Lieber Herr Bartsch, das 0,7%-Ziel wurde vor fast 50 Jahren beschlossen und sollte Jahr für Jahr gelten. Warum fällt es Deutschland so schwer, dieses Ziel zu erreichen?

Es fehlt schlichtweg der politische Wille und eine entsprechende Prioritätensetzung der Bundesregierungen, dieses Ziel wirklich umzusetzen. An finanziellen Möglichkeiten mangelt es offensichtlich nicht, insbesondere, wenn man die ODA-Mittel (Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe) mit den Ausgaben für Rüstung und Verteidigung vergleicht. Es war immer schon ein Ziel, das man gerne als Monstranz vor sich hertrug, aber deren Umsetzung an den realen Kräfteverhältnissen innerhalb der Bundesregierungen und zwischen den Ministerien gescheitert ist.

Ist es heute überhaupt noch relevant, das 0,7%-Ziel zu erreichen?

Es ist ganz sicher relevant, auch wenn man sich nicht der Illusion hingeben darf, dass wir damit die strukturellen weltweiten Probleme, die zu immer größerer Ungleichheit zwischen und innerhalb der Staaten beitragen, in den Griff bekommen könnten. Um tatsächlich einen entscheidenden Beitrag zur bitter notwendigen Entwicklung der Länder des Südens und zur Flucht- und Migrationsursachenbekämpfung zu leisten, müssen an erster Stelle die geltenden Freihandelsverträge gestoppt und Waffenlieferungen unterbunden werden. Außerdem muss der aktuelle Trend zu einer Privatisierung der Entwicklungszusammenarbeit durch die "Hebelung" von Privatkapital mit öffentlichen Mitteln gestoppt werden. Dies wird die Länder des Südens in neue Abhängigkeiten bringen, die Ungleichheit wird weiter zunehmen und zementiert. Kurzum: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel hin zu einer friedlichen und solidarischen Außen- und Entwicklungspolitik.


Was sind die drei wichtigsten Themen, auf die die deutsche Entwicklungspolitik ihr Augenmerk richten sollte?

An erster Stelle muss die grundgesetzliche Verpflichtung stehen, den Menschen ihre Würde zurückzugeben. Dafür müssen wir einen Beitrag leisten, ausgehend von einem "Recht, nicht migrieren zu müssen" Migrations- und Fluchtursachen zu bekämpfen. Wir müssen an die strukturellen Ursachen der Probleme ran, die in den nachhaltigen Entwicklungszielen richtig angesprochen werden. Und dazu gehört an allererste Stelle eine gerechte Handelspolitik und ein Beitrag zum Aufbau von lokalen und regionalen Wertschöpfungsketten in den Ländern des Südens.

Entwicklungszusammenarbeit kann nur dann effektiv sein, wenn sie auf eigenständigen Entwicklungswegen aufbaut.

In den letzten Jahrzehnten haben neoliberale Strukturanpassungsmaßnahmen, mit denen Länder des Südens gezwungen wurden, ihre öffentliche Daseinsvorsorge und Infrastruktur abzubauen, zu privatisieren und zu deregulieren, zu einer Situation geführt, in der viele vor allem junge Menschen keine Perspektive mehr in ihren Heimatländern haben. Das führt unter anderem zu Flucht und Migration. Deshalb sollte die Entwicklungspolitik an zweiter Stelle einen Beitrag zu einem breiten (Wieder-)Aufbau einer öffentlichen Basisinfrastruktur insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Daseinsvorsorge leisten.

Das dritte Thema heißt: Ernährungssouveränität. Ohne Kontrolle über und weitgehende Eigenproduktion an den benötigten Lebensmitteln gibt es keine wirkliche politische Unabhängigkeit und kaum Gestaltungsspielräume für eigenständige Entwicklungswege der Länder des Südens. Außerdem müssen diese nachhaltig hergestellt werden, um zu verhindern, dass mehr und mehr landwirtschaftliche Nutzflächen der Erosion und Wüstenbildung zum Opfer fallen. Insofern muss die Entwicklungspolitik in der Landwirtschaft konsequent auf agrarökologische Ansätze setzen und hierbei insbesondere Unterstützung bei der Modernisierung und Weiterentwicklung der kleinbäuerlichen Produktion leisten. Große Konzerne des Agrobusiness können hierzu keinen Beitrag leisten und haben in der Entwicklungszusammenarbeit nichts zu suchen.


