Warum das wichtig ist
1,4 Milliarden Menschen sind von Krankheiten bedroht, deren Namen wir womöglich nicht einmal kennen: Es geht um sogenannte NTDs, kurz für Neglected Tropical Diseases – vernachlässigte Tropenkrankheiten. Manche von ihnen sind ansteckend, werden durch unsauberes Trinkwasser, Hunde oder Fledermäuse übertragen. Sie führen zu Erblindung, Behinderungen und schlimmstenfalls zum Tod. Eine dieser tödlichen Infektionskrankheiten ist Tollwut. Werde hier mit uns aktiv, damit alle Menschen ihr Recht auf ein gesundes Leben wahrnehmen können. 

Er sah den Jungen und wusste, er wird sterben. “Er schnappte nach Luft, verbarg sein Gesicht vor dem Licht. Ich kannte die Symptome von Hunden, sie sind ähnlich. Es ist ein trauriger Tod und es war das Schlimmste, was ich in meinem Leben gesehen habe”, sagt William Tasiame. 

Tasiame studierte in Kuba Tiermedizin, ging dann zurück in sein Heimatland Ghana und arbeitete dort 12 Jahre lang als Tierarzt. Derzeit forscht er für seine Doktorarbeit zu Tollwutviren bei Christian Drosten an der Berliner Charité.

Tollwut war schon immer Teil von Tasiames beruflichem Leben. Doch als er zum ersten Mal mit eigenen Augen ein Kind unter dem Ausbruch dieser Krankheit leiden und sterben sah, entschied er sich, seine Forschung und all seine Energie der Bekämpfung dieses Virus zu widmen. 

Nach Ausbruch der Krankheit ist Tollwut fast immer tödlich

Tollwut ist eine Virusinfektion des zentralen Nervensystems. Im ersten Stadium der Krankheit kommt es zu unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall, Fieber oder Husten. Irgendwann bekommen Betroffene Angst vor Licht und Wasser. Wenn sie trinken sollen, glauben sie zu ersticken. Die Gründe dafür sind noch ungeklärt. Auch depressive oder aggressive Verstimmungen gehören zum Krankheitsbild. 

Übertragen wird Tollwut fast immer durch infizierte Tiere, meist Hunde oder auch Wildtieren wie Füchse, Fledermäuse und Waschbären. Hat sich ein Tier oder Mensch infiziert, vermehren sich die Viren zunächst im zentralen Nervensystem und streuen dann aus. Sobald das Virus Gehirn und Rückenmark erreicht hat, ist die Krankheit fast immer tödlich. In der Regel vergehen zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit zwischen drei bis acht Wochen.

Kinder sind besonders gefährdet

“Tollwut ist eine ganz brutale Krankheit, die hauptsächlich Kinder befällt – und du kannst nichts tun. Es gibt keine Wirkstoffe und Medikamente dagegen. Sobald das Gehirn befallen ist, ist es zu spät”, sagt Tabea Binger, Laborleiterin des Kumasi Center for Collaborative Research, einer Forschungseinrichtung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Ghana. 

Binger schrieb ihre Doktorarbeit ebenfalls bei Christian Drosten, über Viren, die in Fledermäusen sitzen und auf Menschen übertragbar sind – eines davon ist das Tollwutvirus. “Ich habe mich intensiv mit dem Virus beschäftigt und natürlich wurden wir alle gegen Tollwut geimpft. Jedes Jahr wurde geprüft, ob unser Impfschutz noch ausreicht”, erzählt Binger. “Doch diesen Luxus haben die meisten Menschen nicht, die diese Impfung aber eigentlich mindestens genauso dringend brauchen.”  

Tollwut ist eine der insgesamt 20 Krankheiten, die auf der Liste der sogenannten NTDs der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen. Diese Krankheiten haben gemein, dass sie vor allem in tropischen Regionen auftreten, dort wo die Gesundheitsversorgung im globalen Vergleich oft besonders schlecht ist und die Menschen durchschnittlich weniger Geld verdienen. Die Krankheiten werden von der Forschung und Pharmaindustrie vernachlässigt – es gibt wenige Medikamente, Impfstoffe und Behandlungsmethoden. Auch gegen Tollwut gibt es bisher keine wirksamen Medikamente. Der einzige Schutz ist eine Impfung, die aus drei Impfdosen besteht. Zehntausende Menschen sterben jährlich weltweit an der Virusinfektion. 

“Bei Polio sind es bloß drei Tropfen, die man schlucken muss. Hier in Ghana gehen Impfhelfer*innen von Tür zu Tür und verteilen den Impfstoff an jedes Kind unter fünf Jahren. Ich habe eine kleine Tochter, bei der wurde das gerade gemacht. Doch einen solchen einfachen Impfstoff gegen Tollwut für den Menschen gibt es leider nicht”, sagt Binger. 

Was besonders tragisch ist: “Mehr als 40 Prozent der Patient*innen sind Kinder unter 15 Jahren”, sagt Tasiame. “Und die meisten von ihnen erkranken, weil sie von einem Hund gebissen werden.” 

