Was wissen wir eigentlich über Mali? Außer dass es sich im ersten Moment ziemlich weit weg anhört. Was im übrigen auch die Redensart 'Timbuktu' erklärt, die immer dann benutzt wird, wenn etwas als sehr sehr seeeehr weit weg an einem fernen, unbekannten Ort bezeichnet wird. Timbuktu liegt nämlich in Mali (was ein Zufall also). Okay, Mali und Timbukut liegen also weit weg, zumindest für uns. Für Menschen in Mali ist Timbuktu quasi um die Ecke. Was allerdings viel interessanter ist: Timbuktu ist ein faszinierender Ort, auf den die Einwohner Malis sehr Stolz sind.
Okay, also noch mal: was wissen wir über Timbuktu?
Vor der Erfindung von Schwebebahn, Rollerblades und Hoverboards gab es keinen leichten Weg von hier bis südlich des Mittelmeers, quer durch die unendliche und wenig einladende Saharawüste bis runter zu den florierenden Küstengebieten des Nachbarortes Ghana. Zum Glück wurden 600 n.Chr. Kamele erfunden, was die Reisemöglichkeiten von hier nach Mali von unmöglich in schlichtweg sehr unbequem wandelte. Handelswege erschlossen sich, Karawanen zogen von Nord nach Süd und zurück und brachten allerlei Alltagsgegenstände von hier nach da. Nach und nach entstanden entlang des Weges Städte und zu Beginn des 12. Jahrhunderts hatte Timbuktu sich zu einer fest etablierten Stadt entwickelt, die für ihren Handel mit Gold, Salz, Eisen und Sklaven berühmt war.
Nach einer Weile hörte auch das zu diesem Zeitpunkt weniger schmucke Europa von der Großartigkeit Timbuktus. Geschichten rankten um unermesslichen Reichtum, mysteriöse Abenteuer, eine islamische Universität, spirituelle und akademische Kultur und ein florierender Buchhandel. Da Timbuktu wie erwähnt ziemlich weit weg und ziemlich schwer zu erreichen war, blieb den Menschen in Europa nicht viel anderes übrig, als den Gerüchten zu glauben und sich immer wilderen Phantasien hinzugeben.
Aber mal ernsthaft - in der Zeit vom 12. bis 16. Jahrhundert sonnte Timbuktu sich in goldene Zeiten, ausgestattet mit gewaltigen Moscheen und beeindruckenden Gebäuden, die teilweise auch heute noch bestehen. Die Universität in Timbuktu fasste 25.000 Studenten und war berühmt für ihre Bibliothek mit 400.000 bis zu 700.000 Manuskripten - was damals die größte bekannteste Sammlung an Schriftstücken in Afrika darstellte. Und das alles am südlichen Rand einer riesigen Wüste gelegen, ganz ohne Elektrizität. Nur um das mal zu erwähnen.
Mit der Zeit allerdings löste die Schifffahrt entlang der afrikanischen Küste die Karawanen und ihre Inlands-Handelsrouten ab, so dass in 1893, als Mali zur französischen Kolonie erklärt wurde, Timbuktus Glanz längst erlöschen war.
Seit 1960 gilt die Republik Mali nunmehr als unabhängig und Timbuktu wird vor allem von Backpackern und Abenteurern verehrt. Wer immer es nach Mali und zu dessen Weltkulturstätten schafft, kann sich deren Respekt sicher sein.
Warte mal, wann kommen die Grabstätten ins Spiel?
Ah ja, guter Punkt. Also. Wie sicherlich bekannt hat Mali seit 2012 mit schweren Konflikten im Land zu kämpfen. Bewaffnete Rebellen hatten im Norden Teile des Landes besetzt - und mit Rebellen meine ich Rebellen, die mit Al-Qaida verlinkt sind.
Daraufhin folgte ein Militärputsch (wenn das Militär die Regierung rausschmeißt und das Ruder in die Hand nimmt), der erst dann zum wanken kam, als die Franzosen 2013 eingriffen, um dem Land wieder mehr Stabilität zu geben.
