Eigentlich war mir schon immer klar, dass der weibliche Körper zu ziemlich erstaunlichen Dingen fähig ist. Ich meine, schließlich sind wir Frauen in der Lage menschliches Leben auszutragen.
Vor kurzem bin ich allerdings über einen Facebook Eintrag von Nicholas Kristof gestolpert, bei dem mir sprichwörtlich die Kinnlade runterklappte und ich laut ausrief: 'Meine Brüste können WAS?!'. 

Während seiner letzten Reise nach Angola besuchte Kristof ein Krankenhaus im südlichen Teil des Landes. In besagtem Krankenhaus traf er auf eine Frau, die ein unterernährtes Baby mit Muttermilch aus Ihrer Brust stillte. So weit so gut. Allerdings war die Frau nicht die Mutter des Kindes, sondern die Tante. Die leibliche Mutter war bei der Geburt verstorben und das Überleben des Kindes lag jetzt in den Händen der Tante. Solche Schicksale sind leider nicht selten - was allerdings absolut außergewöhnlich war, war der Umstand, dass die Tante in der Lage war, Milch zum Stillen des Babys zu produzieren. 

Hier ist der erwähnte Facebook Eintrag von Nicholas Kristof:

Übersetzung: 
Also ich hab eine Frage zum Thema Stillen. Irgendwelche Experten unter euch? Ich bin in Angola einem unterernährten Säugling begegnet. Die Mutter ist während der Geburt verstorben, und der Kleine wurde von seiner Tante gestillt. Das hat mich echt verwirrt, und ich hab die Tante angesprochen wie es sein kann, dass sie Muttermilch hat. Sie wusste selbst nicht warum, aber das Krankenhauspersonal hätte ihr gesagt, dass wenn ein Baby lange genug an einer Brust saugt, quasi jede Frau Milch produzieren kann. Ich dachte ernsthaft, dass das absolut unmöglich ist! Aber ein Unicef Kinderarzt, der mit mir vor Ort war, bestätigte das Ganze. Ich hab dann am nächsten Tag nochmal auf einer Wöchnerinnenstation nachgefragt und das Personal dort hat ebenfalls bestätigt, dass, selbst wenn eine Frau vor Jahren ihr letzten Kind zur Welt gebracht hat, sie immer noch in der Lage ist Muttermilch zu produzieren, wenn ein Baby nur lang genug an ihren Brustwarzen saugt. Danach hab ich eine befreundete Frauenärztin in Amerika zu dem Thema angeschrieben, und sie hat auch gesagt dass sie schon mal davon gehört hat. Ich kann's immer noch kaum glauben, aber inzwischen frag ich mich echt ob da was dran ist? Und würde das auch für Frauen gelten die noch nie ein Kind zur Welt gebracht haben? Oder Frauen deren letzte Entbindung Jahre her ist? Und wird viel Milch produziert? Ich meine, das Kind in Angola war unterernährt, was doch eventuell heißt, dass die Methode nicht wirklich effektiv ist - aber falls doch, würde das doch bedeuten, dass vor allem in armen Ländern bei weitem nicht so ein Aufwand betrieben werden muss eine Ammen zu finden wenn eine Frau bei der Geburt verstirbt. Hat irgendwer verlässliche Informationen zu dem Thema?

Nachdem ich den Eintrag gelesen hatte, war ich mindestens so perplex wie Nicholas Kristof. Wie ist so etwas überhaupt möglich? Ich meine, ich kann ja noch nachvollziehen dass Frauen, die schon mal Muttermilch produzieren haben weiterhin in der Lage sind,  Milch zu produzieren, aber müsste das nicht zumindest zeitlich kurz aufeinander folgen? Und könnte jemanden wie ich, die noch nie ein Kind zur Welt gebracht hat, tatsächlich Muttermilch produzieren? Meine Überlegungen gingen sogar soweit, dass ich mich ernsthaft fragen musste, ob Greg Focker (aus dem Film 'Meine Braut, ihr Vater und ich') mit seiner Aussage recht hat, dass man "alles melken kann was Nippel hat"?

