Ein Flüchtlingscamp ist kein Ort, an dem man gerne ist. Das erfahren Teenager in Norwegen hautnah. Für einen Tag und eine Nacht befinden sie sich 'auf der Flucht aus dem Sudan nach Norwegen' und kommen dabei zwischenzeitlich in einem nachgestellten Flüchtlingscamp unter, um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, was Millionen von Flüchtlingen täglich durchmachen müssen.

Das ganze ist kein seichtes Spiel, so die Organisation 'Refugee Norway', die diese Camps leiten. Die Jugendlichen sollen Empathie entwickeln für Menschen, die nicht so privilegiert sind wie sie selbst. „Wir wollen ihnen zeigen, wie glücklich sie sich schätzen können, dass sie in einem friedlichen Land wie Norwegen leben", zitiert die Zeitung 'Washington Post' den Leiter von 'Refugee Norway', Kenneth Johansen.

Und die Erfahrung hat es definitiv in sich: die Camps befinden sich auf einem alten Militärgelände im Südosten des Landes, die Umgebung ist harsch und spärlich.

Die Jugendlichen starten den Tag mit einer Handvoll Habseligkeiten, es ist bitterkalt, sie laufen den ganzen Tag querfeldein über das Gelände. Es gibt nicht genug zu essen oder zu trinken, um sie herum toben regelmäßig Sirenen, am Ende des Tages müssen sie auf dem Boden schlafen. Und damit nicht genug. In der Nacht werden die Jugendlichen von Grenzwächter-Darstellern schikaniert, nur um dann plötzlich wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden, da sie 'angegriffen' werden und durch die Nacht flüchten müssen, um anderswo ihr Zelt aufzuschlagen. 

An ihre Grenzen werden die Jugendlichen aber nicht nur durch die extremen Umstände, die  Kälte und ihre Erschöpfung gebracht. Das Camp will zudem auch die 'bürokratischen' Kämpfe nachstellen. Denn neben all der körperlichen Überanstrengung müssen Flüchtlinge sich oft durch Labyrinth-ähnliche Prozesse schlagen, um beispielsweise einen Antrag auf Asyl, Unterkunft, Reise- und Arbeitserlaubnis zu stellen. Das gleiche gilt daher auch für die Jugendlichen, inklusive in langen Schlangen vor der Behörde anstehen, Pässen, Beamten und Übersetzern. Die harte Erfahrung hier: die Bürokratie arbeitet oft gegen einen.

Projektleiter Johansen betont, dass im Camp jedoch nicht für Flüchtlinge geworben werde oder politische Meinungen verbreitet würden. Am Ende eines jeden 24-Stunden Tages lässt Johansen die Jugendlichen das Erlebte Revue passieren. „Für euch war das ein Spiel. Für 60 Millionen echte Flüchtlinge ist das jeden Tag die Hölle auf Erden", gibt er ihnen laut dem norwegischen Nachrichtenportal 'Thelocal.no' mit auf den Weg.

Oft regen diese nachgestellten Camps an nur einem Tag mehr Gesprächsstoff unter den Jugendlichen an, als unzählige Schulstunden es tun. Denn am Ende dieser eher außergewöhnlichen Erfahrung fühlen die meisten einen Mix aus Erschöpfung, Verwirrung und Erleichterung. Erleichterung darüber, dass es endlich vorbei ist. Erschöpfung, weil niemand für solche Strapazen gewappnet ist. Und Verwirrung darüber, das dies keine menschenwürdigen Zustände sind - für niemanden - und die Welt trotzdem nicht mehr dagegen tut.

Die Idee solcher nachgestellten Flüchtlingscamps gibt es nicht erst seit der Syrienkrise, sondern kam bereits 1987 aus Dänemark. In Norwegen gibt es inzwischen zwei solcher Projekte, die Organisation Refugee Norway veranstaltet die Camps seit zwölf Jahren. In dieser Zeit haben bereits über 80.000 Jugendliche daran teilgenommen.

Natürlich stößt auch eine solche Simulation an ihre Grenzen. Denn die nagende Ungewissheit, wie es mit dem eigenen Leben weitergeht, nicht zu wissen, wann und ob man je in Sicherheit ist, macht mitunter nicht nur den schlimmsten Teil der Flucht aus, sondern lässt sich auch nicht nachstellen. Auch kann ein einziger Tag nicht mal ansatzweise den Wochen, Monaten und Jahren gerecht werden, die ein Mensch auf der Flucht durchleben kann.

Aber das Projekt in Norwegen hat gezeigt, dass die Erfahrungen, die die Jugendlichen hier machen, die Vorstellungskraft enorm unterstützt und die Teilnehmer näher bringt an die Not und das Leben von Menschen, mit denen sie sonst eher weniger Gemeinsamkeiten teilen. Die Teilnahme regt immer Diskussionen an und fördert das Verständnis und die Empathie unter den Jugendlichen - ein Ergebnis, dass unsere 'klassischen Medien' in dieser Intensität oft nicht (mehr) schaffen.  

Denn Bilder und Videos von Flüchtlingen, die zusammengedrängt in einem Boot hocken oder aber hinter Zäunen darauf warten, dass Ihnen endlich Asyl gewährt wird, sind inzwischen derart weit verbreitet, dass sie zu unserem täglichen Medienbild gehören. Ob diese Bilder neben einer kurzweiligen Betroffenheit daher langfristig überhaupt Empathie wecken, kann also eine durchaus berechtigte Frage sein.

In Norwegen hat man die Erfahrung gemacht, dass diese greifbaren und berührbaren Erfahrungen die größte Auswirkung auf Menschen hat - und dadurch auch am meisten Empathie hervorgerufen wird.  

Letztendlich geht es darum, in die Köpfe der Menschen vorzudringen und ihnen die Frage zu stellen: wie wollen wir Menschen behandeln, die wir nicht kennen und in deren Schuhe wir nicht stecken, aber von denen wir wissen, dass sie unsere Hilfe brauchen? 

Und natürlich ist es schwierig, die eine Antwort darauf zu finden. Aber die braucht es auch nicht. Es wird viele kleine Antworten geben, die alle gefunden und ausgeführt werden müssen, um gemeinsam die große Frage nach dem 'wie' zu lösen.

Nachgestellte Flüchtlingscamps können einen durchaus effektiven Weg darstellen, um Menschen die Thematik näher zu bringen. Auch wenn echte Not und Elend sich niemals wirklich nachspielen lassen. Und letztendlich sprechen wir hier von einer Gemeinschaftsaufgabe, an der sich die Öffentlichkeit und die Politik gleichermaßen beteiligen müssen.

Was haltet ihr von solchen Camps? Sollte es so etwas auch in Deutschland geben? 

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Gerechtigkeit fordern

Norwegen schickt Jugendliche für 24 Stunden in inszenierte Flüchtlingscamps

Ein Beitrag von Joe McCarthy