“Rechte sind das Fundament für alles.”

Autor:
Jana Sepehr

Eine Generation. Eine Zukunft.
Überall auf der Welt gibt es junge Aktivisten, die mit ihrem Handeln dazu beitragen, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen. Diese Aktivisten wollen wir mit der Serie Eine Generation. Eine Zukunft. in den Mittelpunkt stellen. Daniel Anguah aus Ghana ist einer von ihnen. In seiner Heimat setzt er sich für die Rechte von Flüchtlingen, Gefangenen und Mädchen ein.

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Im Sommer 2017 las Daniel Anguah einen Artikel, der ihn dazu brachte, in einen Bus zu steigen und sechs Stunden am Meer entlang gen Elfenbeinküste zu fahren. Das Ziel: Das Flüchtlingscamp “Krisan” in Ghana.

Denn er hatte gelesen, dass sein Heimatland Ghana für Flüchtlinge das beliebteste Land in Westafrika sei. Mehr als 13.000 Flüchtlinge aus rund 38 Ländern leben in Ghana. Sie hätten hier “wirklich gute Chancen” und die gleichen Rechte wie ghanaische Bürger, hieß es in dem Artikel weiter. Schwer vorstellbar, fand Daniel Anguah, der seit Jahren als Aktivist für Menschenrechte kämpft. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wie es den Menschen in dem Camp geht.

“Ich hatte viel über Flüchtlinge und das Lager gelesen. Ich war gut vorbereitet. Doch als ich den Eingang des Lagers erreichte, kamen die Klischees und Vorurteile in mir hoch. Ich dachte darüber nach, wie ich mit ihnen sprechen oder mit ihnen umgehen sollte. Das klingt vielleicht absurd, aber ich konnte nicht anders, als an die Tortur zu denken, die sie durchgemacht hatten”, sagt Anguah.

Er nahm sich eine Minute, vielleicht ein bisschen mehr, um sich zu sammeln. “Und dann wurde mir klar, dass es sich um Menschen wie mich handelt. Sie haben sich diese Situation nicht ausgesucht. Also muss ich einfach ich selbst sein und ihnen begegnen wie jedem anderen Menschen auch.”

Daniel Anguah weiß, was es bedeutet, in Armut zu leben. Als er noch ein Kind war, verdienten seine Eltern ihr Geld damit, in einer kleinen Bar Getränke zu verkaufen. Die Bar war ihr Zuhause: Abends kamen die Gäste, nachts diente ihnen der Raum als Schlafplatz. Als das Geschäft nicht mehr lief, wurde aus der Bar ein Shop, in dem Anguahs Mutter Hemden, T-Shirts und Kleider verkaufte. Manchmal musste Anguah aushelfen.

Heute ist Anguah 29 Jahre alt und lebt in Tema, einer Küstenstadt eine Autostunde von Ghanas Hauptstadt Accra entfernt. Von der Schnellstraße aus sieht man die Slums mit den selbstgebauten Hütten aus Wellblech und Holz. Strom gibt es – wie in vielen Teilen Ghanas – nur unregelmäßig. “Die meisten Häuser sind in die Jahre gekommen, aber sie haben ein Dach und vier Wände – doch meist keine Toilette.” Und auch eine Müllabfuhr gibt es nicht. Deshalb landen Müll und Fäkalien einfach im Meer, ein großes Problem für die Umwelt.

Schwangerschaften von Jugendlichen sind in Anguahs Community keine Ausnahme. “Die meisten Mädchen in meinem Umfeld waren schon in ihrer Jugend schwanger, manche wurden zur Ehe gezwungen”, erzählt Anguah. Schon damals setzte sich Anguah für die Rechte der Mädchen in seiner Gemeinde ein. Er sprach sich gegen Kinderehen aus und kämpft bis heute dafür, dass Mädchen Zugang zu Hygieneprodukten haben, damit sie während ihrer Periode zur Schule gehen können. Er wandte sich an Organisationen, um Gelder für eine Bibliothek zu bekommen und Aufklärungsarbeit leisten zu können.

Für Anguah war schnell klar: “Rechte sind das Fundament für alles.” Damit es Gerechtigkeit gibt, muss es Rechte geben – und er müsse sie kennen, um den Menschen zu helfen. So entschied sich Anguah dazu, Jura zu studieren.

Vor fünf Jahren gründete er eine kleine Menschenrechtsorganisation. Mittlerweile arbeitet er mit einem Team von fünf Anwälten und Menschenrechtlern zusammen. Sie helfen Geflüchteten beim Ausfüllen von Dokumenten, unterstützen Kampagnen gegen Kinderehen, sammeln Gelder, um eine Bibliothek aufzubauen.

Anguah konzentriert sich derzeit auf die Arbeit mit Flüchtlingen. Zwar seien die Flüchtlingslager in Ghana ordentlich, doch den Menschen fehlt es an Perspektiven. Sie flohen vor Bürgerkriegen und Terrormilizen. Vor Ebola oder Hungersnöten. Sie kommen aus dem Sudan, Sierra Leone, Togo, Liberia, Mali und Syrien. Manche sprechen arabisch, viele französisch, die wenigsten Englisch – die Amtssprache in Ghana. “Und kaum einer spricht lokale Sprachen wie Ga oder Twi”, sagt Anguah. So haben sie auf dem ohnehin umkämpften Arbeitsmarkt Ghanas wenig Chancen – und damit auch wenig Chancen, Teil der Gesellschaft zu werden.

Deshalb entwickelten Anguah und sein Team ein Programm, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Geflüchteten einschätzt und ihnen dann die nötigen Werkzeuge wie etwa Sprachtraining an die Hand gibt. Das Programm soll vor allem die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Flüchtlinge fördern, indem es ihnen ermöglicht wird, zu arbeiten. “Meines Erachtens nach ist dieses Programm ein wichtiger Schritt, um den Flüchtlingen eine Möglichkeit zu geben, sich sinnvolle Jobs zu suchen sowie neue Fähigkeiten zu erlernen”, sagt Aguah. Eine Win-Win-Situation: “So sind die Flüchtlinge endlich wieder selbstständig und unterstützen gleichzeitig die lokale Wirtschaft.”

Anguah hat es sich zur Aufgabe gemacht, all denen eine Stimme zu geben, deren Stimmen nicht gehört werden. “Ganz egal, ob Flüchtlinge, Kinder, Frauen, Mädchen, Menschen mit Behinderungen oder Gefangene: Alle Menschen sollten das Recht haben, ihr volles Potential zu entfalten.”