Mit sage und schreibe 23 Messerstichen wurde Jurastudentin Khadija Siddiqi aus Pakistan am 3. Mai 2016 von einem Kommilitonen auf offener Straße niedergestochen.

Wie durch ein Wunder überlebte sie die Attacke.

Und entgegen aller Erwartungen nahm die junge Frau in einem Land, in dem Gewalt gegen Frauen quasi zum Alltag gehört, all ihren Mut zusammen, und sprach sich gegen ihren Angreifer aus, um ihn für seine Tat hinter Gittern zu bringen.

Siddiqi war 21 Jahre alt, als sie von einem ehemaligen Kollegen, mit dem sie sich zuvor zerstritten hatte, brutal angegriffen und danach einfach auf der Straße liegen gelassen wurde. Kurz vor der Attacke hatte Siddiqi gerade ihre jüngere Schwester von der Schule abgeholt.

„Dieser Mann drückte mich gegen ein Auto und fing an, auf mich einzustechen“, sagte Siddiqi gegenüber NPR. „Ich dachte: ‘Jetzt ist mein Leben vorbei’, weil er einfach immer weiter machte. Alles war voller Blut.“

Siddiqis jüngere Schwester wollte um Hilfe rufen, doch wurde dabei in den Rücken gestochen.

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Der Täter stach insgesamt 23 Mal auf Siddiqi ein. Sie erinnert sich daran, wie sie leblos auf der Straße lag und die Männer um sie herum glaubten, dass sie tot sei.

„Es war absolut grausam”, sagt Siddiqi in einem Interview mit der Zeitschrift The Nation.

Siddiqis Genesung grenzte an ein Wunder. Doch ein viel größeres Wunder war es, dass ihr Täter tatsächlich verurteilt wurde. Denn obwohl der Name des Angreifers von Anfang an bekannt war, war es ein langer und harter Weg bis zur Verurteilung.

Wie sich herausstellte, war der Täter der Sohn eines lokal bekannten Anwalts. Dieser Umstand machte es umso schwieriger, den jungen Mann zu verurteilen, zusätzlich zu der Tatsache, dass Frauen in einem Land wie Pakistan sowieso schon häufig diskriminiert werden, wenn sie für ihre Rechte einstehen wollen.

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Auch Siddiqis Anwalt, Salman Safdar, sagte gegenüber dem Online-Magazin The Diplomat, dass Siddiqis Fall wenig Hoffnung auf einen Erfolg machte: „Die Tatsache, dass der Vater des Täters ein führender Anwalt war, machte eine Verurteilung fast unmöglich.”

Nur vier Monate nach dem Angriff wurde Siddiqis Angreifer bereits gegen Kaution freigelassen. Ein entsprechendes Gerichtsverfahren wurde Woche um Woche verzögert. Es schien, dass sein Familienstatus ihm dabei helfen würde, einer Verurteilung zu umgehen. Und so hätte es auch kommen können, wenn Siddiqi und ihr Anwalt nicht einen durchaus riskanten Schritt gewagt hätten.

Siddiqi und ihr Anwalt entschieden sich dazu, Fotos von Siddiqis Verletzungen sowie Fotos vom Täter auf sozialen Netzwerken zu veröffentlichen und den Täter somit öffentlich anzuprangern. Die Nachrichten versahen sie mit dem Hashtag #KhadijaTheFighter.

Der Plan schien aufzugehen: Innerhalb kürzester Zeit schenkte das ganze Land dem Fall Aufmerksamkeit. Und innerhalb eines Monats ordnete ein Richter an, dass der Fall zur Verhandlung komme. Doch damit war der Kampf für Siddiqi noch lange nicht beenden. Während des Verfahrens versuchte der Anwalt des Täters Sidiqqi immer wieder anzugreifen und sie öffentlich bloßzustellen.

Aber wie der Hashtag schon suggeriert: Siddiqi ist eine Kämpfernatur. Das Gericht sah das Recht auf Siddiqis Seite und verurteilte den Täter zu sieben Jahren Haft. Für viele Frauen in Pakistan wurde der Fall zum Sinnbild des Kampfes für eine gerechtere Welt für Frauen.

2016 veröffentlichte die Organisation Humans Rights Watch einen Bericht, aus dem hervorging, dass Pakistan nicht genügend dafür tue, um Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen.

„Gewalt gegen Frauen und Mädchen - das beinhaltet Vergewaltigung, Ehrenmorde, Säureattacken, häusliche Gewalt und Zwangsheirat - steht nach wie vor an der Tagesordnung“, heißt es in dem Bericht. „Pakistanische Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass jedes Jahr ca. 1.000 Ehrenmorde begangen werden.”

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Siddiqi hat inzwischen ihr Jurastudium wieder aufgenommen und will sich von dem Vorfall nicht einschüchtern lassen. „Ich bin kein Opfer, sondern eine starke Frau, die den Mut und die Fähigkeit hat, jede ihr in den Weg gestellte Hürde zu überwinden und weiterzumachen”, sagte sie The Diplomat.

„Gerechtigkeit heißt für mich nicht nur den Täter hinter Gittern zu bringen, sondern auch einen Präzedenzfall zu schaffen, so dass andere Männer in Zukunft abgeschreckt sind.”

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Gerechtigkeit fordern

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Ein Beitrag von Andrew McMaster