Anm. der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 24. Januar veröffentlicht und aufgrund der jüngsten Ereignisse aktualisiert.

Noch nie zuvor war es so wichtig wie jetzt für die internationale Gesellschaft, zusammenzukommen. Nicht nur aufgrund der hohen Anzahl globaler Krisen, sondern auch, weil einige Notsituationen in den vergangenen zwei Jahren nicht priorisiert wurden. Trotz großen Leids wurden den Betroffen nicht genügend Aufmerksamkeit oder finanzielle Mittel zuteil.

Die COVID-19-Pandemie, soziale Ungleichheit und die Klimakrise sind nicht nur für sich genommen große Probleme. Sie haben auch dazu beigetragen, dass sich die Lebensbedingungen in den am stärksten benachteiligten Regionen der Welt weiter verschlechtert haben. Dazu gehören Hungersnöte, Instabilität, Gewalt und Vertreibung. 

Am 13. Januar gaben die Vereinten Nationen bekannt: Sie werden von unterfinanzierten humanitären Krisen betroffene Gemeinden mit 150 Millionen US-Dollar (rund 136 Millionen Euro) unterstützen. Die Ankündigung erfolgte kurz nach Veröffentlichung der Global Humanitarian Overview – eine Analyse des weltweiten Bedarfs an humanitärer Hilfe. 

Laut der Analyse werden im Jahr 2022 etwa 274 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Das ist die höchste prognostizierte Zahl seit Jahrzehnten. Das Fazit der Analyse war, dass 41 Milliarden US-Dollar (rund 37 Milliarden Euro) benötigt würden, um den von Krisen erschütterten Regionen zu helfen.

Kurz nach der Ankündigung der UN ereigneten sich Naturkatastrophen im südlichen Afrika und die Nahrungsmittelkrise im Nahen Osten und Nordafrika verschärfte sich. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat den Zugang zu Nahrungsmittelimporten abgeschnitten. 

Die Zahlen zeigen: Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe nimmt zu, wodurch für einige Notsituationen in der Welt keine finanziellen Mittel bereitstehen. Die UN macht einen wichtigen Schritt, damit Regionen, die bisher vernachlässigt wurden, 2022 vorrangig Hilfe erhalten. 

Obwohl jede Krise in der jeweiligen Region auf ihre eigene Art für Leid sorgt, lassen sie sich in fünf Kategorien einteilen: Vertreibung, Konflikte und politische Instabilität, Naturkatastrophen, wirtschaftliche Instabilität sowie Dürre und Ernährungsunsicherheit. Einige der betroffenen Regionen sind von mehr als einem dieser Faktoren gleichzeitig betroffen. DGobale Probleme sind oft miteinander verflochten – mit katastrophalen Auswirkungen.

Nachfolgend erklären wir einige der dringendsten, aber leider unterfinanzierten Krisen, mit denen die Welt im Jahr 2022 konfrontiert sein wird. 

Vertreibung und Geflüchtetenkrisen

1. Syrien

Die syrische Geflüchtetenkrise ist eine der schlimmsten der Welt und die Lage wird immer ernster. Der politische Konflikt, die kriegerische Gewalt in Syrien dauern seit 2011 an und eskalieren immer mehr. Derzeit gibt es schätzungsweise 6,9 Millionen Binnenvertriebene im Land. Mehr als elf Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. 

Laut einer von der Europäischen Union finanzierten und vom Center for Operational Analysis and Research durchgeführten Studie stagnieren die finanziellen Mittel trotz der sich ausweitenden Krise, was dazu geführt hat, dass die Krise deutlich unterfinanziert ist. 

