Warum das wichtig ist
Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst “weltwärts” feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Das Programm ermöglicht jungen Erwachsenen zwischen 18 und 28, ein Jahr in einem Entwicklungsland zu leben und zu arbeiten. Fast 40.000 junge Menschen waren seit 2008 in Partnerländern und haben dort an Projekten im Gesundheits-, Bildungs- oder Umweltsektor mitgearbeitet. Seit 2013 absolvieren auch junge Menschen aus den Partnerländern einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Deutschland. Das Programm “weltwärts” wurde vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) ins Leben gerufen.

Vor zehn Jahren ist Franziska Hartmann, heute 29, mit dem Freiwilligenprogramm weltwärts nach Indien gegangen. Sechs Monate lang erlebte sie Land und Leute und sammelte Erfahrungen, die ihren Werdegang prägten: Nach ihrer Rückkehr studierte sie South Asia Studies und arbeitete für Nichtregierungsorganisationen, um sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Heute lebt sie in Berlin und arbeitet bei Global Citizen.

Vor ziemlich genau zehn Jahren bin ich in das bisher größte Abenteuer meines Lebens gestartet. Für mich war klar, dass ich nach dem Abitur nicht direkt mit dem Studium beginnen möchte. Und da mich das Land auf dem asiatischen Subkontinent schon immer faszinierte, war ich mir sicher: Ein sechsmonatiger weltwärts-Freiwilligendienst in Indien ist genau das Richtige!

In Indien angekommen, war ich dann ziemlich überwältigt von all den neuen Eindrücken, die dieses Land, das ich vorher fast nur aus kitschigen Bollywood-Filmen kannte, zu bieten hatte. Hupende Auto-Rikschas, herumstreunende Kühe, fünfköpfige Familien auf einem Scooter, verschiedenste Gerüche und schier unendliche Menschenmassen soweit das Auge reicht.

Nach 20 Stunden im Zug erreichte ich dann meine erste Einsatzstelle: Ein Wohnheim für Mädchen aus armen Familien in Südindien. Hier sollte ich als Lehrerin arbeiten. Ich war zum ersten Mal ganz allein in einem so großen Land, weit weg von zu Hause. Aber ich habe mich schnell eingelebt und nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten, klappte auch die Kommunikation mit Händen und Füßen einigermaßen.

Egal, ob morgens, mittags oder abends: Es gab Reis in verschiedenen Varianten mit scharfem Curry. Das war für mich anfangs so scharf, dass mir vom reinen Hinsehen schon die Tränen liefen. Mit der Zeit wurde es besser und ich wurde geschickter, meine Mahlzeiten mit den Fingern zu essen.

Die Arbeit machte Spaß, war aber auch frustrierend. Denn viele der Lehrerinnen schienen nicht wirklich daran interessiert zu sein, den Kindern etwas für ihr Leben mit auf den Weg zu geben. So konnten viele Mädchen in “meiner” Klasse trotz Schulbesuch nicht lesen und schreiben, wurden aber weiterhin durchgemogelt. Als ich das Thema ansprach, brach mir die Reaktion das Herz. Denn die Lehrerinnen sahen keine Notwendigkeit darin, diese Mädchen zu unterrichten. Aufgrund ihrer schlechten gesellschaftlichen Stellung müssten sie sowieso nicht zur Schule gehen, war ihr Argument.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich zukünftig alles dafür tun will, damit diese Mädchen ganz selbstverständlich zur Schule gehen und ebenso gut unterrichtet werden, wie die übrigen Kinder!

Nach vier Monaten wechselte ich von meinem ersten Einsatzort in ein Gehörlosenheim für Jungen und Mädchen mit angeschlossener Schule. Das war das absolute Highlight meines Freiwilligendienstes. Die Kinder waren so lebensfroh und voller Energie, dass das Unterrichten viel leichter von der Hand ging. Schnell lernte ich die Zeichensprache. Dank der herzlichen Art des Schulleiters und seiner Familie fühlte ich mich sofort wohl.

Ich veranstaltete Malwettbewerbe mit den Kindern, startete ein Mülltrennungs-Projekt, klärte die Kinder auf Wunsch des Schulleiters auf und unterrichtete die Mädchen in Sachen Hygiene. In den letzten zehn Jahren bin ich fünf Mal an die Schule zurückgekehrt und habe den Aufklärungsunterricht weitergeführt, da die anderen Lehrkräfte sich nicht trauen, über diese Themen zu sprechen.

Ich bin für jede einzelne Erfahrung unendlich dankbar: jedes Curry, jede Rikschafahrt, jedes Kricket-Spiel mit den Kindern, jede stundenlange Hochzeit, jede einzelne Schulstunde, jedes Henna-Tattoo auf meinen Armen und jedes Gespräch über Gott und die Welt waren es wert, das bequeme Zuhause für eine Zeit lang zu verlassen und sich auf das Abenteuer einzulassen.

Denn diese Erinnerungen beeinflussen mich und mein ganzes Leben bis heute. Nach meinem Aufenthalt in Indien habe ich mich dazu entschieden, South Asia Studies mit Schwerpunkt Indien in Heidelberg und Berlin zu studieren, um alles über dieses vielfältige Land zu lernen. Mittlerweile habe ich meinen Traum, für eine gerechtere Welt zu kämpfen, dadurch verwirklicht, dass ich seit mehreren Jahren in Nichtregierungsorganisationen arbeite. Ein weltwärts-Freiwilligendienst war für mich die beste Entscheidung und ich kann diese Möglichkeit, eine neue Kultur kennenzulernen und sich auszutauschen, jedem ans Herz legen!

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Ein Beitrag von Jana Sepehr