Olaf in der Beek ist Bundestagsabgeordneter und Obmann des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Mitglied im Umweltausschuss. Im Interview mit Global Citizen spricht der FDP-Politiker über Entwicklungspolitik, den Umgang mit Afrika und globale Herausforderungen. Er plädiert dafür, dass die Weltgemeinschaft enger zusammenarbeitet und Verantwortung übernimmt, um den Ärmsten der Welt zu helfen. 

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Herr in der Beek, Sie kritisieren die Verteilung der deutschen Entwicklungsgelder. Wie sähe in Ihren Augen eine ideale Entwicklungszusammenarbeit aus?

Wir müssen weitsichtiger sein. Der größte Fehler der Politik ist es, immer nur zu reagieren. Wir müssen aber mit Visionen vordenken: Wie stellen wir uns das Zusammenleben mit unserem Nachbarn Afrika in 2030 und 2040 vor? Welche Hürden müssen wir überwinden? Wie können wir effizienter zusammenarbeiten? 

Was bedeutet das konkret? 

Für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik braucht es einen langen Atem. Wir müssen Länder langfristig dabei unterstützen, unabhängig von humanitärer Hilfe zu werden. Dafür müssen wir Mädchen stärker fördern und dafür sorgen, dass alle Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Das schaffen wir nicht in einer Legislaturperiode. Das ist eine Generationenaufgabe und auch die Aufgabe der Weltgemeinschaft, den am wenigsten entwickelten Ländern auf die Beine zu helfen. Wir müssen mit unseren europäischen Nachbarn und globalen Partnern enger zusammenarbeiten. Deutschland kann sich aus der internationalen Verantwortung und als Mitglied der Vereinten Nationen nicht so zurückziehen, wie wir es derzeit tun. 

Entwicklungsminister Gerd Müller hat 2017 die ersten “Reformpartnerschaften“ mit Ghana, Tunesien und Elfenbeinküste ins Leben gerufen. Sie sollen dafür sorgen, dass die Länder von mehr Privatinvestitionen, Berufsbildung und Beschäftigung profitieren. Auch daran übten Sie bereits Kritik. Warum? 

Ich bin per se kein Gegner von bilateraler und direkter Hilfe. In entwickelten Ländern wie Tunesien, in denen es darum geht, die Wirtschaft anzukurbeln und Jobs für Uni-Absolvent*innen zu schaffen, sind weiterführende, enge Partnerschaften in jedem Fall sinnvoll. 

Aber wir brauchen eine bessere Balance. Derzeit werden 80 Prozent der Entwicklungsgelder bilateral ausgegeben. Das heißt, sie gehen direkt an Partnerländer oder ausführende Institutionen wie die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Nur 20 Prozent stecken wir in globale Fonds, die viel besser dafür geeignet sind, die Basisarbeit wie Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Mädchenförderung zu leisten. 

Wir müssen aber eine Entwicklungspolitik hinbekommen, bei der wir das eine tun, ohne das andere zu vernachlässigen.

Sie sitzen nicht nur im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch für Umwelt. Wie hängen Umweltschutz und Entwicklungszusammenarbeit zusammen? 

Das ist eine wichtige Frage. Denn Entwicklung bedeutet auch, dass mehr Energie verbraucht werden wird. Stellen wir uns nur mal vor, dass wir in jedem Haushalt in Afrika eine Steckdose installieren würden – das wäre ein enormer zusätzlicher Energiebedarf wie wir ihn uns gar nicht vorstellen können. Wir bräuchten zwischen 1.000 bis 1.400 Kohlekraftwerke oder 500-600 Kernkraftwerke oder zig Staudämme, was ebenfalls problematisch wäre, denn dafür müssten Wälder gerodet werden. 

Es ist nur fair, dass Afrika auch an dem globalen Wohlstand partizipieren darf. Aber wir müssen schon jetzt darüber nachdenken, wie das funktionieren kann, ohne dass das Klima darunter leidet. 

Deshalb plädiere ich dafür, eine Weltbevölkerungskonferenz einzuberufen, um genau diese Probleme – Energie, Ernährung und Wachstum – zu besprechen. Damit müssen wir jetzt anfangen.

Deutschland hat 2009 die direkte Entwicklungszusammenarbeit mit China beendet. Allerdings wurden China 2018 über die Förderbank KfW Kredite im Wert von 640 Millionen Euro von Deutschland zur Verfügung gestellt – zu vergünstigten Konditionen. Was ist daran falsch? 

Diese Gelder kommen aus dem Topf, der für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht. Das finde ich problematisch. Auf der einen Seite kritisieren wir, wie die Seidenstraße gebaut wird, auf der anderen Seite sind wir das einzige Land, das China noch als "Entwicklungsland" behandelt und deshalb vergünstigt Geld verleiht – das passt für mich nicht zusammen. 

Das heißt nicht, dass wir China kein Geld leihen sollten, aber nicht zu vergünstigten Konditionen. 

In welche Richtung steuern wir mit der deutschen Entwicklungspolitik gerade? Welche Chancen und Risiken gibt es?

Wir haben mit Gerd Müller einen Ankündigungsminister, der es sehr gut versteht, ein Thema ins Schaufenster zu stellen. Das positive daran ist: Er schafft es, ein Thema in den Fokus zu stellen. 

Aber wir müssen dann auch den Finger in die Wunde legen und gucken, was wirklich passiert: Wie sinnvoll werden die Steuergelder überhaupt eingesetzt? Wie nachhaltig sind die Sonderinitiativen? Mit diesen Frage müssen wir und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sich viel stärker auseinandersetzen.

Auf der anderen Seite haben wir in den letzten Jahren auch schon einige Fortschritte bewirkt und Fonds wie die globale Partnerschaft für Bildung (GPE) und die Impfallianz Gavi mit mehr Geld unterstützt. Aber da muss noch mehr passieren! 

Seit Jahrzehnten verspricht Deutschland, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Tatsächlich wurde dieses Ziel aber nur ein einziges Mal erreicht. Sollten wir dennoch weiter an diesem Ziel festhalten? 

Die FDP steht ohne Wenn und Aber hinter diesem Ziel. Und wir stehen auch klar zu dem Ziel, 0,2% für die ärmsten Länder der Welt (LDCs) auszugeben. Da brauchen wir auch noch mehr Unterstützung von den NGOs, dieses Ziel einzufordern. Denn es geht nicht nur darum, mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit zu bekommen. Sondern auch darum, sie sinnvoll einzusetzen. Und den ärmsten Ländern der Welt auf die Beine zu helfen, muss Priorität haben.

Editorial

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Ein Beitrag von Jana Sepehr