Syrian women wait for donated food to be distributed in a refugee camp for displaced people supported by the Turkish Red Crescent in Sarmada district, north of Idlib city, Syria, Nov. 25, 2021.
Image: Francisco Seco/AP

Konflikte und politische Instabilität

2. Myanmar

Schon im vergangenen Jahr haben der politische Konflikt und die Instabilität in Myanmar für Schlagzeilen gesorgt. Die UN hat das Land als eine der Regionen identifiziert, die dringend eine Aufstockung finanzieller Mittel benötigen. Infolge eines Militärputsches kam es in Myanmar zu politischen Unruhen, das Militär übernahm im April 2021 die Führung des Landes und verhängte nach den letzten demokratischen Wahlen, die die amtierende Präsidentin Aung San Suu Kyi mit einem Erdrutschsieg gewann, den Ausnahmezustand.

Hintergrund war, dass das Militär die Opposition angeblich stark unterstützte. Massenproteste, gewaltsame Unterdrückung, Vertreibung und wirtschaftliche Instabilität belasten das Land seither. Die Myanmar Humanitarian Needs Overview (HNO) schätzt, dass infolge der anhaltenden Unruhen mehr als 14,4 Millionen Menschen, darunter fünf Millionen Kinder, auf Hilfe angewiesen sind

3. Burkina Faso

Nach Angaben des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) ist der Konflikt in der zentralen Sahelzone und Burkina Faso eine der sich am schnellsten verschärfenden Krisen der Welt. Im vergangenen Jahr kam es in der Region zu Anschlägen von Aufständischen, im Dezember 2021 etwa ermordeten Dschihadist*innen mindestens 41 Zivilist*innen.

Solche Angriffe plagen das Land seit 2015 und es ist kein Ende in Sicht. Erst im Januar dieses Jahres haben mutmaßliche militante Kämpfer*innen erneut Zivilist*innen angegriffen, wobei mindestens zehn Menschen ums Leben kamen. Derzeit ist das Land infolge der Gewalt mit Massenvertreibungen konfrontiert und die betroffenen Bürger*innen haben Schwierigkeiten, Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Wasser und Lebensmitteln zu erhalten. Das Welternährungsprogramm schätzt, dass mehr als drei Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind. 

4. Sudan

Das sudanesische Volk kämpft seit 2019 für Demokratie. Nachdem eine Übergangsregierung im Jahr 2021 für Hoffnung gesorgt hatte, wurde sie gegen Ende des Jahres durch einen Militärputsch gestürzt. Anfang 2022 protestierten die Menschen erneut für Demokratie, die Unruhen hielten aber an – während das Land um eine funktionierende Regierung kämpft, um die Sicherheit der Bürger*innen zu gewährleisten. 

Darüber hinaus ist der Sudan auch in den Tigray-Krieg verwickelt. Hunderttausende von Zivilist*innen flohen auf der Suche nach Sicherheit aus Äthiopien in den Sudan. Das Land hat also neben politischer Instabilität in den letzten beiden Jahren einen enormen Zustrom von Geflüchteten erlebt. Lebensmittel und Wasser sind für die Schutzsuchenden knapp und die Binnenvertreibung im Land nimmt zu. 
Tigrayan refugees gather in front of their shelters at Hamdeyat Transition Center near the Sudan-Ethiopia border, eastern Sudan, March 24, 2021.
Image: Nariman El-Mofty/AP

5. Äthiopien

In der äthiopischen Region Tigray herrscht seit Ende 2020 Krieg. Die Regionalregierung – der Tigray People's Liberation Front (TPLF) – und die nationale Regierung Äthiopiens streiten darüber, wer die Region rechtmäßig leiten sollte. 

Die Gewalt ist seit 2020 weiter eskaliert, hat unschuldigen Zivilist*innen das Leben gekostet und zu einer schweren Geflüchtetenkrise geführt. Schutzsuchende aus Eritrea, die vor dem Konflikt und der Instabilität in ihrem eigenen Land geflohen waren, sind nun durch die anhaltende Gewalt im Norden Äthiopiens gefährdet. Sie und Bevölkerungsgruppe aus der Region sind gezwungen, (erneut) Asyl zu suchen. Frauen und Mädchen in Äthiopien sind besonders stark gefährdet, doch Organisationen haben häufig Schwierigkeiten, in die Region zu gelangen, um den Bedürftigen zu helfen. 

