Wir können es kaum erwarten, bei Global Citizen Live in Paris unseren besonderen Gast Angélique Kidjo und all die anderen Künstler*innen zu erleben – Elton John, Ed Sheeran und viele mehr. Das einmalige Konzert wird am 25. September auf dem Champ de Mars stattfinden.

Um unsere Vorfreude zu besänftigen, haben wir mit der Frau gesprochen, die vom TIME-Magazin als “Afrikas erste Diva“ bezeichnet wurde. Wir haben sie zu ihrer Musik, ihrem Aktivismus sowie ihrem Engagement für Frauenrechte und die Bildung von Mädchen befragt.
Kidjo, die aus Benin stammt, ist vierfache Grammy-Preisträgerin. 2006 gründete sie die Batonga Foundation, um Mädchen in Subsahara-Afrika zu unterstützen und ihnen Bildung zu ermöglichen. 

Die international erfolgreiche Sängerin hat uns erklärt, wie sie mit ihrer Musik und der Batonga Foundation kulturelle Brücken bauen will.

Global Citizen: Als Kind waren Sie eines von wenigen Mädchen in Benin, die zur Schule gingen. Können Sie uns mehr über Ihre Erfahrungen erzählen? 

Angélique Kidjo: Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, in der Bildung wichtig, sogar heilig war. Meine Eltern machten zwischen meinen Schwestern und Brüdern keinen Unterschied. Wir hatten alle die gleichen Chancen. Ich wurde also zu Hause unterstützt. 

Ich habe aber miterlebt, wie meine Klassenkameradinnen die Schule abbrachen, eine nach der anderen. Ich erinnere mich an eine von ihnen, die über Nacht verschwand, wahrscheinlich weil sie schwanger war oder geheiratet hat. Wir waren noch so jung, und dennoch schwor ich mir, alles zu tun, damit anderen Mädchen so etwas nicht passiert.

Schon als Kind habe ich traditionelle Rollen abgelehnt: Ich wollte lieber auf Bäume klettern und mit Jungen spielen. Mein Vater sagte mir immer, ein guter Vater zu sein bedeute, Traditionen abzulehnen, die seinen Kindern schaden würden. Innerhalb der Familie und des Haushalts gibt es so viele Stereotype, die zum Beispiel die Rolle eines Mädchens betreffen, was von ihr erwartet wird und was nicht.  

Ich hatte das Glück, dass mir meine Familie immer das Gefühl gegeben hat, die gleichen Rechte zu haben wie alle anderen. Dass ich mit meinem Leben machen kann, was ich will.

Wie hat Ihnen der Zugang zu Bildung dabei geholfen, von einem Mädchen in Westafrika zu einer international bekannten Künstlerin und furchtlosen Verfechterin der Gleichberechtigung zu werden? Warum ist es Ihnen so wichtig, sich für Bildung einzusetzen?

Bildung ist wichtig, daran gibt es keinen Zweifel. Für mich war es jedoch nicht nur die Schule, die mich geprägt hat. Meine Familie, meine Eltern, vor allem mein Vater, haben mich großgezogen. Ich habe so viel von meinen Verwandten gelernt. Meine Großmutter war diejenige, die mir zum ersten Mal von der Apartheid erzählt hat. Und bei Familientreffen haben wir über wichtige Themen wie Rassismus und Geschlechterungleichheit diskutiert.

Auch das Leben selbst hat mich viele Dinge gelehrt und mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Wenn man als junge Frau nach Frankreich kommt, wird man mit vielen Herausforderungen, etwa rassistischen Angriffen, konfrontiert. Das hat mich widerstandsfähiger gemacht, um Herausforderungen aller Art überwinden zu können.

Ich bin für einen ganzheitlichen Ansatz in der Bildung: Junge afrikanische Mädchen müssen zur Schule gehen. Aber ich würde mir wünschen, dass auch die Gesellschaft und lokale Gemeinschaften für die Bildung von Jugendlichen verantwortlich sind. Wir müssen gemeinsam Ideen, Fähigkeiten und Wissen vermitteln, damit die junge Generation in einer besseren Gesellschaft leben kann, in der ihre Rechte und ihr Leben respektiert und gefeiert werden. 

Image: Fabrice Mabillot

Wie verbinden Sie Ihren Einsatz für die Rechte und die Selbstbestimmung von Mädchen mit Ihrer Leidenschaft für die Musik? 

