Die Welt befindet sich derzeit in einem längst überfälligen Prozess: der Abkehr von fossilen Brennstoffen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.

Im Rahmen dieser Umstellung versuchen Politiker*innen Angestellte in Sektoren, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, mit Schulungen und anderen Ressourcen zu unterstützen. 

Das wird als “gerechter Übergang“ bezeichnet, ein von Gewerkschaften entwickeltes Konzept, um Arbeitnehmer*innen und Gesellschaften in Zeiten wirtschaftlicher Probleme zu unterstützen. Ohne diesen Mechanismus würden Gemeinschaften möglicherweise ihrer Haupteinkommensquelle beraubt. Wird beispielsweise ein Kohlebergwerk geschlossen, kann das zu Armut und anderen Konsequenzen führen. 

“Es hat wirklich etwas mit Fairness zu tun“, sagt Christopher Sheldon, Practice Manager für die Global Practice Infrastructure Energy and Extractive Industries der Weltbank und Experte für gerechte Übergänge. “Es geht um mehr als den Übergang von einer Energieform zu einer anderen; es geht um sozioökonomische Umwälzungen.“

3 wichtige Dinge, die du über “gerechte Übergänge“ wissen solltest 

  • Die Idee des gerechten Übergangs stammt ursprünglich von Arbeitnehmergruppen, die nach der Schließung von Kohlebergwerken ihre wirtschaftlichen Rechte einforderten. 
  • Seitdem hat sich das Konzept auf ganze Gesellschaften ausgeweitet, die fossilen Brennstoffen den Rücken kehren wollen. 
  • Ein weltweiter “gerechter Übergang“ muss auch Klimagerechtigkeit berücksichtigen. 

Niemanden zurücklassen

Die Weltbank und andere Organisationen haben Strategien entwickelt, um Gesellschaften bei der Erholung nach einem sozioökonomischen Umbruch zu helfen. Die Weltbank arbeitet insbesondere daran, wie die Folgen von Kohleminen-Schließungen gemildert werden können.

Kohlebergwerke können Tausende von direkten Arbeitsplätzen im Bergbau, in der Mineralienverarbeitung und im Transportwesen schaffen sowie indirekte Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, im Gesundheitswesen und in anderen Sektoren. Zudem können sie kommunale Infrastrukturen wie Schulen und Krankenhäuser finanzieren. Wurde in der Vergangenheit ein Kohlebergwerk geschlossen, dann in der Regel deshalb, weil die Mine erschöpft oder im Vergleich zu anderen Energieformen nicht mehr wirtschaftlich war. Das plötzliche Vakuum, das die Schließung eines Bergwerks hinterlässt, hat schwerwiegende Folgen, so Sheldon.

Aus diesem Grund setzten sich Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Weltbank für den gerechten Übergang ein. Michael Stanley, der bei der Weltbank für die Rohstoffförderung zuständig ist, erklärt, inwiefern gerechte Übergänge von drei Säulen abhängen: einer starken staatlichen Aufsicht, einer umfassenden Beteiligung der Gesellschaft und einer Sanierung der Umwelt. 

Vor allem die Gemeinden müssen während des Schließungsprozesses fair entschädigt werden und die Möglichkeit haben, ihre neue wirtschaftliche Ausrichtung mitzugestalten, sei es durch Investitionen in den Tourismus, die Landwirtschaft oder eine andere Branche. 

“Es ist wirklich wichtig, einen starken, integrativen Wachstumsprozess zu fördern, in den alle betroffenen Interessengruppen einbezogen werden. Es ist Klarheit darüber nötig, wie, warum und von wem Entscheidungen getroffen werden“, so Stanley.

Sheldon weist zudem darauf hin, dass Länder wie China, Indien, die Philippinen, Indonesien und Südafrika den mühsamsten Übergang vor sich haben. Denn deren Märkte sind nach wie vor stark auf Kohleenergie angewiesen.

In den vergangenen Jahren hat sich das Konzept des gerechten Übergangs über die Schließung von Kohlebergwerken hinaus auf weitere gesellschaftliche Veränderungen ausgeweitet. 

Die Climate Justice Alliance argumentiert, dass ein gerechter Übergang bedeutet, sich von der derzeitigen Rohstoffwirtschaft  zu einer “regenerativen Wirtschaft“ zu bewegen.

