Von Lockdown bis Angst vor Ansteckung – die Corona-Pandemie sorgt noch immer aus verschiedenen Gründen für wirtschaftliche Einbrüche. Besonders stark betroffen: die Modeindustrie. In Geschäften türmet sich die reduzierte Ware. “Die Kleidungsbranche wurde durch die Coronakrise stärker als alle anderen Bereiche getroffen. Zwischen Januar und Mai 2020 nahm ihr Umsatz um 32 Prozent ab. Auch im Juni hatte sich die Kleidungsbranche noch kaum erholt“, erklärte Maiken Winter von der Verbraucherzentrale Bayern gegenüber Global Citizen. “Außerdem gab es, besonders im Textilbereich, wenig Anlass, etwas einzukaufen. Theater, Kino, Essengehen, Freunde treffen – all das war ja wochenlang nicht möglich”, gab Winter zu bedenken.
Doch: In Ländern wie Bangladesch sind Textilarbeiter*innen von der Branche abhängig. Wie wirkte sich der Einbruch auf die dortige Arbeitssituation aus? Und was passierte mit all den Teilen, die bereits produziert wurden? Wurden sie verbrannt, wie erst vor einiger Zeit in Bezug auf Retouren bekannt wurde? Dann hätte das Folgen für den Umweltschutz, könnte langfristig aber eine Chance für Wandel sein – und das nachhaltige Entwicklungsziel 12 auf der Agenda der Vereinten Nationen (UN), die bis 2030 umgesetzt werden sollen: nachhaltige Produktionsmuster.
Um die Folgen der Corona-Krise aufzufangen, lagerten Marken Ware ein
Idoya Noain Ruiz, Pressesprecherin bei der Modekette Mango, erklärte schriftlich: “Direkt zu Beginn der Pandemie hat Mango seine Lieferanten angesprochen, um neue Vereinbarungen für die Saison und das neue Handelsszenario zu treffen.“ Das Ziel sei, dass beide Parteien auch in Zukunft ihre Arbeit fortführen können. “Beispielsweise haben wir mit den Lieferanten vereinbart, dass bereits gekaufte Materialien nun für zukünftige Kleidungsstücke für Mango verwenden werden.“ Einige Bestellungen, die noch nicht produziert waren, habe Mango aufgrund des vorhersehbaren Einbruchs storniert.
Auch bei vielen anderen Marken liege der Fokus darauf, Ware einzulagern und im Jahr 2021 erneut anzubieten, erklärte Siegfried Jacobs vom Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels auf Nachfrage. “Dies gilt besonders für nicht ganz so modische Artikel oder Ware, deren modische Aussage sich gut in die kommende Frühjahrs-/Sommermode integrieren lässt“, erklärte er. Dazu liefen bereits vor vielen Wochen intensive Gespräche zwischen den Einkäufern des Fashionhandels mit den jeweiligen Markenlieferanten. Die Ausnahme sei, dass der Handel per Vertrag Ware an die Hersteller zurückgeben konnte. Von dem Einbruch betroffen waren also nicht nur die Marken und Ketten, sondern auch die Textilfabriken in den Produktionsländern. „Näherinnen in Ländern wie Bangladesh und Indien haben massenhaft ihre Arbeitsplätze verloren“, erklärte Maiken Winter von der Verbraucherzentrale.
Während der stationäre Handel besonders stark von der Krise betroffen war, hat der Online-Handel “Marktanteile dazugewonnen, da der Webshop für viele Modekunden die einzige Alternative war, aktuelle Markenkleidung zu kaufen“, erklärte Jacobs vom Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels. Auch Winter von der Verbraucherzentrale betonte die Bedeutung des Online-Handels. Die Entwicklung weg vom stationären Handel und hin zu E-Commerce sei durch Corona verstärkt worden, “sodass der Umsatz im Online-Handel im April und Mai [...] fast so hoch war wie während der Weihnachtszeit – dem umsatzstärksten Monat”, erklärte sie.
