Die Invasion Russlands in die Ukraine hat zu unermesslichem Leid und Gewalt geführt und über zehn Millionen Menschen zur Flucht veranlasst. Die Auswirkungen dieses Krieges beeinflussen die ganze Welt: Proteste gegen die Invasion in zahlreichen Ländern, internationale Verbote gegen russische Unternehmen und Sportmannschaften, die Aufnahme und Ansiedlung von Geflüchteten in den Nachbarregionen und die Auslösung einer Nahrungsmittelkrise, die 500 Millionen Menschen weltweit in akuten Hunger zu stürzen droht. 

Zahlreiche Spendenaktionen wurden gestartet, um die Ukraine und die von dem Krieg betroffenen Menschen zu unterstützen, wie UN-Sprecher Stéphane Dujarric nach einer Geberkonferenz im März gegenüber Journalist*innen erklärte: "Dies ist eine der schnellsten und großzügigsten Reaktionen, die ein humanitärer Aufruf je erhalten hat." 

Prominente auf der ganzen Welt haben Unterstützung für Menschen bekundet, die direkt vom Krieg und seinen Auswirkungen betroffen sind. Langer Rede kurzer Sinn: Dieser Krieg hat die Welt zu Recht zusammengebracht.

Es steht außer Frage, dass die internationale Gemeinschaft alles in ihrer Macht Stehende tun muss, um diejenigen zu unterstützen und zu schützen, die von den Auswirkungen des Kriegs betroffen sind. Aber was ist mit all jenen, die Konflikte, Kriege und Krisen durchleben, die nicht in Europa oder den USA, dem Globalen Norden, stattfinden?

Es mag überraschen, aber im Jahr 2021 erlebte der afrikanische Kontinent ein Rekordjahr der Zwangsvertreibung infolge von Konflikten und Unterdrückung – mehr als 32 Millionen Menschen in ganz Afrika waren entweder Binnengeflüchtete, Flüchtende oder Asylsuchende. 

Krisen in Afrika

Das Jahr 2022 begann für Afrika mit Militärputschen im Westen und Bürgerkriegen im Osten. Es handelt sich dabei um Konflikte, die entweder bereits länger brodelten, um dann zu Beginn des Jahres zu explodieren (wie der Militärputsch in Guinea), oder die schon seit mehreren Jahren ein hohes Risiko darstellen, wie der Bürgerkrieg um den Tschadsee

In Kamerun gab es seit 2016 zwei anhaltende Konflikte, durch die mehr als 750.000 Menschen vertrieben wurden und schätzungsweise 2,2 Millionen Menschen dringend humanitäre Hilfe benötigen. Die Demokratische Republik Kongo (DRK) befindet sich seit fast drei Jahrzehnten in einem ständigen Konfliktzyklus (er wurde sogar als "ewiger Krieg" bezeichnet), durch den 5,5 Millionen Menschen vertrieben wurden und 8,8 Millionen Menschen – davon 49 Prozent Kinder – in extreme Ernährungsunsicherheit gebracht wurden.

Auch im Südsudan zeichnet sich eine schwere Krise ab: Mehr als 2,3 Millionen Menschen sind auf der Flucht oder auf der Suche nach Asyl und mehr als eine halbe Million Menschen im Land stehen am Rande einer Hungersnot. Dennoch bleibt die Antwort auf die Krise weiterhin massiv unterfinanziert, da bis Dezember 2021 nur 40 Prozent (etwa 448 Millionen Euro) der benötigten 1,2 Milliarden US-Dollar (rund 1,1 Milliarden Euro) bereitgestellt wurden. 

Sudan, Nigeria – die Liste der afrikanischen Länder, die von Krisen betroffen sind, ist endlos. Doch wo bleibt die globale Reaktion auf diese Krisen? Warum arbeitet die internationale Gemeinschaft nicht rund um die Uhr daran, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diejenigen zu unterstützen, deren Leben aus den Fugen geraten ist? Von der Medienberichterstattung bis hin zur Finanzierung humanitärer Hilfe werden Krisen, von denen vor allem People of Color (POC) betroffen sind, entweder normalisiert oder völlig vernachlässigt.

Da stellt sich die Frage: Glaubt die Welt, dass afrikanisches Leben weniger wertvoll oder weniger unterstützungs- und schützenswert ist als europäisches Leben? 

Warum scheint es die Welt nicht zu interessieren?

Wie spielen die Medien bei der Berichterstattung rein? 

