Der 26. April 2022 war ein wichtiger Tag für Payzee Mahmod. Es ist der Tag, an dem Kinderheirat in England und Wales verboten wurde. Der Tag markiert den Triumph einer jahrzehntelangen Kampagne. 

Ja, du hast richtig gelesen. Erst im Jahr 2022 wurde das Mindestalter für Eheschließungen und Lebenspartnerschaften in ganz England und Wales auf 18 Jahre angehoben. Viele Organisationen und Aktivist*innen hatten unermüdlich auf diesen Moment hingearbeitet. Payzee war eine wichtige Stimme in diesem Kampf. Als Anerkennung für ihre jahrelange Arbeit wurde sie nun mit dem Citizen Award 2022 ausgezeichnet.

2004 war Payzee noch ein ganz normaler Teenager, der Popstars vergötterte und eine Ausbildung absolvierte. Doch ihre Kindheit wurde ihr gestohlen. 

Im Alter von nur 16 Jahren wurde Payzee von einem älteren Mann zur Kinderheirat gezwungen. Da sie nicht über das Wissen, die Macht und die Sprachkenntnisse verfügte, um die Eheschließung zu verweigern, hoffte Payzee, dass ein anderer Erwachsener, vielleicht jemand, der sich damit auskennt, eingreifen würde. Doch tragischerweise geschah das nicht. Die Ehe wurde vollzogen. 

"Ich wünschte, die Menschen wüssten, dass Kinderheirat Kindern schadet", sagt sie gegenüber Global Citizen. "Niemand sollte jemals gegen ein Verbot der Kinderheirat sein."

Payzee hat es geschafft, ihrer Kinderheirat zu entkommen. Doch ihre Schwester Banaz hatte nicht so viel Glück. Banaz, die ebenfalls als Kind verheiratet worden war, verließ ihre missbräuchliche Ehe und zog zurück in das Haus der Familie in Südlondon. Fünfmal hatte sich Banaz an die Polizei gewandt und um Hilfe gebeten. Im Januar 2006 verschwand sie.

Drei Monate später wurde ihre Leiche in Birmingham gefunden. Sie war im Rahmen eines so genannten "Ehrenmords" getötet worden. Ihr Vater, ihr Onkel und drei weitere Männer wurden vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Als Payzee 18 Jahre alt wurde, ließ sie sich scheiden und organisierte Banaz' Beerdigung – alles innerhalb eines Monats. 

Seitdem ist Payzee eine führende Stimme und treibende Kraft für die Abschaffung der Kinderheirat in England und Wales bei IKWRO (Iranian & Kurdish Womens Rights Organisation). Die Frauenrechtsorganisation setzt sich für Frauen und Mädchen in der MENA-Region (Akronym für Nahost und Nordafrika) sowie in Afghanistan ein und kämpft gegen Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Ihr stolzester Moment in der Kampagne war, als das Gesetz zur Anhebung des Mindestalters für die Eheschließung verabschiedet wurde.

Auf dem Weg dorthin gab es viele Hindernisse. "Ich war im Internet mit vielen Gegenreaktionen konfrontiert, was mich wirklich schockiert hat", sagt Payzee. "Ich spreche hier über Kinder, die verletzlichste Gruppe in unserer Gesellschaft und die Leute schicken mir online rassistische und islamfeindliche Kommentare. Das war sehr überraschend und traurig. Aber eine ebenso unglaubliche Anzahl von Menschen hat sich uns gegenüber positiv geäußert.” 

Bei der britischen Regierung sah sie sich dagegen mit einer anderen Art von Hindernis konfrontiert: "Wir haben so viel Gegenwind erfahren, weil diesem Thema keine Priorität eingeräumt wurde.” Eine Gesetzesvorlage durch das britische Parlament zu bringen, ist ein äußerst komplizierter Prozess, den Payzee und ihre Mitstreiter bereits zweimal angestoßen hatten, aber scheiterten.

"Es war das dritte Mal, dass wir versucht haben, das Gesetz durchzubringen", sagt Payzee. "Es war so frustrierend zu sehen, dass dieses Thema für die britische Regierung keine Dringlichkeit darstellte. Während der Lockdowns waren so viel mehr Kinder zu Hause und deshalb stärker gefährdet. Das war eine große Herausforderung für uns – sie dazu zu bringen, die Dringlichkeit zu erkennen.”

Ein weiteres Argument gegen das Gesetz war, dass das Thema nicht weit genug verbreitet sei. "Manche Leute denken vielleicht, dass dies ein verborgenes Problem ist. Aber in Wirklichkeit ist es einfach nur nicht sichtbar", sagt sie. 

Zwar sehen die offiziellen Daten danach aus, dass Kinderheirat im Vereinigten Königreich kein großes Problem darstellt. Doch Payzee warnt vor Lücken in diesen Daten. 

"Die Zahlen zeigen, dass Kinderheiraten sehr selten sind", erklärt sie. "Doch sie berücksichtigen nur offizielle Eheschließungen. Man muss auch all die inoffiziellen und nicht registrierten Ehen berücksichtigen. Ganz zu schweigen von den Eheschließungen, für die die Mädchen aus dem Vereinigten Königreich gebracht werden und erst danach zurückkehren.”

Eine "offizielle Heirat" liegt vor, wenn ein Paar ein Standesamt aufsucht und die Heirat rechtlich in der nationalen Datenbank erfasst wird. Darüber hinaus gibt es jedoch viele Formen kultureller und religiöser Eheschließungen, die vom Rechtssystem im Vereinigten Königreich nicht registriert werden. 

"Ich hatte eine islamische Hochzeit und eine rechtlich registrierte Hochzeit", sagt Payzee, "aber hätte ich nur die islamische Hochzeit gehabt, wäre meine Ehe nie offiziell anerkannt worden. Sie wäre durch das Raster gefallen.“

"Wir denken vielleicht, dass es keine große Sache ist, wenn eine Ehe nicht registriert ist", fügt sie hinzu. "Aber in den Augen der jeweiligen Community ist es trotzdem eine echte Ehe. Das Kind wird mit allen Verantwortlichkeiten einer Ehe belastet".

Außerdem, so argumentiert Payzee, sollte die Anzahl der Eheschließungen ohnehin keine Rolle spielen. “Wenn Leute sagen 'Es sind ja nur ein paar Kinder', halte ich das für eine wirklich verletzende Entschuldigung dafür, dass sie nichts unternehmen. Es geht nicht darum, dass es sich nur um eine kleine Zahl handelt, sondern darum, dass es überhaupt passiert. Wenn wir der Meinung sind, dass jedes Kind wichtig ist, dann können wir Kinderheirat unter keinen Umständen zulassen. Selbst ein einziges Kind ist zu viel."

Kinderheirat ist zudem kein Problem, das nur in einer bestimmten Gemeinschaft auftritt: "Kinderheirat zieht sich durch alle Ethnien und Kulturen, sie kann jeden betreffen. Die Ursachen sind in allen Gesellschaften zu finden. Manchmal gibt es einen familiären Druck innerhalb der Gemeinschaft. Manchmal geht es um Status oder Reichtum. Dies ist eine globale Angelegenheit, die in allen Ländern vorkommt.”

Was gibt Payzee nach dieser gewaltigen Reise heute Hoffnung? Sie sagt, es ist die nächste Generation.

"Ich sehe so viel Widerstandsfähigkeit", sagt sie. "Wir müssen sie mit den richtigen Mitteln ausstatten, damit sie ein sicheres, glückliches und gleichberechtigtes Leben führen können. Wir wissen, dass das, was wir getan haben, die Mädchen vor den lebenslangen Schäden einer Kinderheirat bewahren wird. Selbst wenn es nur einer Person hilft, ist es wichtig." 

"Wenn es hart auf hart kommt", sagt sie, "denke daran, dass du für alles, woran du glaubst, kämpfen musst und dass man dir widersprechen wird. Der einzige Rat, den ich angehenden Aktivist*innen geben würde, ist: Glaube einfach daran, dass du, ein*e Einzelne*r, etwas verändern kannst. Ich wünschte, jemand hätte mir das gesagt. Manchmal habe ich die Hoffnung verloren. Ich habe den Glauben daran verloren, dass das, was ich tue, jemals etwas bewirken wird. Aber jeder Mensch hat die Macht, etwas zu verändern. Jede Person, die unsere Petition unterschrieben hat, hat geholfen. Jede Aktion, die man unternimmt, wenn man an eine Sache glaubt, kann etwas verändern.” 

Als Gewinnerin des Citizen Award wird Payzee ein Jahr lang von Global Citizen unterstützt und erhält eine Spende für die Organisation IKWRO. Payzee erklärt, die Auszeichnung zeige, wie wichtig es ist, seine Stimme zu bedeutenden Themen zu erheben.

"Als ich aufwuchs, hätte ich nie gedacht, dass meine Stimme stark genug sei, um etwas zu verändern oder jemanden zu bewegen. Ich wurde so erzogen und habe meine Erfahrungen gemacht. Es hat mir geholfen zu erkennen, welche Macht es hat, seine Stimme für etwas zu erheben, an das man glaubt.”

Global Citizen Asks

Gerechtigkeit fordern

Payzee Mahmod hat ein Verbot zur Kinderheirat in England & Wales durchgebracht

Ein Beitrag von Tess Lowery