Valerie Viban, 27, kommt aus Kamerun, einem Land in Zentralafrika. Im Juli 2016 kam er mit “weltwärts“ nach Deutschland. Er arbeitete ein Jahr bei der Stiftung “Partnerschaft mit Afrika“ in Potsdam.
Meine ersten Tage in der Fremde
“Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich am Flughafen Brüssel landete. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in Europa. Und zum ersten Mal in meinem Leben, kam ich mir irgendwie anders vor.
Eine gefühlte Ewigkeit liefen ich und drei andere Freiwillige aus Kamerun über den Flughafen und hatten Schwierigkeiten, unser Gate zu finden. Wir waren im Flugzeug eingeschlafen, in dem 90 Prozent Afrikaner saßen – und wachten an einem riesigen Flughafen wieder auf, mit tausenden Reisenden, wo gerade noch einmal eine Handvoll Schwarzer herumliefen.
Auf unserem Anschlussflug nach Berlin waren dann noch noch vier schwarze Menschen an Bord. Und ich dachte: Das ist also eine dieser zahlreichen Geschichten, wie man sie über Europa hört. Ja, ich begann zu realisieren: Ich sehe anders aus, als die anderen um mich herum. In den ersten Tagen war ich immer besonders aufgeregt, wenn ich Menschen sah, die die gleiche Hautfarbe hatten wie ich. Ich nickte ihnen zu oder versuchte sie zu grüßen – auch wenn die meisten von ihnen nicht wirklich gewillt waren, mir zu antworten.
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich am Alexanderplatz den Bahnsteig entlang rannte, nur, um einen Mann einzuholen, der traditionell kamerunesisch gekleidet war. Als ich den Mann eingeholt hatte, war ich sehr enttäuscht. Er war zwar aus dem Kamerun, aber er war bei weitem nicht so begeistert von der Begegnung, wie ich es war. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass es in Berlin doch jede Menge Afrikaner gibt.
Ich begann mich mit meiner neuen Heimat anzufreunden: Ich aß Döner und Wurst und lernte die ersten wichtigen deutschen Worte: Entschuldigung, genau, ach so.
Es gab genug Indizien dafür, dass ein aufregendes Jahr vor mir lag.
Kulturschocks, neue Perspektiven und andere Gedanken
Manchmal ist mir die deutschen Kultur ein Rätsel. Bis heute wundere ich mich darüber, warum jeder, den ich treffe, ganz genau wissen will, warum ich in Deutschland bin, wie lange ich bleiben werde und was genau ich hier eigentlich tue. Ich frage mich, warum alle so gerne über das Wetter reden und warum Parties oder auch nur ein Abend mit Freunden Wochen oder gar Monate im Voraus geplant werden müssen. Noch unbegreiflicher war es für mich, dass im September schon alle wissen, was sie Weihnachten machen und wo sie den nächsten Sommer verbringen werden.
Ich wunderte mich über all die Raucher auf den Straßen: Wissen sie nicht, dass sie damit die Luft verschmutzen und es ihre, aber auch die Gesundheit der Menschen um sie herum gefährdet?
Ich wunderte mich anfangs auch über die Distanz in diesem Land. Ich war zuerst ein bisschen traurig, als ich mich in der U- oder S-Bahn neben jemanden setzte und die Person neben mir aufstand und sich einen anderen Platz suchte. Irgendwann begann ich zu verstehen, dass die “Privatsphäre“ ein großes Thema ist und die Menschen es vermeiden, anderen zu nah zu kommen. Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran und fing sogar an, mich selbst so zu verhalten (lacht).
Der größte Schock meines Lebens
Es war der größte Schock meines gesamten Lebens, als mir ein neuer Freund in Deutschland erzählte, dass er schwul sei. Als Kameruner, wo solche Themen wirklich selten aufkommen, konnte ich meine Überraschung nicht unterdrücken und es fiel mir schwer, die Fassung nicht zu verlieren. Ich bin als Christ aufgewachsen und es fiel mir schwer, zu verstehen, warum so ein netter, junger Mann sich entschied, schwul zu sein.
Aber ganz gleich, wie tief dieser Schock saß: Ich blieb weltoffen und versuchte, meine Vorurteile abzulegen. Ich beschäftigte mich mit Fragen rund ums Thema Homosexualität. Ich sprach so oft mit diesem neuen Freund und fragte ihn die verrücktesten Fragen, die man sich vorstellen kann.
Ich habe gelernt, was uns alle verbindet: Liebe und Menschlichkeit.
Ich verstand einmal mehr, dass Toleranz immer siegen muss – egal, ob man mit den Gedanken anderer Menschen und ihren Lebensentwürfen übereinstimmt oder nicht.
Wie mich das Jahr verändert hat
Das erste Jahr in Deutschland hat mich persönlich, aber auch beruflich weitergebracht. Die Seminare, die Teil des Freiwilligenprogramms waren, gaben mir die Möglichkeit ganz anders über globale Gerechtigkeit, Identität, Globalisierung und internationale Politik nachzudenken. Fairer Handel, globale Märkte und Verantwortung wurden mir auf einmal sehr wichtig. Auch die Bedeutung von Menschenrechten wurde mir auf einmal viel bewusster und wichtiger als früher. Ich sah Filme über die Bedingungen von Arbeitern in Fabriken in Bangladesh oder Kinderarbeit in Minen im Kongo, nur, damit wir immer neue Smartphones haben. Ich wurde mir bewusster darüber, welche Konsequenzen meine Handlungen auf das Leben anderer Menschen und die Umwelt haben.
Die Gelegenheit, ein Jahr im Ausland zu verbringen, ist für junge Afrikaner wie mich viel wertvoller als jede Form der Entwicklungshilfe. Neue Gedankenanstöße und ein anderer Blick auf die Welt haben einen viel größeren Einfluss auf die Gesellschaft als Geld.
Ich lernte viel für meinen beruflichen Werdegang. Ich weiß nun, wie man Projektkonzepte erarbeitet und vorstellt, wie man wichtige Details zusammenfasst und mit Softwareprogrammen arbeitet.
Die Zusammenarbeit mit so vielen unterschiedlichen Freiwilligen und der interkulturelle Austausch sind einfach großartig. Durch dieses Programm, das Menschen aus dem globalen Süden eine Chance gibt, andere Teile der Welt zu entdecken, habe ich so viel neues gelernt.
Die Gelegenheit, ein Jahr im Ausland zu verbringen, ist für junge Afrikaner wie mich viel wertvoller als jede Form der Entwicklungshilfe. Neue Gedankenanstöße und ein anderer Blick auf die Welt haben einen viel größeren Einfluss auf die Gesellschaft als Geld.
Innerhalb eines Jahres habe ich mit so vielen Stereotypen gebrochen. Ich habe gelernt, was uns alle verbindet: Liebe und Menschlichkeit.”