Nachdem zwei Freunde im Jahr 2005 ihr Geburtsland Afghanistan und eine dortige Schule besucht hatten, entstand die Idee für Visions for Children. Denn aufgrund des anhaltenden Konflikts, der tief verwurzelten Armut und der schlecht ausgestatteten Schulen im Land geht fast die Hälfte der Kinder zwischen sieben und 17 Jahren nicht zur Schule. Mädchen sind besonders benachteiligt: Im Landesdurchschnitt sind 60 Prozent der Kinder, die nicht zur Schule gehen, weiblich – in einigen Provinzen sind es bis zu 85 Prozent der Mädchen.
Um die Schule zu unterstützen, gründeten sie 2006 den Verein. Hila Limar kommt 2007 zu dem Projekt. Afghanistan ist auch ihr Geburtsland. Als Kind war sie mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. “Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ich hier Möglichkeiten bekommen habe, die ich in Afghanistan nicht bekommen hätte. Die Taliban sind in den 90ern an die Macht gekommen. Ich glaube, ich hätte als Mädchen dort in der fünften oder sechsten Klasse nicht mehr zur Schule gehen können”, sagt Hila Global Citizen.
Die Bildung von Mädchen ist ihr deshalb besonders wichtig. “Ich habe schnell gemerkt, dass Bildung das Fundament für so viele Sachen wie etwa für politisches Engagement, für Gleichberechtigung, eine bessere Gesundheit, oder für eine starke Wirtschaft ist”, sagt sie. Und ergänzt: “Bildung stärkt nicht nur die Zukunftsaussichten von Frauen, sondern auch ihr Selbstbewusstsein. Das macht richtig Freude, das zu sehen.”
Das Gefühl, die Menschen in ihrem Geburtsland unterstützen zu wollen, trägt Hila schon lange vor ihrem Engagement in sich. “Ich habe mich schon früh mit anderen Organisationen auseinandergesetzt, aber in denen habe ich mich nicht gesehen. Ich wollte nicht nur irgendein kleines Rad in einem großen Werk sein, sondern das Gefühl haben, ich tue und bewirke tatsächlich was. Deswegen war Visions for Children der ideale Ort für mich”, erklärt sie.
Zunächst kümmern sich Hila und das Team um die Unterstützung der einen Schule in Afghanistan. Erst als sie feststellen, dass die keine Hilfe mehr benötige, suchen sie sich andere Projekte. “Wir waren immer sehr offen, in neue Länder zu gehen, aber wir haben einen sehr strengen Kriterienkatalog”, sagt Hila. Zu den Kriterien gehöre es beispielsweise, dass sie selbst in das Land einreisen dürfen, um einen Zugang zu den Menschen zu bekommen. “Damit wir voneinander lernen können und die Situation verstehen. Wir sind keine Organisation, die sich nur als Geldgeber sieht, sondern eine, die mit der Zivilbevölkerung zusammen die Projekte erarbeitet”, sagt sie.
Im Jahr 2015 fällt die Entscheidung deshalb auf Uganda. “Das hat super gepasst, denn durch die lokalen NGOs haben wir Zugang zu den Menschen, das Land ist englischsprachig, es ist relativ sicher und die deutsche Vertretung dort ist stark”, erinnert sich Hila. Bis 2017 arbeiten Hila und die anderen ehrenamtlich für Visions for Children. Inzwischen sind sie in Deutschland, in Afghanistan und in Uganda je rund fünf Festangestellte, einige Minijober*innen und rund 30 Ehrenamtliche, die sich regelmäßig engagieren.
In den vergangenen Jahren konnte der Verein elf Schulprojekte realisieren, 17.585 Schüler*innen erreichen und 3.321 Lehrer*innen fördern. Neben dem Schulbau führt Visions for Children auch Wasser- und Sanitärprojekte an den Projektschulen durch. Dabei sieht der Verein Bildung als Grundvoraussetzung dafür, Kindern die Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft zu geben und um Hilfe zur Selbsthilfe in den Regionen zu ermöglichen.
