Diese deutsche Aktivistin setzt sich dafür ein, dass alle Menschen weltweit Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff bekommen

Autor: Jacky Habib

Maria Sturm for Global Citizen

Annemarie Botzki erinnert sich noch genau daran, wie es sich anfühlte, als sie im Juni 2021 die COVID-19-Impfung erhielt. 

"In diesem Moment war ich so dankbar, so erleichtert. Meine ganze Familie war glücklich", sagt die Berliner Aktivistin.

Und auch als Freund*innen und Verwandte geimpft wurden, habe sie allen gratuliert und den Moment gefeiert, erinnert sie sich. 

Doch Botzki sei auch aufgefallen, dass eine erhöhte Impfquote in Deutschland die Gespräche und die Berichterstattung in den Medien immer stärker verändert habe. 

"Im Sommer gab es viele Diskussionen über Urlaube. Können wir in den Urlaub fahren? Was muss in meinem Impfpass stehen, damit ich Grenzen überschreiten und in den Urlaub fahren kann?”, so die Aktivistin. 

Botzki erkenne zwar an, dass Urlaube wichtig für die psychische Gesundheit sein können, aber sie sorge sich mehr um die Menschen auf der ganzen Welt – insbesondere im Globalen Süden – die keinen Zugang zu Impfstoffen haben. 

In Uganda stiegen die COVID-19-Fallzahlen

Während die Europäer*innen darüber diskutiert hätten, wie ihr Leben angesichts der Impfquoten wieder "normal" werden könne, habe Botzki diese privilegierte Diskussion bedrückt. In dieser Zeit habe sie die Nachrichten aus Uganda verfolgt. Die dortige Regierung wandelte damals ein Nationalstadion in ein Krankenhaus um – wegen steigender COVID-19-Fallzahlen. 

Aktuell (Stand: 07.12.2020) sind in Deutschland 69 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, in Uganda sind es gerad einmal 1,94 Prozent

Annmarie Botzki is a senior campaign manager with the advocacy organization WeMove Europe, who partnered with The People’s Vaccine.
Image: Maria Sturm for Global Citizen

Botzki arbeitet als leitende Kampagnenmanagerin bei der Lobbyorganisation WeMove Europe. Die Organisation hat sich mit “The People's Vaccine” zusammengetan. Das ist eine von Oxfam angeführte Koalition, die führende Politiker*innen weltweit auffordert, dafür zu sorgen, dass Impfstoffe schnell und in großem Maß produziert werden, für alle Menschen zugänglich gemacht werden und kostenlos sind. 

Die “People's Vaccine Alliance” will dafür sorgen, dass COVID-19-Impfstoffe zu den tatsächlichen Kosten gekauft und Menschen weltweit kostenlos zur Verfügung gestellt werden. So soll verhindert werden, dass Menschen keinen Zugang zu Impfstoff haben, weil Unternehmen wirtschaftlich von der Pandemie profitieren möchten. 

Darüber hinaus fordert die Koalition Regierungen und Pharmakonzerne auf, bei der Produktion von COVID-19-Impfstoffen und -Therapien keine Monopole zu bilden. Sie will dafür sorgen, dass Pharmakonzerne alle Informationen und das geistige Eigentum an den Impfstoffen frei zur Verfügung stellen. Das wird auch damit begründet, dass privatwirtschaftliche Unternehmen öffentliche Mittel für die COVID-19-Forschung angenommen haben, nun aber an den Impfstoffen verdienen. 

Die Koalition fordert den Verzicht auf das geistige Eigentum an COVID-19-Impfstoffen

Nach Angaben der Europäischen Kommission wurden 10,4 Milliarden US-Dollar (rund 9,2 Milliarden Euro) an öffentlichen Geldern für die Forschung und Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen und -Behandlungen verwendet. 

"Unsere Steuergelder haben das finanziert und deshalb sollte dieser [Impfstoff] wirklich allen gehören", sagt Botzki.

Eine Petition, die den Verzicht auf das geistige Eigentum an COVID-19-Impfstoffen, -Technologien und -Informationen fordert, hat bislang rund  2,7 Millionen Unterschriften gesammelt. Doch die Aktivist*innen sagen, dass der öffentlichen Druck im Bezug auf Impfstoffgerechtigkeit noch immer zu gering ist. 

