Warum das wichtig ist
Bei Global Goal 3 der Vereinten Nationen geht es darum, gute Gesundheit und Wohlbefinden für alle zu gewährleisten. Initiativen, welche die Gesundheitsversorgung verbessern und sich gegen Infektionskrankheiten einsetzen, bringen uns diesem Ziel näher. Impfstoff-Nationalismus hingegen behindert diese Bemühungen – aktuell im Fall der COVID-19-Pandemie. Wird der Zugang zu Impfstoffen für Länder mit niedrigem Einkommen erschwert, verschärft es das Risiko für extreme Armut. Werde mit uns hier aktiv, damit alle, überall Zugang zu Gesundheitsversorgung erhalten.

Seitdem klar ist, dass es endlich einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt, wird immer häufiger über “Impfstoff-Nationalismus“ gesprochen. Doch was hat es damit auf sich? 

In der Regel wird mit dem Begriff das Verhalten wohlhabender Länder in Bezug auf die neuen Vakzine angeprangert – etwa von Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, dem Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er bezeichnete Impfstoff-Nationalismus als “katastrophales moralisches Versagen“.

Ohne die Covid-19-Pandemie hätte der Begriff vermutlich nie Aufmerksamkeit erlangt. Ähnlich wie “Lockdown“ und “flatten the curve“ hat uns das Virus nun auch “Impfstoff-Nationalismus“ als neue Vokabel beschert. Was genau sie bedeutet und welche Folgen damit einhergehen, haben wir für euch im Folgenden aufgeschlüsselt:

Was ist Impfstoff-Nationalismus?

Der Begriff kam das erste Mal auf, nachdem Dutzende wohlhabende Länder im Alleingang Verträge mit Pharmaunternehmen geschlossen hatten, um Impfdosen für die eigene Bevölkerung zu sichern – ohne Rücksicht darauf, dass es die Verfügbarkeit für andere Länder einschränkt.

Als Dr. Tedros im Januar vor dem Exekutivrat der WHO sprach, beschrieb er das gleichgültige Verhalten ähnlich der Redensart “Nach mir die Sintflut“.

“Nationalismus“ ist ein weit gefasster politischer Begriff, der in verschiedenen Zusammenhängen benutzt werden kann. Grundsätzlich bedeutet er, dass einzelne Nationen aus wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Gründen ihre eigenen Interessen über die Interessen anderer Länder stellen – beispielsweise, wenn es um Impfungen geht.

Die Hinweise darauf, dass gewisse Länder Impfdosen horten, verdichteten sich bereits, als Firmen wie Oxford/AstraZeneca, Moderna und Pfizer/BioNTech erste mögliche Impfstoffe ankündigten.

Neuesten Daten des Global Health Innovation Center der Duke University zufolge haben sich Länder mit hohem Einkommen insgesamt 4,2 Milliarden Dosen des COVID-19-Impfstoffs gesichert. Länder mit niedrigem Einkommen hingegen haben lediglich 670 Millionen Dosen bestellt.

Großbritannien verfügt beispielsweise über etwa sechs Impfdosen pro Kopf, insgesamt 400 Millionen. Kanada hat sich neun Impfdosen pro Einwohner*in gesichert. Die Afrikanische Union hingegen hat für weniger als die Hälfte ihrer Bevölkerung eine Impfdosis parat.

Tatsächlich hat es sich bei der H1N1-Pandemie im Jahr 2009 ähnlich zugetragen, wie New Scientist berichtet. Reiche Länder kauften so viele Impfdosen, dass “praktisch keine mehr für den Rest der Welt übrig“ waren.

Wen trifft Impfstoff-Nationalismus?

Am meisten leiden die ärmsten Menschen der Welt im Globalen Süden darunter. Doch Impfstoff-Nationalismus wirkt sich im zweiten Schritt auf die ganze Welt aus. 

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) warnt davor, dass die Weltwirtschaft Einbußen über 9,2 Billionen US-Dollar (rund 7,58 Billionen Euro) erleiden könnte, wenn Länder mit niedrigem Einkommen bei der Verteilung von Impfstoffen benachteiligt werden.

Da Pharmaunternehmen innerhalb weniger Monate einige Millionen Impfdosen produzieren, scheint es schwer vorstellbar, dass ein Land zu kurz kommen könnte. Allerdings sorgen Großbestellungen der wohlhabenden Länder dafür, dass Länder mit niedrigerem Einkommen mit Lieferverzögerungen rechnen müssen.

Dazu verschärfen die Mutationen des Coronavirus die Lage noch. Ein CNN-Bericht über die südafrikanische Variante von COVID-19 zeigt: Im benachbarten Malawi, das zu Beginn verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen war, sind die Krankenhäuser nun überlastet. Immer mehr Pflegekräfte und anderes Gesundheitspersonal erkranken an COVID-19, teils mit tödlichen Verläufen.

Im Queen Elizabeth Central Hospital in Blantyre, Malawis zweitgrößter Stadt, sind beispielsweise von acht Coronavirus-Spezialist*innen nur drei gesund genug, um die 80 Covid-19-Patient*innen zu behandeln. Wann Malawi mit Impfdosen rechnen kann, sei bislang unklar.