Doch Tollwut zu diagnostizieren, ist eine weitere Herausforderung. Denn es gibt bisher keine effizienten und kostengünstigen Schnelltests. Somit müssen Ärzt*innen auf andere Weise herausfinden, ob ein*e Patient*in sich mit Tollwut infiziert hat – und das ist in der Praxis eine große Herausforderung. “Vor allem Kinder sagen oft, dass sie den Hund nicht geärgert hätten, damit sie selbst keinen Ärger bekommen – es sei einfach so passiert, er habe aus heiterem Himmel gebissen. Doch das macht es uns schwer herauszufinden, ob der Hund Tollwut hatte oder nicht”, so Tasiame. “Die einzige Chance ist es für uns Tierärzt*innen, in das Dorf zu gehen und den Hund zu finden. Dann kann ich mit Sicherheit sagen, ob es ein kranker Hund war oder nicht.”

Impfungen sind der einzige Schutz

Theoretisch ist es möglich, eine Post-Prophylaxe, also eine nachträgliche Impfung, zu machen. Doch wenn ein*e Patient*in erst einmal das Tollwutvirus in sich trägt, rennt die Zeit: Die Post-Prophylaxe muss verabreicht werden, bevor die Krankheit ausbricht. “Das umzusetzen funktioniert in Ghana nicht besonders gut. Man muss als Arzt wissen, dass der Patient auch tatsächlich Tollwut hat. Man muss den Impfstoff beschaffen können – denn meist ist dieser nur etwa in der Hauptstadt Accra verfügbar, die Fälle passieren aber weit weg, etwa ganz im Norden von Ghana, mehr als 13 Autostunden entfernt”, sagt Tabea Binger. Zudem muss der Impfstoff permanent gekühlt werden.

Alle Kinder mit Hundebiss zu impfen, wie man es womöglich hierzulande tun würde, ist nicht möglich. Dafür ist der Impfstoff viel zu teuer. Rund 70 Euro kostet der Impfstoff für den Menschen  – vor allem in einem Land wie Ghana, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen bei rund 387 Dollar liegt, ist der Impfstoff nahezu unbezahlbar. 

Das ist einer der Gründe, warum versucht wird, die Überträger zu impfen – und das sind in Ghana in den meisten Fällen Hunde: “Wenn wir es schaffen, genug Hunde zu impfen, haben wir die größte Chance, das Virus aufzuhalten und die Menschen zu schützen”, sagt Tasiame. 

Der Impfstoff für Hunde ist mit circa 1,50 Euro pro Impfung deutlich günstiger als der für Menschen, so Tasiame. “In Ghana ist die Methode besonders sinnvoll, da es hier kaum Straßenhunde gibt. Eigentlich hat jeder Hund hat eine*n Besitzer*in. Wir müssen nur an die Hunde kommen und genug Geld auftreiben, um ausreichend Hunde zu impfen”, sagt Tasiame. 

Die ghanaische Regierung hat in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas unternommen, um dem Problem entgegenzuwirken. In den 70er Jahren gab es in Ghana die letzte von der Regierung initiierte Impfkampagne gegen Tollwut, erzählt Tasiame.

Impfkampagne von Hunden zum Schutz für Mensch und Tier

Im vergangenen Jahr hat Tasiame deshalb in eigener Initiative eine Impfkampagne gestartet, um über die Krankheit aufzuklären und Hunde kostenlos zu impfen. “Die Menschen, die einer Ansteckung mit Tollwut am stärksten ausgesetzt sind, sind arme Menschen. Die Gegend, in der ich die Kampagne gestartet habe, ist im Norden von Ghana, eine arme Gegend. Ich bin im vergangenen Jahr zum ersten Mal dorthin gefahren. Es fühlt sich an, als würde man ans Ende der Welt fahren. Die Straßen sind schlecht. Wasser- und Stromversorgung sowie die Gesundheitsversorgung sind ein Problem”, sagt Tasiame. 

“Im letzten Jahr haben wir 650 Hunde geimpft, aber das ist nicht genug. Statistiken zeigen, dass wir 1,4 Millionen Hunde in Ghana haben.” Rund 70 Prozent der Hunde müssten geimpft werden, um einen ausreichenden Schutz herzustellen – und das jedes Jahr, denn der Impfschutz hält nicht länger an. 

“In diesem Jahr haben wir genug Geld gesammelt, um rund 1.000 Hunde zu impfen – das meiste kommt von Freund*innen”, so Tasiame. Aber sie haben auch einen kleinen Aufruf gestartet und eine Funktion eingerichtet, mit der Menschen per SMS spenden können. Mit Mund-zu-Mund-Propaganda trommeln sie die Hundebesitzer*innen in den drei Dörfern Bongo, Zerko and Belungu in der Region Bogatanga zusammen, damit sie ihre Hunde rund um den World Rabies Day (Welt-Tollwut-Tag) am 28. September zur Impfung bringen. Dafür nutzen die Tierärzt*innen und Helfer*innen einen bekannten Ort im Dorf, den jede*r kennt. 

William Tasiames Wunsch ist es, dass die Welt mehr hinguckt und handelt: “Die meisten Menschen, die an Tollwut sterben, leben in ländlichen Gebieten - sie haben keine gute Ausbildung, kein Wasser, kein Straßennetz. Und jetzt müssen sie immer noch an einer Krankheit sterben, die mit Impfstoffen verhindert werden könnte. Das verletzt mich am meisten.”




Editorial

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Wenn Impfungen ein Luxus sind: Tollwut tötet jährlich Zehntausende Kinder

Ein Beitrag von Jana Sepehr