“Das bedeutet, dass die Produktions- und Konsumzyklen ganzheitlich betrachtet werden müssen und Abfall vermieden werden muss“, so die Organisation. “Der Übergang selbst muss gerecht und fair sein; er muss die Schäden der Vergangenheit wiedergutmachen und durch Wiedergutmachung neue Machtverhältnisse für die Zukunft schaffen. Wenn der Prozess des Übergangs nicht gerecht ist, wird auch das Ergebnis nicht gerecht sein.“

Eine regenerative Wirtschaft 

Angesichts des Klimawandels und sinkender biologischer Vielfalt, die das künftige Überleben der Menschheit bedrohen, fordern die Befürworter*innen des gerechten Übergangs, die Weltwirtschaft komplett umzugestalten. 

Zunächst sei ein rascher Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sowie die Reduzierung des Energieverbrauchs in Ländern mit hohem Einkommen nötig. Da erwartet wird, dass der globale Temperaturanstieg noch in diesem Jahrzehnt die im Pariser Klimaabkommen festgelegte Schwelle von 1,5 Grad Celsius überschreiten wird, sind drastische Maßnahmen erforderlich, um katastrophale Umweltfolgen zu verhindern. 

Die Internationale Energieagentur berichtete kürzlich, dass es aktuell noch möglich ist, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten – sofern die Welt Bohrungen nach neuen fossilen Brennstoffen sofort einstellt und die Gewinnung erneuerbarer Energien bis 2030 vervierfacht. 

Die Vereinten Nationen (UN) gehen noch weiter und fordern die Länder auf, die nächsten zehn Jahre zu nutzen, um stark in die Umweltsanierung zu investieren, vor allem in Bezug auf Feuchtgebiete und Wälder, Meeresökosysteme und Grasland.

Solche Gebiete zu schützen oder wiederherzustellen, ist jedoch nur dann zielführend, wenn dabei der Umweltschutz mitgedacht wird. Beuten die Länder Naturressourcen weiterhin aus, wird der Planet immer mehr geschädigt werden. Die Vereinten Nationen berichten, dass 75 Prozent der Erdoberfläche durch menschliche Aktivitäten zugunsten der Weltwirtschaft beeinflusst wurden – und Natur-Ressourcen allmählich erschöpft sind. 

Infolgedessen fordern Organisationen wie das Climate Action Network, dass die Welt Konsummodelle beendet, die auf extremer Ressourcenausbeutung, Umweltverschmutzung und schlechten Arbeitsbedingungen beruhen. 

“Die jahrhundertelange globale Ausbeutung der profitorientierten Industriewirtschaft, die auf patriarchalen Strukturen und weißer Vorherrschaft basiert, belastet den Planeten und seine Ökosysteme enorm“, schreibt das Climate Action Network. “Der Übergang ist unausweichlich. Gerechtigkeit aber nicht.“

“Wir müssen eine visionäre Wirtschaft aufbauen, die ganz anders ist als die, in der wir uns jetzt befinden“, argumentiert die Organisation. “Das erfordert, das Schlechte zu stoppen und gleichzeitig etwas Neues aufzubauen. Wir müssen die Regeln ändern, um die Ressourcen und die Macht an lokalen Gemeinschaften umzuverteilen.“

Ein gerechter Übergang im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet, die Welt, in der wir leben, so umzugestalten, dass intersektionale Gerechtigkeit und das Wohlergehen des Planeten stärker gewichtet werden als das Wirtschaftswachstum.

Das bedeutet, Gesellschaften zu schaffen, in denen Nahrung, sauberes Wasser, Unterkunft, Bildung und Gesundheitsfürsorge für alle verfügbar sind, in denen Kleinbäuer*innen und Arbeitsgenossenschaften sich vereinigen können, in denen Meeres- und Landökosysteme vor Ausbeutung geschützt werden und in denen das Potenzial eines jeden Menschen gefördert wird. 

“Initiativen für einen gerechten Übergang verschieben den Fokus von umweltschädlicher Energie auf Energiedemokratie, vom Ausbau des Autobahnnetzes auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, von Müllverbrennungsanlagen und Mülldeponien auf Abfallvermeidung, von industrieller Lebensmittelproduktion auf Ernährungssouveränität, von Gentrifizierung auf kommunale Landrechte, von militärischer Gewalt auf friedliche Lösungen und von zügelloser zerstörerischer Entwicklung auf die Wiederherstellung von Ökosystemen“, schreibt das Climate Action Network und fasst zusammen: “Der Kern eines gerechten Übergangs ist eine tiefgreifende Demokratie, in der Arbeiter*innen und Gemeinschaften die Kontrolle über Entscheidungen haben, die ihr tägliches Leben betreffen.“

Global Citizen Explains

Umwelt schützen

Wie kann die Welt fossile Brennstoffe abschaffen, ohne einzelne Gruppen zu benachteiligen?

Ein Beitrag von Joe McCarthy