Naturkatastrophen

6. Demokratische Republik Kongo

Das Jahr 2021 war für die Demokratische Republik Kongo (DRK) ein hartes Jahr, da sie mit einer ganzen Reihe von Problemen konfrontiert war. Neben anhaltender politischer Gewalt und drei Ebola-Ausbrüchen ereignete sich eine beispiellose Naturkatastrophe. 

Ende Mai 2021 verschärfte sich die Gesamtlage in dem Land drastisch. Denn 450.000 Bürger*innen waren nach dem Ausbruch des Vulkans Nyiragongo gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen. Bei der Naturkatastrophe kamen mindestens 31 Menschen ums Leben, Hunderte von Häusern wurden zerstört und Hunderttausende von Menschen wurden vertrieben. Noch heute sind fast 100.000 Menschen auf der Flucht und benötigen Hilfe. 

Residents flee Goma, Congo on May 27, 2021 , five days after Mount Nyiragongo erupted.
Image: Moses Sawasawa/AP

7. Haiti

Im August 2021 kam es in Haiti zu einem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,2. Es betraf rund 650.000 Menschen und forderte knapp über 2.200 Todesopfer. Schon vor dieser tödlichen Katastrophe und infolge des Mordes am haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 war es zu Protesten gegen Korruption in der Regierung gekommen. Dies wirkte sich auf die wirtschaftliche Stabilität Haitis aus und führte zu Lebensmittel- und Treibstoffknappheit

Im Jahr 2022 hat das Land noch immer mit den Folgen des Erdbebens zu tun. Die finanzielle Unterstützung von Haiti ist aufgrund der Korruption kompliziert geworden. Bürger*innen und Hilfsorganisationen fordern Geldgeber auf, strategisch und bedacht zu handeln, um die Bedürfnisse des Landes zu erfüllen. 

A worker stands on a truckload of corn flakes donated from the AAA political party to residents in the gang-controlled Bel Air neighborhood of Port-au-Prince, Haiti, Oct. 5, 2021.
Image: Rodrigo Abd/AP

8. Mosambik

Mosambik erlitt in den vergangenen drei Jahren immer wieder Naturkatastrophen. Allein im Jahr 2022 wurde das Land innerhalb weniger Wochen von drei Tropenstürmen namens Ana, Batsirai und Gombe heimgesucht. Sie zerstörten Zehntausende von Häusern. Mehr als 100 Menschen starben, davon 88 durch den Sturm Ana, mindestens 20 durch Batsirai und zuletzt 15 durch Gombe. Zudem hat sich Mosambik noch immer nicht vollständig von den Wirbelstürmen Idai und Kenneth aus dem Jahr 2019 erholt.

Auch umliegende Länder wie Madagaskar und Malawi wurden in Mitleidenschaft gezogen, denn die Stürme zerstörten dort Infrastruktur, töteten Hunderte und vertrieben Tausende von Menschen. 

A woman washes her clothes in a flooded residential area in Nhamatanda, about 100km west of Beira, March 21, 2019. A week after Cyclone Idai lashed southern Africa, flooding still raged as torrential rains caused a dam to overflow in Zimbabwe.
A woman washes her clothes in a flooded residential area in Nhamatanda, about 100km west of Beira, March 21, 2019. A week after Cyclone Idai lashed southern Africa, flooding still raged as torrential rains caused a dam to overflow in Zimbabwe.
Image: Themba Hadebe/AP

Dürre und Ernährungsunsicherheit

9. Kenia

Das herzzerreißende Bild von sechs unterernährten und dehydrierten Giraffen, die an den Folgen der Dürre in Kenia gestorben waren, erregte im Dezember 2021 internationales Aufsehen. 