Auch der Konzern Inditex, zu dem unter anderen Zara und Bershka gehörten, setzte während der Krise stark auf den Online-Handel. So konnte der Konzern die Lagerrestbestände nach eigenen Angaben reduzieren: im Zeitraum Februar bis April 2020 um 10 Prozent im Vergleich zu 2019. Die Restprodukte verkaufe der Konzern an "autorisierte Drittparteien, die mit Wohltätigkeitsorganisationen arbeiten und an `Research and Development‘-Projekte im Bereich Up-Cycling“, teilte das Unternehmen mit. Genaue Zahlen, wie viel Kleidung übrig blieb und was die Abnehmer*innen damit konkret machen, nannte Inditex allerdings nicht.
Beeinträchtigt die Corona-Krise die Erreichung der Global Goals?
Auch in Bezug auf die gesamte Branche ist noch nicht zu sagen, wie viel Mode übrig bleibt. Der Grund: Der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels habe der Branche im Jahr 2020 keinen Schlussverkaufstermin empfohlen, obwohl das eigentlich üblich ist. So können die Unternehmen ihre Verkaufssaison verlängern.
Wie die Branche mit sogenannten “Restanten“ schließlich umgeht, ist deshalb noch unklar. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, so erklärt die Verbraucherzentrale: Es ist billiger, Kleidung zu vernichten als zu spenden. Denn auf gespendete Waren muss Mehrwertsteuer gezahlt werden. Das könnte zumindest kurzfristig negative Folgen haben für den Umweltschutz und die entsprechenden Ziele für nachhaltige Entwicklung.
Wird sich die Fast-Fashion-Branche durch die Corona-Pandemie verändern?
Bis sich die langfristigen Auswirkungen der Krise auf die Branche einschätzen lassen, dürfte es aber noch dauern. “Viele gehen davon aus, dass der Anteil an Fast Fashion sinkt“, erklärte Jacobs vom Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels. Die Zahl der Anbieter werde zurückgehen, “und zwar auf Handels- wie auf Industrieseite.“
Die schwedische Modekette Gina Tricot beispielsweise hat am 25. Juni 2020 für die deutsche Tochter Insolvenz angemeldet. Alle Filialen in Deutschland werden schließen müssen, der Online-Shop bleibt bestehen. Auch Esprit ist durch die Krise in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hat für sechs Tochtergesellschaften ein Insolvenzverfahren beantragt. Etwa die Hälfte aller Geschäfte in Deutschland soll schließen.
Doch wird sich der Anteil der Fast-Fashion-Branche, der überlebt, entschleunigen? Der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels schätzt, dass es künftig tatsächlich weniger Kollektionen pro Jahr und Marke geben wird. Das wäre eine Chance für nachhaltigere Konsum- und Produktionsmuster, Ziel 12 für nachhaltige Entwicklung. Doch ob der Effekt von Dauer ist, hängt von den Konsument*innen ab. Wie verändert sich ihr Kaufverhalten, wenn es keine Angst mehr vor Ansteckung gibt? Wenden sie sich vermehrt nachhaltigen, aber teureren Modemarken zu? Dann wäre denkbar, dass sich die Produktion nach Europa verlagert, sich die Arbeitsbedingungen und Produktionsbedingungen zum Vorteil der Beschäftigten und der Umwelt auswirken. Fallen Verbraucher*innen wieder in das Konsumverhalten von vor der Pandemie zurück, greifen sie lieber zu günstigen Fast-Fashion-Produkten, dann werden die günstigen Modemarken die Anzahl der Kollektionen wohl einfach wieder hochfahren.
Maiken Winter von der Verbraucherzentrale Bayern hofft, dass auch bei den Verbraucher*innen ein Umdenken stattfindet, sie bewusster mit Konsum umgehen werden. “Aber ich befürchte, dass sich langfristig so lange nichts ändern wird, bis Kleidung wesentlich teurer wird. Denn leider reagieren die meisten Menschen vor allem auf den Preis – weniger auf ökologische oder soziale Bedenken.“ Dass das Coronavirus die Fast-Fashion-Branche langfristig entschleunigen wird, ist demnach also unwahrscheinlich. Zielführend sei laut Winter beispielsweise das Lieferkettengesetz. Doch eine Pandemie reicht nicht aus, um nachhaltigen Konsum zu fördern.