Viele Kommentator*innen haben darauf hingewiesen, dass die westlichen Medien in den Tagen unmittelbar nach dem Einmarsch in der Ukraine schockiert und entsetzt darüber waren, dass ein solcher Krieg passiert, vor allem aber, dass ein solcher Krieg in Europa vorkommt. Die Beispiele für entsprechende Aussagen sind zahlreich und stammen von vielen der weltweit führenden Sender, von CBS über ITV bis Al Jazeera

Arwa Damon, CNN-Chefkorrespondentin für internationale Angelegenheiten, schrieb in einem im März veröffentlichten Meinungsbeitrag: "Ich höre es in der Rhetorik von Politiker*innen, Journalist*innen und führenden Politiker*innen der Welt. Rhetorik darüber, dass die Ukrainer*innen ein 'wohlhabendes Mittelklassevolk', 'die Familie von nebenan' und 'zivilisiert' sind. Als ob die Hautfarbe, die Sprache, die sie sprechen, die Religion, die sie ausüben, oder der Ort, an dem sie geboren wurden, ausschlaggebend dafür sind, was ein Mensch wert ist.”

Der Autor und Professor Moustafa Bayoumi fügte im Guardian hinzu: "Diese Kommentare deuten auf einen schädlichen Rassismus hin, der die heutige Kriegsberichterstattung durchdringt und sich wie ein Fleck, der nicht verschwinden will, in ihre Struktur einschleicht. Die Implikation ist klar: Krieg ist ein natürlicher Zustand für People of Color, während weiße Menschen von Natur aus zum Frieden tendieren." 

Die in den USA ansässige Arab and Middle Eastern Journalists Association hat eine Erklärung veröffentlicht, in der sie dieses globale Narrativ verurteilt, da es "die im westlichen Journalismus weit verbreitete Mentalität der Normalisierung von Tragödien in Teilen der Welt wie dem Nahen Osten, Afrika, Südasien und Lateinamerika" widerspiegelt. Sie fügte hinzu, dass dies "die Menschen entmenschlicht und ihre Erfahrungen mit dem Krieg als irgendwie normal und erwartet darstellt".

Besonders schädlich ist es, wenn dieses Narrativ über die Medienberichterstattung hinausgeht und in die Kommentare von Politiker*innen einfließt. Der bulgarische Premierminister Kiril Petkov sagte: "Diese Menschen sind intelligent, sie sind gebildet... Dies ist nicht die Welle an Geflüchteten, an die wir gewöhnt sind, Menschen, über deren Identität wir uns nicht sicher waren, Menschen mit unklarer Vergangenheit, die sogar Terrorist*nnen sein könnten." 

Ein ukrainischer Beamter sagte in einem BBC-Interview: "Es ist sehr emotional für mich, weil ich sehe, wie europäische Menschen mit blonden Haaren und blauen Augen getötet werden, Kinder, die jeden Tag mit Putins Raketen getötet werden." 

Dass diese beiden klar rassistischen Aussagen so ausgestrahlt wurden, schockiert uns immer noch immens.

Neben dem, was die Medien berichten, ist es auch wichtig, den Umfang und die Häufigkeit der Berichterstattung zu berücksichtigen. 

Alle, die die Nachrichten im Internet verfolgen, können Tag für Tag einen Bericht über die Ereignisse in der Ukraine finden. Nehmen wir zum Vergleich den Krieg im äthiopischen Tigray und den angrenzenden Regionen, in denen seit Ende 2020 Krieg herrscht – und damit nicht nur das Leben von Hunderttausenden Menschen aus Äthiopien zum Erliegen gebracht hat, sondern auch das von Asylbewerber*innen aus Eritrea, dem Südsudan und Somalia, die ihre Heimatländer auf der Suche nach Sicherheit im Tigray verlassen hatten.

Dieser Krieg, der 17 Monate andauerte, bevor im März ein humanitärer Waffenstillstand verkündet wurde, mag zwar für Schlagzeilen gesorgt haben und eine humanitäre Priorität bleiben, doch wurde in den Medien nicht annähernd so viel darüber berichtet wie über den anhaltenden Krieg in der Ukraine.

Nach Recherchen der Branche ist der Unterschied in der Berichterstattung über die Kriege in den ersten beiden Wochen erstaunlich. Im November 2020 wurde der Tigray-Krieg in den globalen Medien nur knapp über 1.600 Mal erwähnt. Der Beginn des Krieges in der Ukraine hingegen wurde in den ersten zwei Wochen 291.000 Mal erwähnt. 

Wie sieht es mit der Finanzierung dieser Krisen aus? 

Es mag trivial klingen, aber der Grad der Aufmerksamkeit, den Krisen und Konflikte in der Öffentlichkeit erhalten, ist von großer Bedeutung und hat oft Auswirkungen auf die Finanzierung der humanitären Reaktion. Je mehr in den Medien über eine Krise berichtet wird, desto mehr interessiert sich die Öffentlichkeit dafür und desto mehr wollen die Regierungen zeigen, dass sie handeln. 