Kenias nördliche Region leidet seit Ende 2020 unter einer schweren Dürre. Sie beeinträchtigt die Landwirtschaft, die Nahrungsmittelproduktion sowie den Zugang zu Wasser und damit zu guter Hygiene. Der Guardian berichtet, dass Landwirt*innen bis zu 70 Prozent ihres Viehbestands verloren haben und ums Überleben kämpfen. 

Medien weltweit haben über die Dürre berichtet. Doch Hilfsorganisationen konzentrieren sich vor allem auf die benachbarten Krisenländer Äthiopien und Somalia, sodass Kenia massiv unterfinanziert ist und zu wenig Unterstützung erhält. Infolge der Dürre sind mehr als zwei Millionen Menschen in eine schwere Hungersnot getrieben worden. 

Kenyan women of Somali origin wait with their containers for a water distribution from the government near Kuruti, in Garissa County, Kenya, Oct. 27, 2021.
Image: Brian Inganga/AP

10. Tschadsee

In den vergangenen fünf Jahrzehnten sind mehr als 90 Prozent des Tschadseebeckens ausgetrocknet. Das erschwert nicht nur den Zugang zu Wasser in sieben afrikanischen Ländern, sondern führt auch zu Gewalt und Konflikten um die natürliche Ressource.

Da der Tschadsee eine lebensnotwendige Wasserquelle für mehrere afrikanische Communities ist – etwa für Fischfang, Landwirtschaft und Trinkwasser – haben sich Spannungen zwischen denjenigen ergeben, die Zugang zu Wasser benötigen, aber keine Kompromisse eingehen wollen.

Die UN berichtet, dass im Rahmen dieser Konflikte zehn Dörfer niedergebrannt wurden und Dutzende von Menschen ums Leben gekommen sind. Die Organisation schätzt außerdem, dass sich die Situation aufgrund der Klimakrise noch verschlimmern könnte. Etwas mehr als 240 Millionen US-Dollar (rund 219 Millionen Euro) würden benötigt, um die von der Krise Betroffenen zu unterstützen.

11. Südsudan

Der Südsudan erlebt nicht nur eine der größten Geflüchtetenkrisen weltweit, sondern sieht sich infolge des politischen Konflikts und der Klimakrise auch mit einer erheblichen Nahrungsmittelknappheit konfrontiert. Als das weltweit jüngste Land im Jahr 2021 sein zehnjähriges Bestehen feierte, waren 7,2 Millionen Menschen von Hunger bedroht oder betroffen

Seit 2013 findet zudem ein politischer Bürgerkrieg statt, der Millionen von Menschenleben gefährdet und die Bevölkerung zur Flucht treibt. Der Krieg hat zu einem unglaublichen Mangel an Nahrungsmitteln und Hilfsgütern geführt, zusätzlich zu der schweren Dürre sowie Überschwemmungen im Jahr 2019, die die Nahrungsmittelversorgung des Landes ohnehin beeinträchtigten.

Wirtschaftliche Instabilität

12. Libanon

Der Libanon ist mit einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen konfrontiert, die die Welt seit Jahrzehnten erlebt hat. Die Weltbank schätzt, dass sie zu den zehn schwersten Krisen seit Mitte des 19. Jahrhundert zählt. Seit 2019 erlebt das Land das, was die Weltbank als “vorsätzlichen Wirtschaftsabschwung" bezeichnet: Die Banken kontrollieren, wer Geld abheben darf und wie viel. Zuvor hatte sich das Land von den Banken Geld geliehen und damit stark verschuldet.

Die Explosion in Beirut im August 2020 verschlimmerte die Lage und erhöhte den Bedarf an humanitärer Hilfe. Viele Bürger*innen verloren ihre Häuser, Schulen und Arbeitsplätze.

Global Citizen Life

Gerechtigkeit fordern

12 globale Krisen, für die 2022 nicht genug Geld zur Verfügung steht

Ein Beitrag von Khanyi Mlaba