Allerdings wurden in diesem Zeitraum bereits einige wertvolle Teile Malis fast komplett zerstört. 14 historische Grabstätten bei Timbuktu, einige von ihnen aus dem 13. Jahrhundert, wurden von den Rebellen komplett niedergemacht. Diese Grabstätten waren eng mit den Traditionen der Sufi Religion verbunden, die, auch wenn es Teil des Islams ist, von vielen Hardline-Fundamentalisten (und somit auch von den Rebellen im Land) schlichtweg nicht geduldet wird.
Okay, Rebellen und Fundamentalisten zerstören inzwischen fast jeden Tag und nahezu überall Dinge, Stätten und Monumente, von denen sie der Meinung sind, sie gehören nicht in diese Welt. Und das ist überall schlimm wie grausam. Warum spreche ich dann heute so gezielt von Timbuktu? Meine Antwort ist: für Menschen aus abgelegenen Teilen unserer Welt, die in extremer Armut leben, die oftmals kaum mehr als die eigenen Kleider am Leib besitzen, sind ihre historische Vergangenheit und ihre Kultur oftmals ein sehr großer Teil ihrer Identität und etwas, dass sie mit größtem Stolz tragen. Es ist etwas, was ihnen allen gehört - und manchmal auch das Einzige.
Ein Mann neben den Grab von Askia, das im Jahr 1485 für Toure, dem damaligen König des Songhai Empires, in der nordöstlichen Stadt Malian bei Gao erbaut wurde.
Wenn also solche Merkmale der Identität zerstört werden, kann das auf diese Menschen eine weitaus größere Auswirkung haben, als wenn sagen wir mal Stonehenge umkippt oder am Mount Rushmore ein Stück abbricht. Ich meine, wenn ein Teil einer Kultur zerstört wird, ist das immer ohne wenn und aber schlimm, egal wo. Wenn Kultur zerstört wird, die bezeichnend für einen Ort ist und den dort ansässigen Menschen Halt und Identität gibt, die eventuell mal als Anziehungspunkt für Besucher aus anderen Länder hätte dienen können und die als Bindeglied in der Geschichte der Menschheit gilt - ich finde, dann ist das einen Fokus wert.
Nachdem die Franzosen für Stabilität in Mali gesorgt hatten, legten diese unter anderem ihre Priorität darauf, die zerstörten Grabstätten wieder aufzubauen. Ein Projekt mit lokalem als auch internationalem Hintergrund begann damit, Stätte zu rekonstruieren und die überall verteilten Original-Steine aus dem Schlamm zu graben. Für die Rekonstruktion wurden außerdem weitestgehend traditionelle Bautechniken angewendet. Drei Jahre später waren die ersten drei Grabstätten vollständig wiederhergestellt. Man hatte diese drei als erstes ausgewählt, da sie zum Gedenken von Heiligen aus drei verschiedenen Regionen errichtet wurden: Timbuktu, Algerien und dem Niger Delta.
Parallel bemüht man sich zudem, auch Timbuktus berühmte Bibliothek wiederaufzubauen. Und auch wenn viele Relikte entweder geraubt oder dem Feuer zum Opfer gefallen sind, werden heute mehr und mehr Teile wiederentdeckt. Die lokale Bevölkerung hatte damals im Jahr 2012 ihr Bestes gegeben, so viele Dinge wie möglich vor den Rebellen zu verstecken, teilweise zu Hause im Keller oder unterm Dach, oder aber man hat versucht, Dinge außer Land in Sicherheit zu bringen.
All diese vielen kleinen Schritte, der Wiederaufbau der Grabstätten, zeigt, wie hart die Menschen vor Ort dafür arbeiten, ihre Identität und ihre Kultur wieder zu erlangen, die man ihnen fast gänzlich mit vorgehaltener Waffe gestohlen hat.
Sicherlich ist es wichtig, dass nach Krisen und Konfilkten der Bevölkerung zu allererst mit grundlegenden Dingen wir Nahrung, Kleidung und Unterkunft geholfen wird, keine Frage. Aber ich freue mich zu sehen, dass internationale Hilfe da nicht aufhört, sondern den Menschen auch auf emotionaler Ebene hilft, etwas zurück zu erlangen, was Ihnen Hoffnung auf die Zukunft gibt. Das macht mich glücklich.