Tumblr: Whereismyoscar

Gott sei Dank gehört Nicholas Kristof zu der Sorte der zuverlässigen Journalisten, und lieferte kurze Zeit nach seinem Facebook Eintrag einen weiteren Beitrag, in welchem die meisten meiner Fragen beantwortet wurden. Ich versuche mal seine Ergebnisse zusammen zu fassen, aber um die Ausgangsfrage schon mal vorweg zu nehmen: die Antwort ist ja. Durch entsprechende Stimulation der Brüste ist eine Frau in der Lage, Muttermilch zu produzieren, auch wenn die letzte Entbindung schon einige Zeit zurückliegt.

Dieser Prozess ist auch unter dem Begriff 'Relaktation' oder 'Induzierte Laktation' bekannt, und umschreibt einen Vorgang, bei welchem die Brüste der Frau durch entsprechende Reizung stimuliert werden. So eine Reizung könnte zum Beispiel ein saugendes Baby sein. Allerdings würde es in so einem Fall eine Menge Saufkraft benötigen um tatsächlich die Milchproduktion anzuregen. Einige Frauen können daher nahezu ein Jahr brauchen bis sie Muttermilch produzieren, während andere Frauen bereits recht früh Muttermilch produzieren. 

Das faszinierendste an diesem Prozess ist jedoch, dass selbst Frauen, die noch nie ein Kind zur Welt gebracht haben oder längst über ihre Menopause hinweg sind, immer noch in der Lage sind, durch diese Art von Stimulation Muttermilch zu produzieren. Diese Tatsache ist sowohl bizarr als auch verblüffend zugleich, und ich muss zugeben (so komisch das klingen mag) ich sehe meine eigenen Brüste jetzt in einem anderen Licht. 

Kristof ging noch einige Schritte weiter und stellte Fragen zur Qualität der Muttermilch und die Wirksamkeit dieser Methode. Diese Fragen kamen auf, da in dem Fall des Säuglings in Angola das Kind trotz der Muttermilch seiner Tante immer noch stark unterernährt war, und diese Art der Ernährung somit nicht ausreichend schien. Und durchaus scheinen Forschungsergebnissen zwar maßgeblich zu dem Schluss zu kommen, dass Milch aus induzierter Laktation im Grunde genommen der 'echten' Muttermilch durchaus ähnlich ist, allerdings würden weitere Untersuchungen benötigt um wirklich feststellen zu können wie effektiv dieses Methode ist. In vielen Kulturen ist es durchaus gängig, dass, wenn eine Mutter während der Geburt verstirbt, die Gemeinde schnellstmöglich nach einer Frau sucht die bereits Muttermilch hat oder vor kurzem noch gestillt hat, um das verwaiste Neugeborene zu retten. Diese Vorgehensweise lässt die Vermutung zu, dass diese Methode also wesentlich besser funktioniert wenn die Mutter vor kurzem erst noch Muttermilch hatte, statt den Prozess durch Stimulation in Gang zu setzen. 

Auch wenn der induzierten Laktation somit Grenzen gesetzt sind, komme ich nicht umher mich zu wundern - welcher Bedeutung kann man dieser Methode beimessen?

Der Fall in Angola hat gezeigt, wie die Methode genutzt werden kann wenn eine Mutter bei der Geburt verstirbt und ein hungriges verwaistes Kind zurücklässt. Was wäre also wenn beispielsweise eine Mutter an einer Krankheit wie Ebola verstirbt? Oder Frauen die an Aids erkrankt sind und denen in der Vergangenheit immer davon abgeraten wurde ihre Kinder zu stillen, aus Angst vor einer Übertragung der Krankheit auf das Kind? Könnte induzierte Laktation dabei helfen, diese Kinder mit nahrhafter Muttermilch zu versorgen und Ihnen die notwendige körperliche Zuneigung zu geben, die natürliches Stillen mit sich bringt? 

Ich bin mit Sicherheit nicht diejenige Person, die Antworten auf all diese Fragen hat. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Suche nach Antworten absolut lohnenswert ist. Was ich hingegen ganz sicher weiß, ist die Tatsache, dass der menschliche Körper zu einigen absolut erstaunlichen Dingen fähig ist - und die induzierte Laktation ist nur eine von diesen Dingen. 

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Editorial

Gerechtigkeit fordern

Meine Brüste können WAS?!

Ein Beitrag von Chelsea White