Dr. Jess Wade hat das vergangene Jahr damit verbracht, Hunderte von Wikipedia-Artikeln zu schreiben.
âIch habe im letzten Jahr etwa 270 EintrĂ€ge geschriebenâ, sagt Wade. âIch wollte einen pro Tag fertigstellen, aber manchmal ging die Begeisterung mit mir durch, sodass ich drei verfasste.â
Wade ist Postdoktorandin am Blackett Laboratory, der naturwissenschaftlichen FakultÀt des Imperial College, einer Technischen UniversitÀt in London. Das berichtet der Guardian in einem Interview. Wenn sie sich nicht mit der Erforschung von Elektronik aus Plastik beschÀftigt, arbeitet sie als Historikerin, GeschichtenerzÀhlerin oder schreibt Dokumentationen.
Mit ihrer Wikipedia-Mission lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die derzeit kaum anerkannte Arbeit von Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt.
âMir ist klar geworden, dass wir die Dinge nur von innen heraus verĂ€ndern könnenâ, sagt sie. âWikipedia ist eine wirklich groĂartige Möglichkeit, Menschen in diese Mission einzubinden. Je mehr man ĂŒber diese sensationellen Frauen liest, desto mehr wird man von ihren persönlichen Geschichten motiviert und inspiriert.â
âIch schĂ€tze, es geht darum, die Wissenschaft zu einem besseren Ort fĂŒr alle zu machen, und um das zu erreichen, mĂŒssen wir die Leistung dieser groĂartigen Frauen anerkennenâ, fĂŒgt Wade hinzu. âDas ermöglicht den jungen Frauen, die in Zukunft kommen werden â und das werden sie ganz sicherlich â einen weitaus besseren Start.â
Wades erster Eintrag war der amerikanischen Klimaforscherin und Professorin Kim Cobb gewidmet. Sobald sie einen neuen Artikel geschrieben hat, lĂ€sst sie es die Ăffentlichkeit manchmal auch ĂŒber Twitter wissen.
Meet Prof Tamsin Mather (@tamsinmather), earth scientist @UniofOxford who has travelled the đ studying the chemistry of đ plumes. She worked in @POST_UK + was the â18 @royalsociety Rosalind Franklin đ winner. New @Wikipedia page :https://t.co/iR1nc9J6Mw#womeninSTEM#RSmedalspic.twitter.com/hMAz2XM4VB
â Dr Jess Wade đ©đ»âđŹ (@jesswade) July 23, 2018
đŹ Meet Prof Dorothy Yeboah-Manu, microbiologist @WACCBIP_UG who studies Mycobacterium ulcerans and Mycobacterium africanum. Yeboah-Manu won the 2018 @royalsociety Africa Award. đ New @Wikipedia page: https://t.co/CjIk1rSU0N#womeninSTEMpic.twitter.com/8yIm9wPXyB
â Dr Jess Wade đ©đ»âđŹ (@jesswade) July 21, 2018
Wade war der Mangel an Frauen in der Wissenschaft kaum bewusst â bis sie ihre Doktorarbeit begann. Damals kam sie von einer reinen MĂ€dchenschule und mit einer naturwissenschaftlich geprĂ€gten Erziehung zum Physikstudium an das Imperial College London.
Jetzt spricht sie mit Schulen, Lehrer*innen und Eltern darĂŒber, wie man mehr Frauen in die Naturwissenschaften, Technik, in das Ingenieurwesen und die Mathematik bringen kann. âEs ist schwer, isoliert zu sein â das gilt fĂŒr alle unterreprĂ€sentierten Gruppenâ, sagt sie. âWĂ€hrend der Promotion verstĂ€rkt sich diese Isolation durch den Stress zusĂ€tzlich. Wenn du niemanden hast, der dir wirklich nahe steht, ist es sehr schwerâ.
Laut einer Studie, die in dem Magazin Dazed aufgegriffen wurde, könnte es 258 Jahre dauern, um die Geschlechterungleicheit in der Physik zu ĂŒberwinden. Derzeit stellen Frauen nur 12,8 Prozent aller ArbeitskrĂ€fte im wissenschaftlichen Bereich. Das Problem setzt allerdings schon viel frĂŒher an: Nur 21 Prozent aller Abiturient*innen weltweit sind weiblich.
Was Wade neben diesen Zahlen zusÀtzlich frustriert, sind die oft halbherzigen Versuche, etwas an ihnen zu Àndern, sagt sie.
âEs flieĂt so viel Energie, Aufwand und Geld in all diese Initiativen, die MĂ€dchen in die Wissenschaft bringen sollenâ, sagt Wade dem Guardian. Berichten zufolge werden jĂ€hrlich mehr als 5,8 Millionen Euro in die Ăffentlichkeitsarbeit der unterschiedlichen Kampagnen investiert, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. âAbsolut keine von diesen [Initiativen] basiert auf Fakten und keine von ihnen funktioniert.â
Wade denkt dabei beispielsweise an das Video der europĂ€ischen Kommission âWissenschaft ist Frauensacheâ, in dem Models in High Heels und Sonnenbrillen vor einem rosafarbenen Hintergrund in einem Labor herumstolzieren.
Oder an die Kampagne â9 Prozent ist nicht genugâ der britischen Interessenvertretung fĂŒr Berufe im Ingenieur- und Technikbereich aus dem Jahr 2016. In ihrem Aufruf bezieht sich die Kampagne auf den niedrigen Anteil von Frauen im Ingenieurwesen â und vermittelt damit eine grundsĂ€tzlich negative Ausgangssituation.
âEs Ă€rgert mich, dass diese Kampagnen auch nur fĂŒr einen kurzen Augenblick denken, dass sie damit etwas Ă€ndern könntenâ, erklĂ€rt Wade.
Neben ihrem Projekt, die Geschichten von Wissenschaftlerinnen festzuhalten, hat Wade 70 Exemplare des Buchs âInferiorâ (zu deutsch soviel wie âminderwertigâ) von Angela Saini aufgekauft und verteilt. Die Autorin untersucht die vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen, die fĂŒr die Entstehung geschlechterspezifischer Stereotype mitverantwortlich sind.
"The more you read about these sensational women, the more you get inspired by their personal stories," says Dr Jess Wade.
â Stemettes Âź đ â # + (@Stemettes) July 24, 2018
Jess is on a mission. She wants every woman who has achieved something impressive in science to get the recognition they deserve https://t.co/4SuP9MIGZ9pic.twitter.com/3GB6RaaNhk
Wade nominiert auch andere Frauen fĂŒr Wissenschaftspreise, darunter die Astrophysikerin Emma Chapman. Sie gewann den Royal Society Athena Prize fĂŒr ihren Einsatz gegen sexuelle BelĂ€stigung im akademischen Bereich.