Ganz im Gegensatz zur USA: Dort wurden Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens mit besonders hohem Infektionsrisiko bereits Anfang Januar geimpft. 7,68 von 100 Personen in Nordamerika haben bis zum 9. Februar bereits eine Impfung erhalten. In Afrika hingegen lediglich 0,05 von 100

Das Virus kennt jedoch keine Ländergrenzen, es breitet sich überall aus. Somit wird die Pandemie erst dann enden, wenn sie weltweit bekämpft ist. Auch aus dieser Perspektive ist ein gerechter Zugang zu Impfstoff unerlässlich.

Welchen Einfluss hat Impfstoff-Nationalismus auf die COVID-19-Pandemie?

Kann ein Land nicht genügend Menschen impfen, um Herdenimmunität in der Bevölkerung aufzubauen, wird die Pandemie dort weiter wüten – und sich auch wieder auf andere Länder ausbreiten. “Je mehr Menschen sich infizieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass weitere Mutationen auftreten. Es ist unvermeidlich, dass irgendwann eine Fluchtmutation auftaucht”, schreibt Dr. Amir Khan, Arzt des National Health Service in Großbritannien, für Al Jazeera.

Eine solche Mutation würde der Immunantwort auf Basis der ersten Virusvariante “entkommen“. “Die neue Mutation wird dann wahrscheinlich zum dominanten Stamm werden und ihren Weg zurück zu uns finden, was zu erneuten Infektionen bei denjenigen führt, die nur gegen die alten Varianten geimpft wurden“, fährt Khan fort. “Impf-Nationalismus ist daher unglaublich kurzsichtig.“

Welche Auswirkungen hat Impfstoff-Nationalismus auf andere Bereiche der Gesellschaft?

Horten wohlhabende Länder Impfdosen, so hat das nicht nur Auswirkungen auf den Bereich Gesundheit. Beispielsweise beeinträchtigt es den wirtschaftlichen Wohlstand und die Entwicklungsfortschritte in Ländern mit niedrigem Einkommen. 

Vor dem Hintergrund der Pandemie hat die Weltbank bereits im vergangenen Oktober gewarnt, dass zum ersten Mal seit 20 Jahren das Ausmaß extremer Armut wieder ansteigen könnte. Zusätzliche 150 Millionen Menschen könnten aufgrund der COVID-19-Pandemie in extreme Armut geraten, was bedeutet, dass ihnen weniger als 1,90 US-Dollar (rund 1,56 Euro) pro Tag zur Verfügung stehen. 

Das werde sich auf die ganze Welt auswirken, schreibt Harry Kretchmer im Weltwirtschaftsforum. “Anhaltende Störungen der Weltwirtschaft, etwa Unterbrechungen in Lieferketten und eine schwächere Nachfrage, werden weiterhin alle Nationen belasten“, erklärt er.

Zu dem gleichen Schluss kam der OECD-Vorsitzende Angel Gurría. Er sagte kürzlich, es sei klug dafür zu sorgen, dass die Länder mit niedrigem Einkommen bei der Einführung von Impfstoffen nicht zurückbleiben. “Es ist ethisch und moralisch gesehen richtig – aber auch wirtschaftlich.“

Er verweist auf Schätzungen der Internationalen Handelskammer (ICC): Diese geht von einem Schaden von 9,2 Billionen US-Dollar (rund 7,57 Billionen Euro) für die Weltwirtschaft aus. 

“Wohlhabende Volkswirtschaften sind eng mit bei den Impfungen benachteiligten Handelspartnern aus Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen verbunden. Verheerende wirtschaftliche Probleme in diesen Ländern bedeuten vor dem Hintergrund der Pandemie also auch eine Belastung für wohlhabende Volkswirtschaften“, so der ICC-Bericht.

“Die COVID-19-Krise kann höhere Einkommensungleichheit, geringere soziale Mobilität unter den Schwachen und somit geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Schocks auslösen“, erklärt die Weltbank.

Wer kann das Problem lösen?

Nur eine globale Zusammenarbeit kann den Virus besiegen. Der “Access to COVID-19 Tools Accelerator” (ACT-A) wurde im April 2020 unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Kommission, der französischen Regierung und der Bill & Melinda Gates Foundation ins Leben gerufen, damit es zu einer gerechten Verteilung von COVID-19-Tests, -Behandlungsmethoden und -Impfstoffen kommt. Als Teil dieser globalen Initiative wurde auch die COVAX Fazilität kreiert. Das Ziel: Durch Verträge mit den Pharmaunternehmen Impfdosen für benachteiligte Länder zu sichern, um die gerechte Verteilung zu gewährleisten.

Bis Ende 2021 will COVAX mindestens zwei Milliarden Impfdosen für 92 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sichern. Alle teilnehmenden Länder werden unabhängig vom Einkommensniveau gleichen Zugang zu Impfdosen erhalten. Das Ganze wird durch Spenden von Regierungen, Unternehmen und philanthropischen Organisationen finanziert.

Was können Global Citizens tun, um zu helfen?

Es ist wichtig, die Staats- und Regierungschef*innen der Welt zum Handeln aufzufordern, global Initivativen wie den ACT-A zu finanzieren.

Es ist möglich, den Verlauf der Pandemie zu beeinflussen und Maßnahmen gegen COVID-19 für alle, überall zu gewährleisten. Mit Global Citizen kannst du hier zum ACT-A aktiv werden.

Global Citizen Explains

Armut beenden

Impfstoff-Nationalismus: Das solltest du darüber wissen

Ein Beitrag von Helen Lock