Das ist etwas, worauf viele in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit derzeit aufmerksam machen, weil sie befürchten, dass im Zuge der sofortigen Unterstützung der Ukraine andere humanitäre Krisen, die ohnehin schon mit einem erheblichen Finanzierungsdefizit zu kämpfen haben, noch weiter ins Hintertreffen geraten könnten. Deshalb wird in vielen Aufrufen zur Unterstützung der Ukraine auch betont, dass es sich dabei um neue, zusätzliche Mittel handeln muss, die nicht aus den bestehenden Hilfsbudgets abgeschöpft werden dürfen.

So heißt es beispielsweise in der Zeitschrift New Humanitarian: "Die Ukraine hat fast dreimal so viel erhalten wie der nächstgrößte Empfänger des UN-Soforthilfe-Mechanismus." 

Betrachtet man die Finanzierungsaufrufe, die es im Jahr 2021 für humanitäre Unterstützung gab, so wird deutlich, dass nicht einmal 50 Prozent der benötigten Mittel aufgebracht wurden. Zu den Aufrufen, die nicht einmal die Hälfte der benötigten Mittel erreicht haben, gehören diejenigen für Burkina Faso, Burundi, Kamerun, Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien und andere. 

Die vom Disasters Emergency Committee, einer privaten Fundraising-Gruppe der 15 größten britischen Hilfsorganisationen, gesammelten Mittel zeichnen ein ähnliches Bild. Die 2014 durchgeführte Kampagne für die Ebola-Krise erbrachte beispielsweise 37 Millionen Pfund (rund 44 Millionen Euro); für den Zyklon Idai, der 2019 das südliche Afrika heimsuchte, wurden 43 Millionen Pfund (rund 51 Millionen Euro) gesammelt; für die Krise in Ostafrika im Jahr 2017 kamen 66 Millionen Pfund (rund 79 Millionen Euro) zusammen. Für die Ukraine erreichte der Aufruf in den ersten zwei Wochen 200 Millionen Pfund (rund 240 Millionen Euro).

Die Mittel für humanitäre Hilfe sind weltweit knapp. Aus einem Bericht des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) geht hervor, dass im Jahr 2022 circa 274 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen werden – die höchste prognostizierte Zahl seit Jahrzehnten. Dem Bericht zufolge werden 41 Milliarden US-Dollar benötigt (rund 37 Milliarden Euro), um die 183 Millionen Bedürftigen in 63 Ländern zu erreichen. Und diese Zahlen beziehen die Naturkatastrophen im südlichen Afrika und die Invasion in der Ukraine und die daraus resultierende zunehmende weltweite Hungerkrise noch gar nicht mit ein. 

Was muss geschehen?  

Wenn wir uns alle einig sind, dass globale Solidarität wichtig ist, dann sollten wir diesem Satz in jeglicher Hinsicht gerecht werden. Wir sollten uns mit allen Teilen der Welt solidarisch zeigen, die in Not sind, und nicht nur mit den Teilen der nördlichen Hemisphäre, die überschwänglich von weißen Menschen bevölkert sind.

Unabhängig davon, wo Krisen und Kriege auftreten, sind Fragen der Vertreibung, der Gewalt, des Hungers und der Armut dringende humanitäre Probleme, die gelöst werden müssen. Die Vorstellung, dass einige Menschen von diesen Krisen ausgenommen sein sollten, nur weil sie sich an einem bestimmten Ort befinden oder eine andere Hautfarbe haben, ist eine Vorstellung, die wir gemeinsam aus unseren Köpfen streichen müssen. 

Der Krieg in der Ukraine hat uns gezeigt, wie globale Unterstützung aussehen kann und was sie bewirken kann, wenn sie in voller Stärke vorhanden ist. Jetzt, da wir wissen, dass es möglich ist, in beeindruckender Zahl zusammenzustehen und all jene zu verteidigen, die schutzbedürftig sind, sollten wir die gleiche Unterstützung für andere Krisen auf der ganzen Welt, in Afrika und im Globalen Süden einbringen. 

Die Art und Weise, wie von den Medien und den Staats- und Regierungschef*innen der Welt über Krisen in afrikanischen Ländern berichtet und gesprochen wird, macht einen Unterschied.  Denn je mehr Augen auf eine Krise gerichtet sind, desto größer ist das Potenzial für dringend benötigte Unterstützung, wie wir am Beispiel der Ukraine gesehen haben. Ein globales Schweigen zu den Krisen in afrikanischen Ländern könnte den Eindruck verstärken, dass sich die Welt nicht um Afrika kümmert – und genau das darf nicht die Botschaft sein, die wir an den Kontinent, seine Länder und seine Menschen senden. 

Opinion

Armut beenden

Wie uns der Krieg in der Ukraine die Augen für Krisen weltweit öffnen muss

Ein Beitrag von Akindare Lewis  und  Khanyi Mlaba