Dieses Schulprojekt gibt Kindern in Südafrika ein Stück Identität

Autor:
Mbali Kgame

Eine Generation. Eine Zukunft.
Überall auf der Welt gibt es junge Aktivist*innen, die mit ihrem Handeln dazu beitragen, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen. Diese Aktivist*innen wollen wir in der Serie Eine Generation. Eine Zukunft. in den Mittelpunkt stellen. Nokuthula Daweti und Sanele Ntshingana möchten die Geschichte Afrikas aus einer afrikanischen Perspektive vermitteln – und Kinder in Südafrika dadurch in ihrer Identität stärken.

Der Anfang war gemacht: Im vergangenen Jahr verkündete Angie Motshekga, Ministerin für Grundschulbildung in Südafrika, dass an allen Schulen im Land afrozentrische Geschichte gelehrt werden soll. Der Unterrichtsinhalt soll dabei so gestaltet werden, dass afrikanische Schüler*innen ihre Geschichte aus einer afrikanischen Perspektive vermittelt bekommen – mit dem Ziel, sich in ihrer Identität bestärkt zu fühlen.

“Ein nachvollziehbarer, vielseitiger und präziser Geschichtsunterricht soll unsere Schüler*innen dazu befähigen, sich selbst besser kennenzulernen und ihr Land dabei zu unterstützen, gemeinsam voranzukommen“, so Motshekga.

Doch die offizielle Umsetzung dieses Vorhabens ließ auf sich warten. Was die beiden Aktivist*innen Nokuthula Daweti und Sanele Ntshingana dazu brachte, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Daweti ist Masterstudentin für Umweltbildung an der Rhodes University in Makhanda, Ostkap, während Ntshingana afrikanische Sprachwissenschaften (M.A.) studiert hat. In den letzten 12 Monaten haben sie gemeinsam die sogenannte “Afrocentric Walking Library” ins Leben gerufen: Eine mobile Bibliothek mit Fokus auf afrikanische Geschichte.

“Wir haben unsere “mobile Bücherei” mit der Intention gegründet, vor allem Kinder in den Townships mit Büchern zu versorgen“, erzählt Daweti Global Citizen. “Dafür waren wir in verschiedenen Gegenden rund um Makhanda unterwegs. Wir wollten Kindern den Zugang zu Büchern ermöglichen – und zwar nicht irgendwelche Bücher, sondern Werken von afrikanischen Autor*innen, deren Inhalte ihre eigene Herkunft würdigen.“

Ihre Idee zur mobilen Bibliothek war eine kritische Antwort auf die anhaltende Lesekrise in Südafrika. 2016 ergab die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), dass 78 Prozent aller Viertklässler in Südafrika in die niedrigste Stufe der IGLU-Skala fallen – und demnach Inhalte zwar lesen, aber nicht verstehen können.

Als Daweti und Ntshingana ihr Projekt starteten, wurde ihnen schnell klar, dass diese Krise nicht nur auf mangelnden Lesefähigkeiten beruhte, sondern auch auf einer sozialen Schieflage. Denn was diese Kinder in den Schulen lernten, war vordergründig von einer eurozentrischen Perspektive geprägt. Mit anderen Worten: Die Unterrichtsinhalte spiegelten weder die Identität, noch die Lebenswelt der Kinder wider.

Das veranlasste die beiden Aktivist*innen dazu, das Bereitstellen von Büchern afrikanischer Autor*innen mit einem breiten Spektrum an Perspektiven zu einem entscheidenden Teil ihrer Mission zu machen.

Was mit einer Reihe von Samstagsbesuchen und Taschen voller Bücher für die Kinder begann, entwickelte sich rasch zu einem regelmäßigen, außerschulischen 3-Tages-Programm, sowie einem ganztägigen Angebot an der Rhodes University.
Bald darauf tauften die teilnehmenden Kinder die Initiative “Isikolo Sama Afrika“ –  was auf isiXhosa so viel wie “Schule für Afrikaner*innen“ bedeutet.

