Warum das wichtig ist
40 Millionen Menschen weltweit sind Opfer moderner Sklaverei – mehr als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Ziel acht der 17 Global Goals der Vereinten Nationen (UN) setzt sich für die Bekämpfung von Sklaverei und Menschenhandel ein. Werde hier aktiv, um die Ärmsten der Welt zu unterstützen.

Mary Cavner war gerade elf Jahre alt, als ihr Vater im Jahr 1951 starb.

Danach übernahm ein Gericht in Cork, Irland, die Erziehungsbefugnis über sie. Berichten zufolge wurde Cavner von ihren Geschwistern getrennt und in eine der berüchtigten Besserungsanstalten für Mädchen gebracht, die oft von katholischen Nonnen geleitet wurden.

Diese “Magdalenenheime“ wurden ursprünglich als Auffanghäuser für sogenannte “gefallene“ Mädchen eingerichtet. Doch vor allem in Irland entwickelten sie sich unter dem Deckmantel der Kirche zu Arbeitslagern, in denen junge Mädchen unbezahlter Zwangsarbeit ausgesetzt wurden.

Eines dieser Mädchen war Mary Cavner. Eine Schulausbildung wurde ihr verweigert, stattdessen verbrachte sie viele Jahre damit, den Ordensschwestern das Essen zu servieren und für sie zu putzen. Sie selbst litt unter Mangelernährung. Zudem kümmerte sie sich um die Säuglinge der “gefallenen“ Frauen, die laut Berichten der BBC wie Cavner in die größte irische Mädchenschule “Good Shepherd Convent“ in Cork gebracht worden waren.

Cavners Arbeitstage endeten meist um zehn Uhr abends. Fünf Jahre und elf Monate verbrachte sie Berichten zufolge in diesem Arbeitslager für Frauen – ohne Lohn.

Viele Jahrzehnte später ist nun der Moment gekommen, an dem Mary Cavner zumindest ein Funken Gerechtigkeit zuteil wurde. Die vierfache Mutter hat im Alter von 80 Jahren eine Entschädigung von der irischen Regierung in Höhe von 76.000 Euro zugesagt bekommen, nachdem sie Klage erhoben hatte.

Bis dahin war es ein langer, harter Kampf.

Ihr Gerichtsverfahren zog sich über acht Jahre hin. Zunächst wurde ihr eine Entschädigung verweigert, da die Behörden behaupteten, Cavner sei bei der “St Finbarr’s Industrial School“ untergekommen – einer Mädchenschule, die dem Magdalenenheim angegliedert war und die vom staatlichen Kompensationsprogramm ausgeschlossen wurde.  

Cavner beschloss, sich gemeinsam mit anderen Frauen an den Ombudsrat zu wenden – ein freies, unabhängiges Gremium, das zu Unrecht abgelehnte Beschwerden und Rechtsverstöße in Irland aufdeckt.

Im November 2017 fertigte ein beteiligter Ombudsmann eine Untersuchung mit dem Titel "Opportunity Lost" an, in der er die Struktur der Arbeitslager der Magdalenenheime genauer analysierte. Hier sprach er die Empfehlung an die Regierung aus, die Beschwerde der betroffenen Frauen in das staatliche Kompensationsprogramm aufzunehmen.

“Ich wurde dort festgehalten und ausgebeutet, bis ich fast 18 Jahre alt war“, sagt Cavner. “Es war uns nicht erlaubt, mit anderen zu sprechen oder uns zu treffen.“

“Ich habe meinem Ehemann und meinen Kindern gegenüber nie erwähnt, was mir angetan wurde, deshalb habe ich meinen ganzen Mut aufbringen müssen, um zuzugeben, was ich durchgemacht habe – und dann wurde ich [vom Gericht] zur Lügnerin erklärt“, fügt sie hinzu.

“Meine Erfahrungen in dem Arbeitslager machten es mir unmöglich, diese angemessen wiederzugeben (…) Das [erste Gerichtsverfahren] war eine sehr schwierige Zeit für mich, da ich gezwungen war, alles noch einmal zu durchleben, und als ich dann beschuldigt wurde, nicht die Wahrheit zu sagen, fühlte ich mich zurückgewiesen.“

2013 entschuldigte sich die irische Regierung offiziell bei den Überlebenden der Arbeitslager und sprach 770 Frauen eine Kompensation von insgesamt rund 31,7 Millionen Euro zu.

Es wird allerdings angenommen, dass zwischen 1922 und 1996 über 10.000 Frauen und Mädchen in den Zwangslagern festgehalten wurden.

“Als Gesellschaft haben wir euch über viele Jahre Unrecht angetan“, sagte der damalige Premierminister Irlands Enda Kenny vor dem irischen Parlament und betroffenen Überlebenden im Februar 2013. “Wir haben euch vergessen. Oder wenn wir an euch gedacht haben, dann in falschen und beleidigenden Stereotypen. Das ist eine nationale Schande – die uns unfassbar leid tut und für die ich mich voll und ganz entschuldigen möchte.“

Heute lebt Cavner in Hampshire, England. Ihre Tochter, Mandie Stannard, hat sie während des gesamten Gerichtsprozess unterstützt.

“Meine Mutter war während ihrer Zeit in dem Lager nicht einen einzigen Tag in der Schule, aber uns wurden Protokolle zugeschickt, die vorgeben, sie sei jahrelang jeden Tag in der Schule gewesen“, erzählte Stannard dem Nachrichtenmagazin Irish Times. “Von dem Moment, an dem sie das Arbeitslager betrat, hat sie fast sechs Jahre lang durchgearbeitet.“

“Während des Gerichtsverfahrens wurde meine Mutter als Lügnerin dargestellt und die Art und Weise, wie diese Frauen behandelt wurden, ist widerwärtig“, fügt sie hinzu. “Sie haben meiner Mutter ihre Kindheit genommen und dann so behandelt. Das ist ein Skandal.“

Leider gehören solche Fälle von moderner Sklaverei noch immer nicht der Vergangenheit an.

Ganz im Gegenteil: Heute leben mehr Menschen in Sklaverei als jemals zuvor. Laut Schätzungen sind über 40 Millionen Menschen weltweit betroffen, etwa 25 Millionen von ihnen fallen der Zwangsarbeit zum Opfer.

Der Lebensstil von Menschen der westlichen Welt fördert die moderne Sklaverei.

Denn Zwangsarbeit steckt in vielen Produkten des täglichen Konsums wie Kakao, Kaffee und Haselnüssen. Zudem werden viele Menschen weltweit in Arbeitsverhältnissen oder durch sexuelle und häusliche Dienstleistungen ausgebeutet – ähnlich wie Cavner in den 50er Jahren.

Andere Überlebende berichteten, in den Magdalenenheimen über ihren gesamten Aufenthalt eingesperrt worden zu sein und dort Hunger und Folter erfahren zu haben. Zudem wurden sie gezwungen, vom Boden zu essen. Die letzte Einrichtung dieser Art wurden in Irland 1996 geschlossen. Seitdem wurden im ganzen Land Massengräber entdeckt, die die Überbleibsel von hunderten jungen Frauen und Säuglingen enthalten.

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Ein Beitrag von James Hitchings-Hales  und  Pia Gralki