Wenn wir das aktuelle Tempo beibehalten, wird es noch 300 Jahre dauern, bis wir Gleichberechtigung erreichen. Eine deprimierende Erkenntnis, zu der eine Studie der Vereinten Nationen kam. Deshalb war es dringend notwendig, dass sich das Außen- und das Entwicklungsministerium dazu entschlossen haben, ihre Arbeit “feministisch” zu gestalten.

Das sieht auch Außenministerin Annalena Baerbock so: „Wir verfolgen eine feministische Außenpolitik, weil es bitter nötig ist. Weil Männer und Frauen weltweit noch immer nicht gleichgestellt sind.” Doch wie genau soll das gelingen? Wir erklären euch, was hinter der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik steckt und wann diese Idee überhaupt aufkam. 

Seit wann ist die feministische Außen- und Entwicklungspolitik in Kraft? 

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze kündigte Anfang 2022 eine feministische Entwicklungspolitik an. Auch im Koalitionsvertrag ist der feministische Ansatz im Bereich der Außen-, Verteidigungs-, und Entwicklungspolitik im Sinne des Leitbildes einer Feminist Foreign Policy verankert.

Nach etwas über einem Jahr Vorbereitung haben das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im März 2023 ihre Strategie mit entsprechenden Leitlinien für eine deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik vorgestellt.

Ausgangspunkt dieses Konzepts sind die weltweit noch immer herrschenden strukturellen Benachteiligungen. Denn kein Land der Welt hat bis heute Geschlechtergerechtigkeit erreicht und die Covid 19-Pandemie hat zudem viele Fortschritte zunichtegemacht. 

Wie kam man auf die Idee einer feministischen Außenpolitik? 

Das Konzept der feministischen Außenpolitik ist nicht neu. Die Idee wird bereits seit mehr als 100 Jahren diskutiert. Als wichtiger Meilenstein gilt der Internationale Frauenkongress in Den Haag 1915, der als bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Frauenbewegung gilt. Er wurde von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (International Women's League for Peace and Freedom, WILPF) organisiert, einer Organisation, die sich für Frieden, Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzte.

Was beinhaltet eine feministische Entwicklungs- bzw Außenpolitik?

Die BMZ-Strategie und die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, die das Auswärtige Amt erarbeitet hat, sind eng aufeinander abgestimmt und ergänzen sich. Es sind insgesamt zehn Punkte, die den Rahmen und die Richtung für das Handeln der Mitarbeiter*innen des Auswärtigen Dienstes vorgeben. 

Das Augenmerk liegt dabei vor allem auf den drei “Rs”: auf den Rechten, der Repräsentanz und Ressourcenausstattung von Frauen und marginalisierten Gruppen. 

Die Ungleichbehandlung von Frauen durch Außenpolitik zeigt sich in ganz unterschiedlichen Bereichen, etwa der Klimaaußenpolitik. Laut Vereinten Nationen (UN) sind 2021 bis zu 80 Prozent der Menschen, die aufgrund klimabedingter Katastrophen fliehen mussten, Frauen gewesen. Das soll durch die Leitlinien in Zukunft gezielt berücksichtigt werden. Dazu heißt es: „Wir helfen, die spezifischen Auswirkungen der Klimakrise auf Frauen und marginalisierte Gruppen auszugleichen."

Aber auch intern soll es Veränderungen geben: So soll beispielsweise der Anteil von Frauen in Führungsfunktionen im Auswärtigen Amt erhöht werden. 

Zusammengefasst kann man sagen: Feministische Außen- und Entwicklungspolitik bedeutet, Geschlechtergerechtigkeit zum Leitprinzip der politischen Arbeit zu machen. 

Was ist das Ziel? 

Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik ergänzen sich gegenseitig in ihrem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen. Ziel ist es, die Perspektiven aller Menschen – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Identität, Hautfarbe, Religion, mit oder ohne Behinderungen – zu berücksichtigen. 

Frauen sollen die gleichen Rechte und der gleiche Zugang zu Ressourcen garantiert werden wie Männern. Dazu gehört unter anderem das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, damit jede Frau selbst entscheiden kann, ob, wann und wie häufig sie schwanger werden und wie viele Kinder sie haben möchte. Auch das Recht auf Bildung und eine freie Berufswahl für alle Mädchen weltweit ist eines der Ziele. Außerdem soll darauf hingewirkt werden, dass Frauen in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen gleichberechtigt vertreten und eingebunden werden sollen. 

Auch in Bezug auf die Wahrung von Frieden und Sicherheit sollen Gesundheits- und Klimapolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit mitgedacht werden. Denn Frauen sind häufig stärker von Krisen und Katastrophen betroffen als Männer. 

Bis 2025 sollen deshalb über 90 Prozent der neu zugesagten Projektmittel des Entwicklungsministeriums in Vorhaben fließen, die die Gleichstellung der Geschlechter voranbringen.

Was muss nun passieren, damit die Ziele erreicht werden?

Entscheidend ist, dass den Worten nun auch Taten folgen! Das Ziel der Bundesregierung muss umgesetzt werden, über 90 Prozent der deutschen bilateralen Entwicklungsgelder in Maßnahmen zu investieren, die Geschlechtergerechtigkeit mindestens im Nebenziel verfolgen. Zudem muss die deutsche Bundesregierung klar messbare Indikatoren einer feministischen Entwicklungspolitik entwickeln. 

Gleichzeitig braucht es die finanziellen Mittel, um die Ziele tatsächlich zu verfolgen. Die Welt steht derzeit vor großen humanitären Herausforderungen, die sich infolge von Kriegen, Klimakrise und Inflation zugespitzt haben. Doch statt mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, plant die Bundesregierung ab 2024 drastische Kürzungen. Das würde die Erreichung der Ziele rund um die Gleichberechtigung erheblich erschweren. 

Die Kampagnenorganisation ONE hat eine Petition gestartet, um sicherzustellen, dass es nicht nur bei Worten bleibt, sondern auch Taten folgen. Wir fordern politisches Handeln, das Diskriminierungserfahrung berücksichtigt und menschliche Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Werde aktiv und unterschreibe die Petition.

Global Citizen Explains

Gerechtigkeit fordern

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik – endlich! Doch was bedeutet das eigentlich?

Ein Beitrag von Jana Sepehr