Meine Musik und mein Engagement sind grundlegend miteinander verwoben. Das hängt mit der Tradition zusammen, tiefgründige Geschichten zu erzählen, die uns dazu inspirieren, über uns hinauszuwachsen. In dem Land, aus dem ich komme, wird das Erzählen von Geschichten dazu genutzt, um Veränderungen in unserer Gesellschaft zu bewirken und zu reflektieren. Die traditionellen Musiker*innen in meinem Land haben mich schon früh gelehrt, dass die Fähigkeit zu singen eine Gabe ist, die etwas Größerem als uns selbst dient.

Warum war es Ihnen so wichtig, die Batonga Foundation zu gründen?

Wenn die Jungen in der Schule auf mir herumhackten, wurde ich wütend. Doch mein Vater brachte mir bei, wie ich Worte und meinen Verstand nutzen konnte, um mich zu wehren. So kam ich auf das Wort “Batonga“: Es war mein Schrei des Widerstands, den ich laut ausstieß, wenn ein Junge mich hänselte.

Deshalb habe ich meine Stiftung “Batonga Foundation“ genannt: Sie erinnert uns daran, dass ein gebildetes und selbstbewusstes Mädchen jedes Hindernis überwinden kann. Mit der Batonga-Stiftung zeigen wir Mädchen, dass sie in ihren Gemeinschaften Veränderungen bewirken können, dass sie selbst Führungspersönlichkeiten sein können. Wir geben ihnen Zugang zu Wissen, Fähigkeiten und Möglichkeiten, um diese Führungsqualitäten in die Praxis umzusetzen.

Für mich sind die afrikanischen Frauen das Rückgrat unseres Kontinents: Sie haben die Macht, Dinge zu verändern, sowohl im Haushalt als auch auf nationaler Ebene. Wenn wir sie in diesem Prozess unterstützen, können wir unglaubliche Dinge erleben. 

Als die Pandemie in Benin ausbrach, leiteten die Teilnehmerinnen unserer Programme die Aufklärungsarbeit in ihren Gemeinden. Sie stellten Masken und Seife her und verteilten sie an Tausende von Menschen. Sie taten sich zusammen, engagierten sich gemeinsam und schützten mit den von uns bereitgestellten Mitteln ihre Gemeinden und Familien.
Solche Führungsqualitäten sind in allen Frauen und Mädchen vorhanden; Batonga hilft ihnen einfach, sie in die Praxis umzusetzen.

Können Sie uns etwas über einzelne junge Mädchen oder Frauen erzählen, die Batonga unterstützt hat, und wie sich das für Sie anfühlt? 

Ich möchte von Anastasie erzählen, die vor vier Jahren an einem unserer Programme teilgenommen hat. Dank unseres Leadership-Programms und der Unterstützung ihrer Mentorin in Batonga konnte sie ihren Schulabschluss machen und sich für ein College einschreiben – in einem Land, in dem die Schule für fast die Hälfte der Mädchen unerreichbar ist! Noch unglaublicher ist, dass sie freiwillig in ihr Dorf zurückkehrte, um Batonga-Mentorin zu werden und andere junge Mädchen zu unterstützen. 

Anastasies Reise ist eine Inspiration für andere und sie beweist jeden Tag, dass im Leben alles möglich ist. Das Schöne an unserem Ansatz bei Batonga ist, dass der Erfolg eines Einzelnen der Erfolg aller ist. Unser Modell basiert auf Solidaritätsnetzwerken zwischen jungen Mädchen und Teenagern sowie auf einem generationenübergreifenden Mentoring-Modell. Der kollektive Erfolg ist unsere größte Wirkung!

Was halten Sie davon, bei Global Citizen Live in Paris dabei zu sein? Was erhoffen Sie sich von dem Konzert?

Ich hoffe, dass es mit diesem Konzert gelingt, ein junges Publikum zu erreichen und zu motivieren, die Welt von morgen zu gestalten und zu verändern – indem sie unterschiedliche Standpunkte miteinander in Einklang bringen. 

Ich hoffe auch, dass das Konzert relevanten Themen mehr Nachdruck verleihen wird, damit die Mächtigen ihre Prioritäten überdenken und etwas verändern. Wir brauchen konkrete Taten – nicht nur Worte.

Wenn ich mit meiner Musik andere dazu ermutigen kann, etwas zu verändern, ist das schon ein Erfolg. Wir haben keine Zeit mehr zu warten. Wir müssen jetzt handeln.

Image: Fabrice Mabillot

Hart erkämpfte Errungenschaften im Bereich der Bildung für Mädchen können schnell wieder zunichte gemacht werden – sei es durch Konflikte, den Klimawandel oder politische Veränderungen wie in Afghanistan: Wie können wir Ihrer Meinung nach sicherstellen, dass der Fortschritt erhalten bleibt und wir weiter vorankommen?

