Warum das wichtig ist:
In der Wissenschaft ist Sexismus weit verbreitet. Sollte sich der Fortschritt weiterhin im aktuellen Tempo vollziehen, könnte es noch 258 Jahre dauern, bis sich das GeschlechtergefÀlle in der Physik ausgleicht. Werde hier mit uns aktiv, um Geschlechtergleichheit in der Welt jetzt voranzubringen.

Dr. Jess Wade hat das vergangene Jahr damit verbracht, Hunderte von Wikipedia-Artikeln zu schreiben.

“Ich habe im letzten Jahr etwa 270 EintrĂ€ge geschrieben“, sagt Wade. “Ich wollte einen pro Tag fertigstellen, aber manchmal ging die Begeisterung mit mir durch, sodass ich drei verfasste.“

Wade ist Postdoktorandin am Blackett Laboratory, der naturwissenschaftlichen FakultÀt des Imperial College, einer Technischen UniversitÀt in London. Das berichtet der Guardian in einem Interview. Wenn sie sich nicht mit der Erforschung von Elektronik aus Plastik beschÀftigt, arbeitet sie als Historikerin, GeschichtenerzÀhlerin oder schreibt Dokumentationen.


Mit ihrer Wikipedia-Mission lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die derzeit kaum anerkannte Arbeit von Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt.

“Mir ist klar geworden, dass wir die Dinge nur von innen heraus verĂ€ndern können“, sagt sie. “Wikipedia ist eine wirklich großartige Möglichkeit, Menschen in diese Mission einzubinden. Je mehr man ĂŒber diese sensationellen Frauen liest, desto mehr wird man von ihren persönlichen Geschichten motiviert und inspiriert.”

“Ich schĂ€tze, es geht darum, die Wissenschaft zu einem besseren Ort fĂŒr alle zu machen, und um das zu erreichen, mĂŒssen wir die Leistung dieser großartigen Frauen anerkennen“, fĂŒgt Wade hinzu. “Das ermöglicht den jungen Frauen, die in Zukunft kommen werden – und das werden sie ganz sicherlich – einen weitaus besseren Start.”



Wades erster Eintrag war der amerikanischen Klimaforscherin und Professorin Kim Cobb gewidmet. Sobald sie einen neuen Artikel geschrieben hat, lĂ€sst sie es die Öffentlichkeit manchmal auch ĂŒber Twitter wissen.

Wade war der Mangel an Frauen in der Wissenschaft kaum bewusst – bis sie ihre Doktorarbeit begann. Damals kam sie von einer reinen MĂ€dchenschule und mit einer naturwissenschaftlich geprĂ€gten Erziehung zum Physikstudium an das Imperial College London.

Jetzt spricht sie mit Schulen, Lehrer*innen und Eltern darĂŒber, wie man mehr Frauen in die Naturwissenschaften, Technik, in das Ingenieurwesen und die Mathematik bringen kann. “Es ist schwer, isoliert zu sein – das gilt fĂŒr alle unterreprĂ€sentierten Gruppen“, sagt sie. “WĂ€hrend der Promotion verstĂ€rkt sich diese Isolation durch den Stress zusĂ€tzlich. Wenn du niemanden hast, der dir wirklich nahe steht, ist es sehr schwer“.

Laut einer Studie, die in dem Magazin Dazed aufgegriffen wurde, könnte es 258 Jahre dauern, um die Geschlechterungleicheit in der Physik zu ĂŒberwinden. Derzeit stellen Frauen nur 12,8 Prozent aller ArbeitskrĂ€fte im wissenschaftlichen Bereich. Das Problem setzt allerdings schon viel frĂŒher an: Nur 21 Prozent aller Abiturient*innen weltweit sind weiblich.

Was Wade neben diesen Zahlen zusÀtzlich frustriert, sind die oft halbherzigen Versuche, etwas an ihnen zu Àndern, sagt sie.

“Es fließt so viel Energie, Aufwand und Geld in all diese Initiativen, die MĂ€dchen in die Wissenschaft bringen sollen“, sagt Wade dem Guardian. Berichten zufolge werden jĂ€hrlich mehr als 5,8 Millionen Euro in die Öffentlichkeitsarbeit der unterschiedlichen Kampagnen investiert, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. “Absolut keine von diesen [Initiativen] basiert auf Fakten und keine von ihnen funktioniert.“

Wade denkt dabei beispielsweise an das Video der europĂ€ischen Kommission “Wissenschaft ist Frauensache“, in dem Models in High Heels und Sonnenbrillen vor einem rosafarbenen Hintergrund in einem Labor herumstolzieren.

Oder an die Kampagne “9 Prozent ist nicht genug“ der britischen Interessenvertretung fĂŒr Berufe im Ingenieur- und Technikbereich aus dem Jahr 2016. In ihrem Aufruf bezieht sich die Kampagne auf den niedrigen Anteil von Frauen im Ingenieurwesen – und vermittelt damit eine grundsĂ€tzlich negative Ausgangssituation.

“Es Ă€rgert mich, dass diese Kampagnen auch nur fĂŒr einen kurzen Augenblick denken, dass sie damit etwas Ă€ndern könnten”, erklĂ€rt Wade.

Neben ihrem Projekt, die Geschichten von Wissenschaftlerinnen festzuhalten, hat Wade 70 Exemplare des Buchs “Inferior” (zu deutsch soviel wie “minderwertig”) von Angela Saini aufgekauft und verteilt. Die Autorin untersucht die vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen, die fĂŒr die Entstehung geschlechterspezifischer Stereotype mitverantwortlich sind.

Wade nominiert auch andere Frauen fĂŒr Wissenschaftspreise, darunter die Astrophysikerin Emma Chapman. Sie gewann den Royal Society Athena Prize fĂŒr ihren Einsatz gegen sexuelle BelĂ€stigung im akademischen Bereich.

Global Citizen Life

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Ein Beitrag von James Hitchings-Hales