Das Foto des 'skeptical 3rd world child' ('Das skeptische Dritte-Welt Kind') ist zum Internethit avanciert. Wer von euch es bisher nicht gesehen hat, hier ist das Original: 

Image: Flickr- Post Memes

Das Foto spielt gleich mit einer ganzen Reihe von Stereotypen. Ich meine, wir sehen ein stereotypisches 'Dritte-Welt' Kind: dunkle Hautfarbe, schmutzige Kleidung, auf dem Boden liegt Müll herum. Und wir sehen das stereotypische 'Erste-Welt Girl': Sonnenbrille lässig im Haar, geflochtenes Armband und Kette, coole aber nicht zu auffällige (saubere) Kleidung. Der Klassiker halt. Erste-Welt Girl hockt nebem Dritte-Welt Jungen.  
Aber statt der sonst stereotypisch bebilderten Kinder mit großen Kulleraugen und den oft gekünstelten Umarmungen, die man sonst so auf NGO Bildern sieht, hat dieses 'angebliche Dritte-Welt Kind' einen ziemlich kritischen Blick drauf, mit hochgezogenen Augenbrauen und den Händen zu einer unverkennbar skeptischen Haltung gefalten.

Kurzum - dieses Foto wurde zum Internetphänomen und hat tausend Meme hervorgebracht. Die allesamt so einiges über Armut, Freiwilligenarbeit und die damit einhergehenden Vorurteile aussagen. Hier sind einige von ihnen:


Während einige der Meme ziemlich unverfroren auf sogenannte #firstworldproblems anspielen, in dem auf sarkastische Weise ein Licht auf die Lebensunterschiede zwischen reichen und armen Länder geworfen wird, ziehen andere die klassischen Stereotypen der Freiwilligenarbeit, Missionars- und NGO-Arbeit durch den Kakao. 

Das ganze hat sogar seinen eigenen Twitter-Handle entwickelt. 


Warum aber wurde ausgerechnet dieses Bild so berühmt? Nun, allen voran weil dieses Bild genau das Vorurteil sprengt, das viele in unserer Gesellschaft von der 'ersten' und 'dritten' Welt haben und das von Organisationen mitunter schamlos ausgenutzt wird.

Denn vor allem in den vergangenen Jahren hat sich der sogenannte “Voluntourism” (Englische Wortzusammensetzung aus Volunteer = Freiwilliger und Tourism = Tourismus) zu einem fragwürdigen Trend entwickelt. Eine Gruppe Studenten (aus einem reichen Industriestaat) zum Beispiel, die für eine Woche nach Kenia fliegen, um dort beim Bau einer Schule zu helfen (und um sich ein 'echtes' Bild von Armut zu machen) und letztendlich einen Tag helfen und dann 6 Tage auf Safari gehen, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass dieser 'soziale Einsatz' sich fantastisch auf dem Lebenslauf macht. DAS ist Voluntourism. Oder eine Gruppe europäischer Teenager auf Mission, die 10% ihrer Zeit mit Helfen verbringen und 90% damit, Selfies von sich und afrikanischen Kindern zu schießen. Das ist ebenfalls Voluntourism. 

Wie dieser schön geschriebene Blog hier es ziemlich passend auf den Punkt bringt: ob bewusst oder unbewusst, es steckt eine Menge fragwürdiger Überheblichkeit hinter solchen Aktionen, in denen Menschen aus reichen Industriestaaten sich dazu 'berufen' fühlen, einen ganzen Kontinent 'Mal eben zu retten'. Denn die meisten (ich sage bewusst nicht 'alle') Aktionen schmücken sich nach außen hin mit Altruismus, helfen allerdings letztendlich nur dem Ego der 'Helfer' (und liefern zudem tolles Social Media Futter und eine Extraspalte im Lebenslauf), während das eigentliche Ziel, nämlich echte und aufrichtige Unterstützung, verloren geht.

Der 'Rusty Radioator Award', der von einer Organisation aus Norwegen vergeben wird, geht in Bezug auf die Enttarnung dieses Trends sogar noch einen Schritt weiter. Denn der Award wird an Organisationen 'verliehen', die mit den echt schlimmsten Stereotypen spielen und die Menschen, denen sie angeblich helfen wollen, nicht nur als unfähig darstellen, sondern letztendlich langfristig gesehen dem nachhaltigen Kampf gegen Armut durch die Aufrechterhaltung solcher Stereotypen Steine in den Weg legen.

Das Video 'Let's save Africa - Gone Wrong' ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie solche Stereotypen aufs Korn genommen werden.

Die Message des Videos ist klar: ganz Afrika besteht nicht aus Kindern in zerschlissener Kleidung und tränenverschmierten Gesichtern, die apathisch auf dem dreckigen Boden sitzen und ins Leere starren. Solche Vorurteile sind nicht nur demütigend, sondern spielen lediglich auf ein und dieselbe Emotion an: bei dem Betrachter ein schlechtes Gewissen zu wecken. 

