werden.

Hannah weiß, dass die Jungs beschäftigt, was früher war und heute noch ist – ihre Flucht, das Asylverfahren, die Probleme, eine Wohnung zu finden. Sie kommen aus Afghanistan, Niger oder Ägypten. Viele hatten Schwierigkeiten in der Schule. Manche von ihnen sind Analphabeten. „Doch wenn sie hier über die Schwelle gehen, sind alle gleich”, sagt Hannah.

Am Ende eines jeden Arbeitstags sitzen die Teilnehmer zusammen und essen ihre eigenen Kreationen. Zabi isst einen großen Berg Karottengemüse und fast ein Dutzend Herzoginkartoffeln. Sie scheinen ihm zu schmecken.

Editorial

Gerechtigkeit fordern

In der „Refugee Canteen” macht Übung den (Küchen-)Meister

Ein Beitrag von Jana Sepehr