Wenn wir eines gelernt haben, dann, dass Fortschritt kein linearer Prozess ist. Wir sehen unglaubliche Errungenschaften, aber es braucht nur eine politische Wahl oder eine Naturkatastrophe, um diese Fortschritte zunichte zu machen.

Ich denke dabei natürlich an Frauen und die LGBTQIA+-Community in Afghanistan, denen über Nacht die Rechte genommen wurden. Es ist unerträglich und sehr schmerzhaft, diese institutionalisierte Ungerechtigkeit und Unterdrückung mitzuerleben. Wir müssen uns mit den Betroffenen solidarisieren, denn der Ausgangspunkt für Fortschritte besteht darin, auf die Problematik aufmerksam zu machen, sie nicht einfach zu vergessen.

Die Klimakrise hat auch diejenigen geschwächt, die ohnehin in prekären Verhältnissen leben. Wie können wir an Fortschritt glauben, wenn so wenig getan wird, um die Situation wirklich zu ändern? 

Ich bin jedoch von Natur aus Optimistin. Mein beruflicher Werdegang hat mich gelehrt, dass der Wandel tief in jedem von uns verankert ist und dass jedes Handeln zu Veränderung beiträgt. Unsere Aufgabe ist es, die Flamme der Gleichheit und Gerechtigkeit für alle jeden Tag neu zu entfachen.

Indem wir Menschen zusammenbringen und sie zu gesellschaftlichem Wandel motivieren, auch auf lokaler Ebene, investieren wir in einen langfristigen Umbruch. 

Aus diesem Grund wird jedes Projekt und jede Aktion bei Batonga gemeinsam mit Betroffenen entwickelt. Die jungen Frauen in unseren Programmen entwerfen und implementieren Projekte und unsere Mentorinnen fördern Engagement innerhalb der jeweiligen Gemeinschaften. 
Wenn Menschen sich für sozialen Wandel einsetzen, bedeuten ihnen entsprechende Fortschritte viel – sie würden alles tun, was nötig ist, um ihn zu bewahren und zu fördern. Das ist es, woran ich glaube.

Was bedeutet Global Citizenship für Sie und was würden Sie den Global Citizens sagen, die sich von Ihnen, Ihrer Musik und Ihrer Arbeit bei Batonga inspirieren lassen?

Für mich ist Global Citizenship das Schlüsselinstrument für Frieden, Gerechtigkeit und Fortschritt. Unsere Leben und Schicksale sind miteinander verwoben, und alles, was wir heute erreichen, wird sich auf die Welt von morgen auswirken. Unser kollektives Handeln, unabhängig von unserem Standort, muss zum Wohlergehen aller beitragen.

Ich ermutige alle Global Citizens auf der ganzen Welt, Teil des Wandels zu sein, nicht nur symbolisch, sondern ganz konkret, auf jeder Ebene ihres Lebens. Sucht euch ein Thema, das euch am Herzen liegt und setzt euch dafür ein – ganz gleich, wie viel Einfluss ihr habt. Ihr könnt als einzelne keine Gesetze ändern, aber ihr könnt etwa die Meinung eurer Familienmitglieder zu einem bestimmten Thema beeinflussen. 

Arbeitet gemeinsam an der Zukunft, die ihr gestalten wollt. Bei großen Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter oder Anti-Rassismus kommen wir nur gemeinsam voran: Es ist so wichtig, sich mit Benachteiligten zu verbünden. Sich seiner Privilegien bewusst werden und sich für Themen einzusetzen, die Tausende von Menschen betreffen, ist das beste, was man machen kann. Das ist die Bedeutung von Global Citizenship.

Global Citizen Live findet einen Tag vor der Bundestagswahl statt. Im Rahmen der Kampagne “Recovery Plan for the World – ein Aktionsplan für eine gerechte Welt nach der Pandemie” ruft Global Citizen dazu auf, die COVID-19-Krise gemeinsam zu bewältigen und jetzt die Weichen für eine gerechte Welt zu stellen. Zusammen können wir #ZukunftSchaffen – nutze deine Stimme und werde aktiv, um extreme Armut zu beenden.

Global Citizen Asks

Gerechtigkeit fordern

Global Citizen Live Gast Angélique Kidjo hilft Mädchen dabei, Führungspersönlichkeiten zu werden

Ein Beitrag von Kamilia Lahrichi