Jedes Jahr leistet Visions for Children in Afghanistan außerdem humanitäre Nothilfen. Denn beispielsweise im Winter kann es im Land bis zu minus 25 Grad kalt werden. Diese Arbeit würde zwar von der eigentlichen Bildungsarbeit des Vereins abweichen, erklärt Hila. “Aber wir sehen das als ein Zusammenspiel. Die Kinder, die dort leben, brauchen auch die Möglichkeit zu überleben, damit sie dann hoffentlich eines Tages zur Schule gehen können. Da die Menschen in ganz einfachen Zelten oder kleinen Lehmhäusern leben, gibt es sehr viele Kältetote.” Und ergänzt: “Was wir mindestens versuchen wollen, ist den Menschen in den Geflüchteten-Camps Lebensmittel und Güter wie Decken zur Verfügung zu stellen.” Aktuell läuft die Winterhilfe-Aktion für geflüchtete Familien in Herat und Kabul.
Bevor sich Hila in Vollzeit dem Verein widmete, arbeitete sie als Architektin. Einige Skills, die sie in ihrem früheren Beruf erworben hat, wie etwa eine Idee in die Realität umzusetzen, würden ihr noch heute helfen, sagt sie. “Es ist unglaublich wichtig, ein so starkes Konzept zu haben, dass egal, ob das Design Menschen gefällt oder nicht, funktioniert. Und, dass es gefällt, weil es verstanden wird. Das kann ich sehr gut in der Entwicklungszusammenarbeit unter anderem bei der Projektkonzeption anwenden.”
“Wir mussten alles neu denken und neue Wege finden.”
Doch kein noch so gutes Konzept konnte Hila und ihr Team auf den Ausbruch der Coronapandemie in diesem Jahr vorbereiten. “Es hat uns zuerst in Deutschland extrem getroffen, weil alle Unternehmen und Stiftungen sofort ihre Gelder eingefroren haben, das heißt, unser Mittelfluss wurde gestoppt. Das war unglaublich kompliziert für uns, weil wir schauen mussten, wie wir nun andere Mittel reinbekommen. Wir mussten alles neu denken und neue Wege finden”, sagt sie.
“Etwa zwei, drei Wochen später ging es dann im Ausland los. Da kam die Nachricht, dass in Uganda die Baustellen gestoppt werden. Afghanistan hat dann auch nachgezogen und der Schulbau stand still. Wir waren eigentlich drei Monate lang nur damit beschäftigt, das Rad irgendwie am Laufen zu halten.” Nach rund acht Wochen konnte Visions for Children in beiden Ländern weiterbauen – dank Sondergenehmigungen. Die Gehälter für die Arbeiter*innen vor Ort zahlte der Verein weiter. Inzwischen herrsche wieder fast Normalbetrieb.
In schweren Zeiten schöpft Hila Kraft aus den persönlichen Begegnungen mit den Schüler*innen und Lehrer*innen. “Das Allerbeste an meiner Arbeit ist, wenn ich vor Ort bin und die Schüler*innen kennenlerne. Auch mich mit ihnen zu unterhalten, in einen Austausch zu gehen und herauszufinden, was ihre Herausforderungen sind. Und wenn ich sie dann wieder treffe und sehe, wie sie von Schuljahr zu Schuljahr selbstbewusster werden. Das ist in beiden Ländern unglaublich.”
Dass sie als junge Frau mit afghanischen Wurzeln in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, empfindet Hila als ein Privileg, wie sie sagt. “Wenn ich mit den Schüler*innen spreche, dann erfahre ich von ihnen viel mehrn als mein männlicher Kollege. Denn kein Mädchen öffnet sich einem fremden Mann – ganz egal, ob in Deutschland oder in Afghanistan. Wenn ich den Mädchen aber erzähle, dass ich alleine reise oder, dass ich nicht verheiratet bin, dann zeigt es ihnen ganz andere Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sie sich zum Teil gar nicht vorstellen konnten.”
Hila Limar ist nominiert für den Germany Hero Award, der in diesem Jahr erstmals im Rahmen von Global Citizen Prize verliehen wird. Global Citizen Prize zeichnet inspirierend Persönlichkeiten aus, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen. Aktivist*innen, Weltstars und globale Entscheidungsträger*innen werden im Rahmen einer großen TV-Show dabei sein. Die Watch Party in Deutschland findet am 20. Dezember um 19:00 Uhr auf unserer Facebookseite statt. Mehr über den Global Citizen Prize erfährst du hier.