Südsudan, Kongo, Irak: Wie es ist, als Kriegsfotograf zu arbeiten

Autor:
Jana Sepehr

Warum das wichtig ist
Laut der Kinderhilfsorganisation “Save the Children” leben heute 420 Millionen Kinder in Konfliktzonen – Anfang der 1990er Jahre waren es noch 200 Millionen. Immer häufiger finden Konflikte in Städten statt, wodurch die Gewalt gegen Zivilisten und Angriffe auf Schulen steigen. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (UN) wollen bis 2030 eine gerechte, friedliche Welt schaffen, in der allen Kindern Zugang zu hochwertiger Bildung ermöglicht wird.

Dominic Nahr, du wurdest in der Schweiz geboren, bist aber in Hongkong aufgewachsen. Mit 21 bist du dann das erste Mal als Kriegsfotograf losgezogen, um den Konflikt im Osttimor zu fotografieren. Wie war das?

Ich hatte Angst. Als ich ankam, sah ich überall Soldaten. Niemand kontrollierte meinen Pass, das war ungewohnt. Aber ich war jung, ich habe nicht viel nachgedacht. Man merkt nicht sofort, dass man im Krieg ist. Es geht nicht von Null auf Hundert. An Flughäfen fühlt man sich noch relativ sicher.

Der Krieg wird erst dann real, wenn etwas schiefläuft, wenn es brenzlich wird.

Du dokumentierst Kriege etwa, indem du Familien und Kinder porträtierst. Wie kommt man den Menschen nahe?

Es ist wichtig, dass man Schwächen zeigt, damit sich Menschen öffnen. Wenn ich Angst habe, zeige ich sie. Oft rede ich nicht viel. Ich gucke Leute an und sie gucken mich an. Dann erkennen wir, dass wir uns mögen.

Man muss viel Zeit mit den Menschen verbringen. Manchmal schlafe ich mit den Familien in einer Hütte und wache morgens wieder mit ihnen auf. Es ist schon vorgekommen, dass ich den Auftrag hatte, vier Tage zu bleiben und daraus ein Monat wurde. Einmal sagte jemand zu mir “Du bist wie ein Möbelstück” – ich werde also Teil ihres Umfelds, ohne dass sie mich als störend oder Fremdkörper empfinden. Ich weiß nicht, wie ich es mache, denn ich bin sehr groß und tollpatschig. Aber das ist vermutlich das beste Kompliment, das ich je bekommen habe.

Woher kam dein Wunsch, Kriegsfotograf zu werden?

Viele Kriegsreporter*innen kommen nach Hongkong, um sich eine Auszeit vom Krieg zu nehmen – nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Vietnamkrieg oder auch während des Koreakriegs.

In Hongkong gibt es den “Foreign Correspondents Club”, in dem viele berühmte Fotograf*innen Mitglied sind. Ich wollte immer da rein. Eines Tages kam ein Freund meines Vaters zu mir, der als Kriegsfotograf arbeitete und für ein Foto aus dem Vietnamkrieg den Pulitzerpreis gewonnen hatte.

Er hat sich meine Bildern angesehen und mich gefragte: “Bist du gut in der Schule?” Ich sagte “nee”. “Super”, sagte er, “dann wirst du jetzt Fotograf.” Und so kam es. Erst arbeitete ich für die Tageszeitungen, aber das war mir zu weit weg von der Realität in der Welt.

Man braucht eine starke Motivation, um in ein Flugzeug zu steigen und in den Krieg zu fliegen.

Als ich jung war, ging es auch darum, mir einen Namen zu machen, das kann ich nicht abstreiten. Wenn Menschen deinen Namen kennen, hast du bessere Chancen, Geschichten zu erzählen und zu veröffentlichen.

Aber sobald ich ankomme, geht es nicht mehr um mich. Wenn ich sehe, was da alles schief läuft, dann bin ich sauer und kämpfe für diese Geschichte.

Für die Kinderrechtsorganisation “Save the Children”, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum feiert, arbeitest du an einem großen Projekt. Ihr wollt Überlebende aus den Kriegen der vergangenen 100 Jahre porträtieren – für jedes Jahrzehnt widmet ihr euch einem Krieg und den Menschen, die davon betroffen waren oder sind. Was wollt ihr damit erreichen?

Wir denken bei Krieg immer an das “jetzt”, an Somalia, an Syrien. Aber Krieg spielt nicht nur im heute, sondern prägt auch unsere Geschichte, die Entwicklung der Länder und das Leben der Menschen, die als Kinder im Krieg gelebt haben. Mir war es zum Beispiel wichtig, auch Deutsche zu zeigen, die Krieg erlebt haben. Ich mag es, Geschichte zu fotografieren und alles in einen Rahmen zu bringen. Außerdem können wir so erkennen, dass wir als Kinder alle gleich sind – und was Krieg mit Kindern macht. Aus dieser Erfahrung können wir lernen.


Zehn Jahre lang hast du vorwiegend in Afrika gelebt – oft in konfliktreichen Regionen. Wie fühlt sich das Leben in Ländern mit Konflikten, anderen Normen und Lebensbedingungen für dich an?

Ich war immer ein Fremder, ein Nomade. Ich habe immer an Orten gelebt, wo ich nicht hingehöre. Schon in Hongkong. Mein Gefühl wäre wahrscheinlich ein anderes, wenn ich in der Schweiz groß geworden wäre.

Außerdem funktioniere ich sehr gut an solchen Orten, an denen ich fotografieren. Man ist sich seiner Umgebung viel bewusster – der Luft, dem Wasser, dem Essen. Ich finde es hier, in Europa, viel schwieriger, mich anzupassen. Ich sage immer noch zu Leuten auf der Straße “Hallo”. Die meisten gucken mich dann komisch an und fragen sich bestimmt: Warum spricht der mich an?

Das Leben kann in Teilen Afrikas, dort wo die Sicherheitslage instabil ist und Konflikte dominieren, sehr “basic” sein. Aber die Menschen sind sich nah. Natürlich ist es schön, eine Dusche zu haben und all den Luxus. Aber braucht man das? 

Dominic Nahr, 36, wurde in der Schweiz geboren und ist in Hongkong aufgewachsen. Für ein Studium zog er nach Toronto, danach lebte er ab 2009 zehn Jahre in Nairobi, Kenia. Er arbeitet als Afrika-Korrespondent für das Time Magazine und fotografierte unter anderem für den Stern, den Spiegel und das National Geographic Magazine. Für seine Bilder gewann er zahlreiche Preise, unter anderem den World Press Photo Award, Pictures of the Year Awards und den Oskar Barnack Newcomer Award.