Zupfen. Waschen. Kämmen. Frisieren. Schneiden. Rasieren. Unsere Haare haben einen hohen Stellenwert für uns, sind das Zeichen von Jugend und Schönheit. Sie sind vor allem Teil des eigenen Körpers, über den jeder Mensch selbstbestimmt entscheiden sollte. Doch genau hier liegt das Problem. 

Nachrichten aus der ganzen Welt zeichnen derzeit ein ganz anderes Bild, wenn es um körperliche Selbstbestimmung geht: In den USA wurde das Gesetz Roe v. Wade gekippt, sodass nun jeder Staat selbst entscheidet, ob und wie Abteibungen reguliert werden. Und im Iran wurde am 13. September die 22-jährige Mahsa Jina Amini von der Sittenpolizei verhaftet und mutmaßlich zu Tode geprügelt, weil sie ihr Kopftuch “falsch” getragen hatte. 

Es gibt weltweit noch viele weitere Beispiele, die zeigen, dass kein einziges Land auf dieser Welt die Gleichstellung der Geschlechter erreicht hat und wir weiterhin für die Rechte von Frauen einstehen müssen. 

Deswegen brauchen wir starke Stimmen, die sich genau für diese Rechte stark machen und Schritte in eine gleichberechtigte Welt machen. Hier sind 13 Aktivist*innen und Journalist*innen, die ihre Gedanken zum Mord an Mahsa Jina Amini teilen.

"Ein Prinzip in Schwarzen feministischen Bewegungen ist, dass niemand frei ist, wenn nicht alle frei sind. Wir sind miteinander verbunden. Wenn Frauen, Kurd*innen, queere und trans Menschen an einem anderen Teil der Erde unterdrückt werden, dann geht uns das etwas an. Wenn sie den Kampf aufnehmen, sich aus dieser Unterdrückung zu befreien, dann sollten sie auf unsere Solidarität zählen. Revolution ist brutal – ein zerreißender, angsteinflößender, riskanter Prozess, der viele Tote fordert. Doch wird er von Hoffnung getragen, von Visionen und dem Wunsch nach Leben. Es gibt kein zurück mehr – dieser Moment ist historisch, unsere Aufmerksamkeit gefragt.“

– Alice Hasters, Buchautorin und Podcasterin

Image: Katja Ruge


"Mahsa hieß Jîna. Und Jîna ist eine junge Kurdin gewesen, die auf einen anderen Namen, eine der Übermacht konforme Identität ausweichen musste. Rufen wir Mahsa statt Jîna, führen wir die nationalistisch und regimetreue Unsichtbarmachung von jenen Identitäten fort, deren Existenz immerzu von Verfolgung, willkürlicher Inhaftierung und Assimilation bedroht war – wir vergessen Frauen wie Zara Mohammadi, Zeynab Jalalian und alle Frauen, die in ihrem bloßen Kurdischsein einen Widerstand auslösten. Die Unterdrückung aller Minderheiten müssen wir im feministischen und anti(klerikal)faschistischen Kampf unbedingt berücksichtigen. Denn einer absoluten Freiheit kann sich nur angenähert werden, wenn die Dominanz der Mehrheit über die Minderheit angefochten wird."

– Büşra Delikaya, Journalistin


"Mit dieser vereinten Kraft der im Iran lebenden Frauen haben die Mullahs nicht gerechnet. Sie versuchen alles, um den Aufstand zu stoppen – beschießen die Protestierenden mit scharfer Munition, foltern sie und richten sie hin. Doch die Frauen gehen weiter auf die Straßen und kämpfen für ein Leben in Freiheit. Die Aktionen der Mullahs werden als einer der größten Schandflecke in die Geschichte eingehen. Die Frauen als Vorbilder der nächsten Generationen. Mit Jina als Symbol für Gerechtigkeit.
 #giveupraisi"

– Anuscheh Amir-Khalili, Gründerin von Flamingo e.V., Netzwerk für geflüchtete Frauen und von Band of Sisters (feministisches soziales Unternehmertum), Frauenrechtsaktivistin, Iranistikerin, Anthropologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Anstiftung für transkulturelle Gemeinschaftsgärten. Anuscheh ist Preisträgerin des Citizen Awards 2022 vom Global Citizen Prize. 

Image: Konrad Weinz


“Ich bewundere den Mut und die Kraft der Protestierenden im Iran und Ostkurdistan. Gleichzeitig bin ich enttäuscht und wütend darüber, wie wenig Aufmerksamkeit diese Kämpfe in der deutschsprachigen feministischen und queeren Öffentlichkeit bekommen. Aufgrund der dünnen Berichterstattung hierzulande sowie der Zensur und der Internetsperre im Iran ist dies einer der raren Fälle, in denen die Reichweite auf sozialen Medien eine wichtige Unterstützungsmöglichkeit der Proteste darstellt – und trotzdem bleibt es so still.“ 

– Hengameh Yaghoobifarah, Schriftsteller_in & Journalist_in


"Unbedingte Solidarität gilt für alle. Bedeutet, marginalisierte Menschen in ihren Kämpfen nicht im Stich zu lassen. Ökonomische Interessen haben darin keinen Platz, weil Menschenrechte nicht verhandelbar sind. Im Iran haben sich die Widerständigen ein Fenster geöffnet. Jetzt heißt es #DieAufmerksamkeitHalten.“

– Hadija Haruna-Oelker, Journalistin und Autorin

Image: Wolfgang Stahr


"Die iranischen Proteste für die Rechte von Frauen sind nicht neu, sie brodeln schon seit Jahrzehnten. Demos finden regelmäßig statt, aber jetzt haben wir einen Wendepunkt erreicht. Überall auf der Welt sind die Rechte von Frauen in Gefahr, sei es durch die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade in den USA und den Verlust der körperlichen Autonomie oder durch den fehlenden Zugang zu Bildung in Afghanistan. Frauen auf der ganzen Welt können sich plötzlich in die Frauen im Iran einfühlen und haben zum ersten Mal ihre Stimmen und Geschichten gehört. Das hat ihnen nicht nur die Kraft gegeben, zu kämpfen und auf die Straße zu gehen; es hat uns auch die Hoffnung gegeben, dass (iranische) Frauen wichtig sind. Hoffnung ist das wertvollste und wichtigste Gefühl. Dieser öffentliche Aufschrei hat die Frauen zusammengebracht. Es ist eine Tragödie, dass eine Frau sterben musste, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber dieser Moment kann Raum und Zeit überwinden und diese Einheit hat die Fähigkeit, uns voranzubringen."

– Naza Alakija, Gründerin der NGO Sage Foundation und leitende Beraterin von UNICEF


“Eine der weltweit größten feministischen Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte geht vom Nahen Osten aus. Frauenrechte, Feminismus, sexuelle Selbstbestimmung, Emanzipation – es sind keine ‘westlichen’ Werte. Sie sind universell und Frauen und Queers im Nahen Osten kämpfen dafür, sie geben ihr Leben dafür. Es reicht mit diesem Narrativ, das immer noch in so vielen Köpfen vorherrscht!“

– Gilda Sahebi, Journalistin, Politikwissenschaftlerin, Ärztin

Image: Hannes Leitlein


“Die Ereignisse im Iran rücken ein globales Problem dringlich in den Fokus. Denn Gewalt, die Frauen* von Männern angetan wird, ist kein rein iranisches, muslimisches oder sonstwie singuläres Phänomen, sondern gängige Praxis innerhalb patriarchaler Strukturen weltweit. