Du kennst das sicherlich noch aus Schulzeiten: es ist wieder Zeit für eine Gruppenarbeit und gleich am Anfang zeigt sich eine Person komplett desinteressiert, irgendeine Aufgabe dazu beizutragen. Man versucht, sich zusammenzuraufen, Termine zum Treffen einzuplanen und Aufgaben zu verteilen, um am Ende mit einem Produkt herauszukommen, auf das man gemeinsam stolz sein kann.
So oder so ähnlich läuft es auch ab, wenn sich mächtige Entscheidungsträger*innen treffen, um die globalen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen. Wenn sie sich dann auf gemeinsame Maßnahmen einigen und nach bestimmten Prinzipien vorgehen, nennt man das Multilateralismus.
Was ist Multilateralismus?
Ein wahrer Zungenbrecher mit sieben Silben: Im Lateinischen setzt sich der Begriff aus multi für “viele” und latus für “Seite” zusammen und bedeutet quasi “vielseitig”. Multilateralismus bezeichnet die Koordination nationaler Politik zwischen drei oder mehr Staaten. Würde es sich nur um die eines Staates handeln, spricht man vom Unilateralismus, bei zwei Staaten nutzt man den Begriff Bilateralismus.
Das Ziel von multilateraler Zusammenarbeit ist ganz klar: Gemeinsam globale Probleme lösen. Gerade die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise und die durch die Invasion Russlands in der Ukraine ausgelöste Nahrungsmittelkrise zeigen, dass die Katastrophen unserer Zeit keine Grenzen kennen. Global Probleme brauchen globale Lösungen. Deswegen ist es wichtiger denn je, dass wir uns als internationale Gemeinschaft zusammentun.
Daher ist es extrem wichtig, dass Staaten und ihre Regierungen sich zum Multilateralismus bekennen – und entsprechend handeln. Und das ist wie bei der Gruppenarbeit in der Schule: Nicht eine*r sollte alleine vorpreschen oder gar nichts beitragen, sondern das Ganze muss gerecht aufgeteilt werden.
Das bedeutet, dass Staaten nicht einfach so ihre eigenen Interessen verfolgen sollten, ohne Rücksicht auf andere Länder zu nehmen. Hier geht es darum, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen und die Prinzipien und Werte zu teilen, mit denen man zusammenarbeiten will. So legt die UN-Charta beispielsweise die "Spielregeln" der Vereinten Nationen fest.
Warum ist Multilateralismus wichtig im Kampf gegen extreme Armut?
Die globalen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, der Klimakrise und gewaltsamer Konflikte und Kriege treffen die Menschen am härtesten, die bereits jetzt am stärksten von Armut betroffen sind. Etwa 100 Millionen Menschen wurden durch die Pandemie in extreme Armut getrieben, die Zahl der Hungernden und Mangelernährten nimmt rasant zu. Weltweit stehen 45 Millionen Menschen am Rande des Hungertods. Zudem verschärft der Krieg in der Ukraine die Energie- und Nahrungsmittelpreise, was viele weitere Menschen in die Armut und den Hunger stützt.
Die Dimensionen dieser anstehenden Herausforderungen müssen angemessen angegangen werden – es braucht Handlungen auf verschiedenen Ebenen und an unterschiedlichen Orten, um an einem Strang zu ziehen. Damit die Ziele verfolgt werden, wurden multilaterale Organisationen ins Leben gerufen.
Was machen multilaterale Organisationen?
Multilaterale Organisationen (MO) sind politisch neutrale, überstaatliche Organisationen mit mehreren Mitgliedern. Sie verfügen über Kapital und ein umfassendes Fachwissen, durch die sie Maßnahmen ergreifen können, die Menschen aus der Armut helfen sollen. Sie stellen eine zentrale Rolle der internationalen Zusammenarbeit dar. Die finanziellen Mittel stammen in den meisten Fällen aus dem Etat der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit von genau den Ländern, die Mitglieder sind.
Was hat das Ganze mit Deutschland zu tun? Die Bundesregierung ist Mitglied in vielen ebendiesen internationalen Organisationen, unterstützt sie finanziell und beteiligt sich auch aktiv an der Erarbeitung von Strategien, dem Aufstellen der Programme und der Umsetzung der Ziele. So ist Deutschland im Aufsichts- und Exekutivrat von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), unterstützt die Vereinten Nationen sowie deren Organisationen und Fonds. Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ist ein zentraler Rahmen der multilateralen Politik Deutschlands.
2019 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) etwa fünf Milliarden Euro für internationale Organisationen ausgegeben, darunter Organisationen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der Weltbankgruppe, regionalen Entwicklungsbanken und anderen Organisationen und Fonds wie dem Grünen Klimafonds und dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose.
Allerdings ist laut dem aktuellen Entwurf für den Haushalt 2023 vorgesehen, die Gelder für das BMZ um zehn Prozent zu kürzen und besonders die Beträge für multilaterale Organisationen drastisch zu reduzieren. Ein schlechtes Signal, denn um effektive Maßnahmen zu entwickeln und im Endeffekt auch zu realisieren, braucht es nun mal Gelder. Was hinter der Arbeit steckt, kannst du im Folgenden erfahren.
Die entscheidende Rolle von multilateraler Entwicklungszusammenarbeit
Multilaterale Organisationen arbeiten eng mit Vereinen und Organisationen vor Ort zusammen, koordinieren so die genauen Bedarfe und können sie bei der Entscheidung für Maßnahmen mit einbeziehen. Wenn sie also gesammelt Unterstützung von Politik, Unternehmen und der Philanthropie erhalten, erreichen sie mehr, als einzelne Geber je in der Lage wären. In außergewöhnlichen Notsituationen können sie entscheidende Beiträge gezielt einsetzen und durch ihre Expertise vor Ort und die weltweite Kooperation nicht nur schneller an Gelder gelangen, sondern auch an benötigte Ausrüstungen. Probleme können flächendeckender angegangen werden, als es bei bilateralen Partnerschaften der Fall ist. Die Empfängerländer von multilateraler Entwicklungszusammenarbeit können zudem gesammelt auftreten, um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen und geraten so weniger in Abhängigkeit von einzelnen Geberländern.
Multilaterale Organisationen, die du kennen solltest
UNAIDS
UNAIDS steht für Joint United Nations Programme on HIV/AIDS, auf Deutsch etwa das gemeinsame Programm für HIV/AIDS. Als Hauptaufgabe widmet sich UNAIDS der weltweiten Bekämpfung von HIV/AIDS, der Sammlung von wissenschaftlichen Studien sowie der Förderung der Behandlung von Erkrankten. UNAIDS wurde am 26. Juli 1994 gegründet, hat seinen Sitz in Genf, der Schweiz, und verfügt über einen Haushalt von 231 Millionen US-Dollar (Stand: 2019). Die Exekutivdirektorin seit 2019 ist Winnie Byanyima aus Uganda.
Sowohl innerhalb als auch außerhalb der UN setzt sich UNAIDS für einen holistischen Ansatz ein, um HIV/AIDS mit all ihren Facetten anzugehen. Damit das geschehen kann, sitzen auch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft im UNAIDS Exekutivrat. UNAIDS bildet sich aus elf Organisationen zusammen, um HIV/AIDS bis 2030 als gesundheitliche Gefahr zu beenden – darunter das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), das Programm der Vereinten Nationen für Entwicklung (UNDP), der Weltbevölkerungsfonds (UNFPA), UN Women, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechen (UNODC), die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), das Welternährungsprogramm (WFP), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Weltbank. Die drei strategischen Ziele sind:
- Umfassende Prävention
- Verbesserung der medizinischen Versorgung
- Senkung von Stigma und Diskriminierung im Zusammenhang mit HIV/AIDS und Förderung der Menschenrechte sowie die Gleichstellung der Geschlechter
Es konnten bereits große Fortschritte im Kampf gegen die Krankheit erzielt werden. 2017 sanken die HIV-Neuinfektionen weltweit um 47 Prozent und über die Hälfte der mit HIV lebenden Menschen hatten Zugang zu einer Therapie. Dennoch leben nach wie vor etwa 38 Millionen Menschen mit HIV. Insbesondere Subsahara Afrika bleibt die von HIV am stärksten betroffene Region.
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine mit der darauffolgenden Hungerkrise haben den Kampf gegen HIV/AIDS weiter erschwert. Die ärmsten Länder der Welt haben Schwierigkeiten mit Schuldenrückzahlungen, sodass die Kapazitäten für den Schutz gegen HIV/AIDS stark eingeschränkt wurden. Gerade jetzt, wo wir mehr internationale Solidarität sehen sollten, kürzen Länder mit hohem Einkommen ihre Mittel für globale Gesundheit. Bereits 2021 waren sie um sechs Prozent niedriger als 2010. Um HIV/AIDS bis 2030 wirklich besiegen zu können, müssen die Staats- und Regierungschef*innen die Hilfsmaßnahmen wieder in Gang setzen.
WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (auf Englisch World Health Organization, kurz WHO) wurde am 7.4.1948 mit Hauptsitz in Genf gegründet. Hauptziel der Organisation ist es, die nationalen Gesundheitssysteme zu stärken und Menschen den Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten. 194 Staaten sind Mitglieder der WHO.
Die WHO wird teilweise aus Pflichtbeiträgen, teilweise aus freiwilligen Spenden finanziert. Beim Pflichtbeitrag legen die Vereinten Nationen für alle Länder eine Skala fest, die sich aus der Wirtschaftskraft berechnet. Dabei muss für den Zeitraum von zwei Jahren insgesamt eine Milliarde US-Dollar aufgebracht werden. Für den Zweijahres-Haushalt 2020-2021 betrug der Beitrag etwa 4,8 Milliarden US-Dollar; die freiwilligen Beiträge übersteigen die Pflichtbeiträge bei weitem.
Ihr größter Erfolg gilt der Ausrottung der Pocken. 1967 startete die WHO ein internationales Pocken-Impfprogramm und zehn Jahre später wurde der letzte Krankheitsfall in Somalia gemeldet. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit konnte eine Krankheit für ausgerottet erklärt werden. Seit 1988 läuft ein Impfprogramm gegen Polio.
Eines der größten Probleme der WHO ist und bleibt ihre Finanzierung. Größte Geber sind unter anderem die USA, Großbritannien, Deutschland, China und Japan sowie die Impfallianz Gavi und die Bill und Melinda Gates Foundation. Einige der zur Verfügung stehende Mittel sind an bestimmte Kampagnen oder Länder gebunden, was die Planung erschwert.
WFP
Das Welternährungsprogramm (auf Englisch World Food Programme, kurz WFP) ist die größte Organisation zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung. Es leistet humanitäre Nothilfe, effektive Nahrungsmittelhilfe und langfristige Entwicklungszusammenarbeit.
Das WFP wurde 1961 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegründet. Deutschland ist Gründungsmitglied des WFP und Teil des Exekutivrats. Die Organisation finanziert sich durch freiwillige Beiträge, 2021 hatte sie ein Budget von etwa 15,7 Milliarden US-Dollar. Die nationalen Beiträge Deutschlands betrugen dabei 1,4 Milliarden US-Dollar. Das Auswärtige Amt fördert den Bereich der humanitären Hilfe, während das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sich um mittel- und langfristige Entwicklungszusammenarbeit des WFP kümmert.
Durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat sich die Zahl der unterernährten Menschen weltweit verdoppelt – von 135 Millionen auf 276 Millionen. Genau deswegen zielt der Strategieplan 2022-2025 der Organisation darauf ab, diese Menschen mit Soforthilfe zu unterstützen.
Im Mai 2022 hat Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze das Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen, damit die Welt sich gegen die Hungerkrise wappnen kann. Das WFP ist dem Bündnis beigetreten.
UNFPA
Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (auf Englisch United Nations Population Fund, kurz UNFPA) ist der größte Fonds zur Finanzierung von Bevölkerungsprogrammen. Er wurde 1969 gegründet und hat seinen Hauptsitz in New York. Ziel des Fonds ist es, jeden Menschen dabei zu unterstützen, ein Leben in Gesundheit und mit Chancengleichheit zu führen. Er zielt darauf ab, Armut zu reduzieren und zu gewährleisten, dass Geburten sicher vonstatten gehen, Schwangerschaften gewünscht sind, Menschen vor HIV-Infektionen geschützt werden und Mädchen und Frauen mit Respekt und Würde behandelt werden.
Die Programmschwerpunkte liegen in den folgenden Bereichen:
- Sexuelle und reproduktive Gesundheit
- Familienplanung
- Bildung
- Gleichberechtigung der Geschlechter
- Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Kinder
UNFPA wird von freiwilligen Beitragszahlungen finanziert. Er mobilisiert finanzielle Mittel von Regierungen und anderen Partnern, um seine Programme zu unterstützen. Mit Stand vom 3. Juni 2022 beträgt die Zahl der UNFPA-Kernspender 40. UNFPA strebt bis Ende des Jahres 110 Geber an.
GFF
Die Global Financing Facility for Women, Children and Adolescents (GFF) ist unter den ganzen Organisationen noch ein Küken, denn der Treuhandfonds wurde erst 2015 gegründet und dreht sich um die Gesundheit und Ernährung von Frauen, Kindern und Jugendlichen. Die GFF unterstützt Regierungen in 36 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Asien, Lateinamerika und Afrika dabei, die Gesundheit und Ernährung ihrer Bevölkerung zum Positiven zu verändern.
Seit dem Beginn der GFF konnte das Sterberisiko von Müttern und Neugeborenen minimiert und 90 Millionen unbeabsichtigte Schwangerschaften verhindert werden.
Die Finanzierung der GFF ist an Folgendes gebunden:
- Inländische staatliche Mittel
- "konzessionäre" Darlehen von der Internationalen Entwicklungsorganisation und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
- Finanzierungen von Gebern
- Unterstützung durch privaten Sektor
Damit die GFF ihre Ziele für den Zeitraum 2022-2023 weiter verfolgen kann, benötigt sie 1,2 Milliarden US-Dollar. Als wichtiges Unterstützungsland gibt Deutschland 50 Millionen Euro an die GFF. Um jedoch den Bedarf zu decken, benötigt der Fonds 100 Millionen Euro zusätzlich.
UNFCCC
Auf dem Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurden die Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (auf Englisch: United Nations Framework Convention on Climate Change, kurz UNFCCC) verabschiedet. Sie traten 1994 mit 154 Staaten mit dem folgenden Ziel in Kraft: die globale Erwärmung zu verlangsamen und die Treibhausgasemissionen auf einem Niveau zu halten, um eine Störung des Klimasystems zu verhindern. Der Hauptsitz befindet sich in Bonn.
Die Vertragsstaatenkonferenz (auf Englisch: Conference of Parties, kurz COP) überwacht die Einhaltung dieses Übereinkommens. Im Dezember 1997 wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet, damit erstmals rechtlich verbindliche Verpflichtungen für die Beschränkung der Treibhausgasemissionen auferlegt wurden.
Deutschland legt alle vier Jahre einen Nationalbericht vor, der neben den nationalen Treibhausgasemissionen zudem auch die Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz beschreibt. Doch trotz jahrzehntelanger Bemühungen lassen sich noch keine Erfolge bezüglich der CO2-Emissionen erkennen.
Die diesjährige Weltklimakonferenz findet in Sharm El-Sheikh, Ägypten, statt. Die Staatssekretärin des Auswärtigen Amtes und ehemalige Greenpeace-Chefin, Jennifer Morgan, gab erst kürzlich bekannt, dass Deutschland bei der COP27 konkrete finanzielle Zusagen machen würde. So soll sich dem Thema Schäden und Verluste angenommen werden und bis 2030 mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen.
Welche Maßnahmen können wir ergreifen?
Bis zum 10. November wird im Bundestag über den Haushalt verhandelt. Das heißt, bis dahin haben wir als Zivilgesellschaft die Möglichkeit, ordentlich Druck zu machen.
Fordere die politische Entscheidungsträger*innen aus Parlament und Regierung dazu auf, keine Kürzungen für die folgenden Haushaltsjahre im BMZ vorzunehmen, damit die multilateralen Organisationen weiterhin die Mittel erhalten, die sie benötigen, damit sie weiterhin daran arbeiten können, eine gerechte Welt ohne extreme Armut zu erschaffen.