Wo aber liegt der Unterschied zwischen echter Hilfe und Voluntourism? Ich bin in einem #firstworldcountry aufgewachsen, habe alle Privilegien und Vorteile die damit einhergehen genossen. Und auch ich habe als Freiwillige einige Monate in Kolumbien und der Dominikanischen Republik verbracht. Und ja, auch ich habe Fotos geschossen, von mir und den Kids vor Ort und ja, einige davon hab ich auch auf Facebook gepostet.

Bin ich etwa in die Voluntourism-Falle getappt? Soll jetzt niemand mehr in Entwicklungsländer fliegen und Freiwilligenarbeit leisten?

Einige Hardliner werden jetzt vielleicht ja sagen. Und auch über mich verächtlich die Nase rümpfen. Aber solche Begebenheiten zu kritisieren ist einfach, mit dem Zeigefinger auf mich zeigen auch - die Herausforderung liegt darin, gute Alternativvorschläge zu machen!


via GIPHY

Ich wage mich also an einen solchen Vorschlag.
Erstens: Videos und Foto Meme wie die hier, die zum Internethit werden, machen mehr als deutlich, welche Stereotypen es da draußen gibt. Ja, man kann und soll darüber schmunzeln, aber vor allem sollte man das zum Anlass nehmen, mal ernsthaft zu reflektieren. Und es hilft mit Sicherheit auch der ein oder anderen Organisation und Stiftungen dabei, mal die Perspektive zu wechseln und die eigene Kommunikationsarbeit zu betrachten.
Das Ergebnis darf aber nicht sein, dass alle sich dadurch entmutigen lassen. 

Wie bei jeder Kritik zeigt sich wahre Größe darin, ob man es nicht persönlich nimmt, sondern als Anstoß, sich zu verbessern. Natürlich ist das auch mal unangenehm. Wer wird schon gerne kritisiert oder darauf aufmerksam gemacht, dass das was man macht, irgendwie nicht ganz richtig ist. Aber lieber den Kopf einziehen und stur ignorant sein? Auf keinen Fall. 

Während meiner Zeit als Freiwillige war ich offen für Erfahrungen. Und zwar alle, gute wie schlechte. Und ich bin dem Gedanken gefolgt, dass es sich nicht nur um Erfahrungen für mich, sondern auch für die Menschen mir gegenüber handelt. Während meiner Freiwilligenzeit habe ich Kinder und Erwachsene in Englisch und Spanisch unterrichtet, in der gemeinsamen Hoffnung, dass diese Sprachkenntnisse ihnen einen Vorteil bei der Jobsuche verschaffen. Und auch wenn ich hoffe, dass meine 'Schüler' in dieser Zeit etwas gelernt haben, so hab ich letztendlich genau so viel, wenn nicht mehr, für mich mitgenommen. Diese Zeit hat mich vieles gelehrt und ich denke bestimmt öfter an meine Schüler zurück als diese an mich. 

Heute stelle ich mir selber ganz kritisch die Frage, welche Rolle ich damals eingenommen habe, ob ich ernsthaft und aufrichtig eine Hilfe war - und wo und wann nicht. Zu jeder Zeit waren mir die Umstände bewusst, die um mich herum waren: die schlechte Wohnsituation für viele (inklusive mir), die hohe Analphabetenrate in der Gemeinde, die vielen Teenager die schwanger waren, die nur sehr dürftigen öffentlichen Verkehrsmittel - und mir war auch klar, dass ich alleine das nicht ändern werde. Und nicht ändern muss. Ich habe viele in der Gemeinde kennengelernt, die diese Probleme genauso gesehen haben und proaktiv an Lösungen arbeiten. Und das sind Menschen, die da geboren und aufgewachsen sind und für immer näher an diesen Dingen dran sein werden, als irgendeine ausländische Organisation es je sein wird. Freiwillige und Organisationen können dabei helfen, Resourcen, Unterstützung und Erfahrung bereit zu stellen, aber der beste und effektivste Wandel kommt immer von innen.

Zweifelsohne hat meine Zeit als Freiwillige mich definitiv in meiner späteren Berufswahl stark beeinflusst. Ich sehe meine Stärke heute darin, Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken und einen Informationsfluss herzustellen. Gemeinsam mit weiteren Campaignern bin ich davon überzeugt, dass wir gemeinsam mit Gemeinden vor Ort dafür sorgen können, dass vor allem Regierungen auf die echten Bedürfnisse der Menschen eingehen. Denn um so mehr Menschen ihre Stimme erheben, um so lauter kann man fordern.

Mir ist klar, dass es keine ultimative Liste im Kampf gegen extreme Armut gibt, die man Stück für Stück abhaken kann. Wovon ich allerdings überzeugt bin und was mich meine Erfahrungen mich gelehrt haben, ist, dass egal wie lange es dauert und welche Schritte noch gegangen werden müssen, wir das nur erreichen können, wenn wir ernsthaft und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. 

Editorial

Gerechtigkeit fordern

Ein Kontinent, hundert Vorurteile - und wie ein Foto darüber zum tausendfachen Internethit wurde

Ein Beitrag von Nicki Fleischner