"Das ist eine so große Forderung", sagt Botzki. "Angesichts von Handelsgesetzen und internationalen Handelsabkommen ist es so schwer, hier Hoffnung zu schöpfen. Doch im Mai sagte [US-Präsident Joe] Biden unter dem Druck [der Bewegung], er unterstütze einen Verzicht auf das Patent. Das war ein großer, hoffnungsvoller Moment." 

(L) WeMove Europe and The People’s Vaccine, are urging global leaders to ensure vaccines are produced rapidly at scale, made accessible (R) Annemarie Botzki poses for a portrait in Berlin in November 2021.
Image: Maria Sturm for Global Citizen

Aber der hielt nicht lange an. Kurz nach der Erklärung Bidens, sagte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie den Verzicht nicht unterstützt

“Die Entscheidung von Merkel war wegweisend. Sie ist in einer wirklich mächtigen Position und blockiert den Verzicht durch ihre Aussage im Grunde überall auf der Welt", sagt Botzki. "Merkel hat Nein gesagt. Sie hat ganz klar Nein gesagt, und danach hat sich in der EU niemand mehr für den Verzicht ausgesprochen."

Da Botzki um den Einfluss von Merkel weiß, organisierte sie eine Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt. Damit sollte Druck auf Merkel und BioNTech ausgeübt werden. BioNTech ist ein Mainzer Biotechnologieunternehmen, das den Impfstoff von Pfizer-BioNTech (auch bekannt unter dem Markennamen "Comirnaty") entwickelt hat. Der Impfstoff hat sich in klinischen Versuchen als bis zu 95 Prozent wirksam bei der Prävention von Coronainfektionen erwiesen. 

Auf dem afrikanischen Kontinent sind Produktionsstätten für einen COVID-19-Impfstoff in Betrieb oder im Aufbau

Des weiteren schrieb Botzki im Auftrag von WeMove einen Brief an BionTech. 

"Die Hersteller nennen diesen Impfstoff 'ein Projekt für die Menschheit'. In diesem Brief, den wir an BionTech geschrieben haben, heißt es: ‘Wenn Sie sagen, dass das ein Projekt für die Menschheit ist, dann handeln Sie entsprechend. Unterstützen Sie einen Verzicht, damit Sie dieses Wissen weitergeben können", sagt sie.

Die Gegner des Verzichts auf geistiges Eigentum, darunter auch Merkel, behaupten, dass er die Qualität der Impfstoffe beeinträchtigen würde.

"Es ist ein sehr rassistisches und koloniales Argument zu sagen, dass der Globale Süden nicht in der Lage ist, den Impfstoff zu produzieren. Der Globale Norden hält [diese Länder] im Grunde nur als Geisel und hat die hohen Preise für die Impfstoffe, von denen die Pharmaunternehmen profitieren", sagt Botzki.

Annmarie Bozki poses for a portrait in Berlin, Germany in November 2021.
Image: Maria Sturm for Global Citizen

Auch die Annahme, dass Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen den Impfstoff nicht herstellen können, sei falsch, da mehrere Länder dies bereits täten –  insbesondere Indien. Auf dem afrikanischen Kontinent sind mindestens zwölf Produktionsstätten für einen COVID-19-Impfstoff in Betrieb – oder befinden sich im Aufbau. 

Botzki hofft, dass es durch die neue Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Kurswechsel kommt. 

Die Aktivistin, die sich auch für Klimaschutz einsetzt, sieht im Umgang mit Corona-Impfstoffen Ähnlichkeiten in der Art und Weise, wie die Welt auf den Klimawandel reagiert, von dem die Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark betroffen sind. 

"Das ist eine große Herausforderung für die Menschheit. Wie gehen wir mit diesen globalen Problemen um? Denken wir als Weltbürger*innen oder denken wir nur an uns selbst?", sagt sie. "Wenn wir die Sache nicht global angehen, wird diese Pandemie niemals enden."

Wenn uns das vergangene Jahr etwas über globale Gesundheit gelehrt hat, dann wie wichtig Impfstoffe sind. The World's Best Shot ist eine Serie, die die Geschichten von Impfstoff-Aktivist*innen auf der ganzen Welt erzählt.

Diese Serie wurde mit Unterstützung durch die Bill and Melinda Gates Stiftung ermöglicht. Jeder der Beiträge ist redaktionell unabhängig erstellt worden.