Heute versammelt die “Isikolo Sama Afrika“ dank der Mentorschaft des Lehrers und Historikers  Nomathamsanqa Tisani insgesamt 36 registrierte Schüler*innen unter ihrem Dach.

Daweti und Ntshingana definieren ihre Arbeit als “engagierte, sozial verantwortliche Politik“. Als Teil des “Makhanda Black“ Kollektivs – einem interdisziplinären, generationsübergreifenden Projekt, das sich aus Künstler*innen und Aktivist*innen aus den Bereichen soziale Gerechtigkeit und Umwelt, sowie Eltern und Schüler*innen aus und um Makhanda herum zusammensetzt – nennen sie sich selbst auch gerne “community engaged think doers.”

"In Anbetracht unserer Herkunft und der Unterstützung, die mir meine Gemeinde und Menschen von außerhalb zuteil werden ließen, haben wir das Bedürfnis verspürt, dieses Vertrauen zurückzugeben und unser Projekt zur Lebensaufgabe zu machen“, so Ntshingana über das gemeinsame Projekt.

Ntshingana und Daweti sind davon überzeugt, dass Kinder mehr als nur eine neue Lesekultur und Begeisterung für Bücher brauchen – denn die mit der Lesekrise zusammenhängenden Probleme sitzen viel tiefer.

“Diese Probleme sind eher von sozio-ökonomischer und psychologischer Natur“, so Daweti. “Unser Projekt soll eine heilende Wirkung auf die Kinder haben. Deshalb haben wir einen Lehrplan entwickelt, der die Auseinandersetzung mit diesen Themen fördert.”

Die “Isikolo Sama Afrika“ besteht aus vier Unterrichtseinheiten. Es gibt zum einen Natur- und Umwelterziehung, wo den Kindern spirituelle, afrikanische Traditionen für den Schutz und die Nähe zur Natur vermittelt werden.

Dann gibt es “Imbaliyethu, Unsere Geschichte“ – Unterricht, bei dem afrikanische Geschichte gelehrt wird. Der dritte Bereich ist ein Kunstprogramm, das verschiedene Formen afrikanischer, künstlerischer Ausdrucksformen wie Poesie, Perlenstickerei, Malerei und kreatives Schreiben fördert. Und zu guter Letzt werden Praktika und Exkursionen außerhalb Makhandas angeboten, um den Kindern zu zeigen, dass es über die Grenzen ihres Viertels hinaus weitaus mehr zu entdecken gibt. Orte wie das Amazwi Museum für Südafrikanische Literatur zum Beispiel oder die “Black Power Station“ – ein Treffpunkt für lokale kreative Köpfe, wo Filmvorführungen stattfinden – und natürlich die Rhodes University.

Für Daweti bietet dieses Schulmodell Kindern Zugang zu einer Kultur- und Allgemeinbildung, die sie in ihren Schulen und Gemeinden vermissen.

“Als ich klein war, hatte ich keinen Zugang zu einem solchen Austausch“, sagt Daweti. “Jetzt, als Erwachsene, schaue ich zurück und denke mir, dass es mir eine andere Sicht auf das Leben gegeben hätte. Die eigene Geschichte zu kennen, ist ein unglaublich bestärkendes Gefühl.“

Für Ntshingana entstand das Schulprojekt “aus dem tiefen Bedürfnis vieler junger Gemeindemitglieder heraus, die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung in einem Südafrika nach der Apartheid zu verbessern. Wir hatten das Gefühl, dass sich das Leben für uns nicht grundlegend verändert hatte.“

Eine von Africa Check veröffentlichte Statistik zeigt, dass Ostkap mit 72,9 Prozent den größten Anteil an Menschen in Südafrika hat, die in Armut leben. Außerdem sind 9 von 10 armen Menschen in Südafrika (93 Prozent) dunkelhäutig.

Für die Zukunft hoffen Ntshingana und Daweti, ihr Projekt weiter ausbauen zu können: "Das ist eine Lernmöglichkeit für alle, die Teil von “Isikolo Sama Afrika“ sind und sein möchten”, sagen sie.