Was ist das Wichtigste, damit Entwicklungszusammenarbeit effizient ist?

Entwicklungszusammenarbeit kann nur dann effektiv sein, wenn sie auf eigenständigen Entwicklungswegen aufbaut und die anderen vier Prinzipien der Pariser Agenda ernst nimmt und tatsächlich umsetzt, was leider immer mehr in den Hintergrund tritt: Die Partner müssen die Federführung auf möglichst allen Ebenen von der Programmidee über die Planung bis zur Ausführung und dem Monitoring haben. Die Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit müssen sich einreihen hinter den Prioritäten der Partner, die Geber müssen sich untereinander abstimmen und koordinieren und die Geber müssen ihrer Rechenschaftspflicht nicht nur gegenüber den eigenen Steuerzahlern, sondern auch gegenüber den Partnern und deren Parlamenten und Bevölkerung nachkommen.

Ende November entscheidet der Bundestag über den Haushalt für 2019. Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen, die bisher erarbeitet und voraussichtlich vom Bundestag verabschiedet werden?

Wir können als LINKE nicht zufrieden sein mit dem vorgelegten Haushalt für 2019. Die Prioritäten werden vollkommen falsch gesetzt: Wir müssen weitaus mehr tun, um Flucht- und Migrationsursachen zu bekämpfen und einen angemessenen Beitrag leisten, dass die Menschen in den Ländern des Südens eine Perspektive und ein Leben in Würde bekommen.

Während die Ausgaben für Verteidigung um mehr als 4,5 Mrd. Euro ansteigen sollen, ist für den Entwicklungshaushalt ein Aufwuchs um lediglich rund 600 Mio. Euro vorgesehen. Damit lässt sich die um Inlandsflüchtlingskosten bereinigte ODA-Quote gerade mal auf dem Niveau von rund 0,5 Prozent halten – also weit unter den angestrebten 0,7 Prozent. Um dahin zu kommen, fordert die LINKE einen Aufwuchs im Entwicklungshaushalt um jährlich 2,5 Mrd. Euro pro Haushaltsjahr, beginnend ab 2019 bis zum Ende der Legislaturperiode 2021.


Was würden Sie jungen Leuten sagen, die der Meinung sind: Entwicklungspolitik geht mich nichts an?

Das ist Quatsch, sie sollte gerade die jungen Menschen etwas angehen! Aber es reicht natürlich nicht, dies einfach nur festzustellen. Junge Menschen haben ein feines Gespür und wollen Erfolge sehen. Und sie wollen, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt zwischen der Wahrung und Einlösung ihrer Interessen hier und heute und der Solidarität mit noch Schwächeren. Wenn wir von Armutsbekämpfung in den Ländern des Südens reden, dann müssen wir auch die wachsende Armut in Deutschland bekämpfen. Außerdem hat die Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik auch eine Bringschuld und muss beweisen, dass sie in der Lage ist, wirkliche strukturelle Probleme weltweit auch lösen zu helfen.

Wir haben Global Citizens gebeten, uns ihre Fragen an Politiker zu schicken. Eine dieser Fragen möchte wir gerne an Sie weitergeben: Wie lässt sich verhindern, dass Entwicklungsgelder in den Taschen korrupter Regierungsmitglieder oder Staatsdiener verschwinden?

Nun, ganz ausschließen lässt sich das leider nie, aber das können wir auch nicht in Deutschland. Ein erster Schritt wäre es, dass wir schlichtweg nicht mit Diktaturen zusammenarbeiten, in denen es keine oder kaum eine Kultur öffentlicher Rechenschaft gibt. In solchen Ländern muss sich die Entwicklungszusammenarbeit auf eine Förderung der Zivilgesellschaft beschränken. Es muss ein Mindestmaß an öffentlicher Rechenschaftspflicht gewährleistet werden, sodass Parlamente oder besser noch die Menschen nachvollziehen und besser noch mitentscheiden können, was mit den Gelder geschieht und dass diese auch entsprechend eingesetzt werden. Aber natürlich gibt es auch Fälle von Korruption bei der Zivilgesellschaft. Hier müssen die Kontrollmechanismen auch des eigenen Personals besser werden.


Editorial

Armut beenden

Wann ist Entwicklungspolitik effizient, Herr Bartsch?

Ein Beitrag von Jana Sepehr