Dr. Gunda Windmüller ist Literaturwissenschaftlerin, Autorin, Journalistin und Aktivistin. In ihrem Buch “Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht“ wirft sie einen feministischen Blick auf das Single-sein. Sie beschreibt, warum bemitleidende Fragen wie “Du bist doch so eine tolle Frau, warum hast du denn keinen Freund?” problematisch sind. Für Watson, Ze.tt und Die Zeit schrieb sie über Sexualität, Feminismus und Liebeskummer. Sie ist davon überzeugt, dass Sprache und Feminismus eng miteinander verknüpft sind. 2018 startete sie deshalb eine Petition, um das Wort “Vulvalippen” in den Duden zu bekommen.
Hier im Interview erklärt sie uns, warum die Stärkung von Gleichberechtigung auch davon abhängt, wie wir uns ausdrücken.
Ich bin Feministin seit ich denken kann. Meine Eltern haben mich so erzogen, da gab es bei uns gar keine zwei Meinungen. Als Kind durfte ich nicht mal rosa tragen, Barbies waren wegen des unrealistischen Körperbilds verpönt und zu Weihnachten gab es einen Physik-Spielkasten. Meinen Eltern war immer wichtig, mir als Mädchen alle Türen offen zu halten.
Mir war es einfach nie peinlich, über Sex oder Vulven zu schreiben. In der Redaktion war ich deshalb ziemlich schnell für Themen wie Dating, Beziehungen und Sexualutät zuständig – und merkte dann, wie wichtig Feminismus bei diesen Themen ist.
Der Klassiker: Das Private ist politisch. Wie wir über Körper und Sexualität nachdenken und schreiben, ja, wie wir sexuell handeln, was wir uns ersehnen, was wir erwarten und was von uns erwartet wird, ist sehr geschlechtlich geprägt. Das zeigen viele Studien, wie z.B. der “Orgasm Gap”: bei heterosexuellem Gelegenheits-Sex kommen Frauen deutlich weniger als Männer. Dahinter stecken eben unterschiedliche Erwartenshaltungen an Sexualität und Lust, die ganz eng mit unserem Geschlecht verknüpft sind. Daher können wir Gender auch bei Sexualität nicht ausklammern, sondern müssen sehen, dass Befreiung von restriktiven Geschlechterrollen nicht nur in Klassenzimmern, Vorstandsetagen, Parlamenten, sondern auch in Schlafzimmern vollzogen werden sollte.
Das war eher Zufall. Ich habe einen Artikel geschrieben, in dem das Wort Schamlippen vorkam. Dann stellte ich mir die Frage, was das Wort “Scham” eigentlich da zu suchen hat. Denn wofür sollen wir uns eigentlich schämen?
Im Duden habe ich nach einem Alternativwort gesucht und keins gefunden. Mein erster Gedanke war: Das kann nicht sein.
Ich dachte über das Wort “Vulvalippen” nach. Erst war ich unsicher, ob es nicht noch bessere Alternativen gibt. Aber dann dachte ich mir, dass es schon ziemlich gut passt: Es beschreibt das, was es ist. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab und kommt von ‘labium pudendi’ labium heißt Lippe und pudere sich schämen. Also übersetzt: DIe Lippen der beschämenden Teile – was für ein Unsinn!
Von da an war mir klar, dass ich Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken wollte. Gemeinsam mit Mithu Sanyal, auch Journalistin und Autorin, habe ich auf Change.org dann eine Petition gestartet, um die “Vulvalippen” in den Duden zu bringen. Zwar ist uns das bisher nicht gelungen, doch die Kampagne hat irrsinnig viel Aufmerksamkeit gewonnen. Wir wurden von Zeitungen, im Radio und von Online-Magazinen interviewt und damit haben wir schon viel erreicht: Die Aufnahme in den Duden ist letzten Endes ja auch nur symbolisch. Denn der Duden dokumentiert vollzogenen Sprachwandel. Und dieser Wandel ist in Gang gesetzt, etliche Zeitschriften verwenden mittlerweile schon ganz selbstverständlich das neue Wort.
Weil Sprache unsere Welt bestimmt. Sie prägt die Art und Weise, wie wir denken und beeinflusst, was wir uns vorstellen können zu sein – oder auch nicht zu sein. You can’t be what you can’t see. Das ist wissenschaftlich belegt. Deswegen gehen Feminismus und Sprache Hand in Hand. Und deswegen ist es wichtig, zu gendern. Wenn wir von einem Arzt sprechen, stellen wir uns einen Arzt vor – und keine Ärztin.
Das kann ich nachvollziehen. Ich frage mich dann aber: Warum sagen sie, sie seinen Arzt und nicht Ärztin? Ein möglicher Grund ist, dass das Wort Arzt einen anderen Klang hat und anders konnotiert ist. Viele von uns haben bei dem Wort “Arzt” ein bestimmtes Bild im Kopf. Wir verbinden das Wort Arzt mit Macht und Autorität – womöglich mehr, als das die Wortwahl Ärztin.
Ja und nein. Natürlich machen wir in letzter Zeit Fortschritte in Sachen Feminismus, etwa was gendergerechte Sprache angeht. Doch die Annahme, dass früher alles schlechter war, ist falsch. Rollenklischees, wie wir sie heute kennen à la “typisch Mann und typisch Frau” haben sich erst in den letzten 200 bis 300 Jahren wieder verstärkt, etwa durch Schriftsteller wie Jean-Jacques Rousseau. Er war einer der wichtigsten Vordenker der Pädagogik und hat die Meinung vertreten, dass jungen Mädchen anerzogen werden muss, eine Sehnsucht nach Unterwerfung zu entwickeln. Die Begeisterung nach Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein solle unterbunden werden. Was total rückschrittlich klingt, hat nach wie vor Einfluss auf unser heutiges Denken und Handeln. Ein Beispiel: In den USA googeln Eltern, die einen Sohn haben, doppelt so häufig die Frage “Ist mein Sohn ein Genie?” als das bei Eltern der Fall ist, die eine Tochter haben. In Zusammenhang mit Töchtern, wird dafür deutlich häufiger an körperlichen Merkmalen gegoogelt, etwa, ob die Tochter übergewichtig ist – und das obwohl Jungs häufiger dazu neigen, übergewichtig zu sein.
Auch die viel zu oft gelobte “Bescheidenheit” von Frauen rührt von Vordenkern wie Rousseau, weshalb Frauen bis heute in Gehaltsverhandlungen anders vorgehen als Männer – und deshalb viel zu häufig weniger verdienen. Wir können Veränderungen nicht über’s Knie brechen. Dafür sind Rollenbilder viel zu zäh. Aber wir müssen sie uns Bewusstsein holen und in den Austausch gehen – dann wird sich etwas tun.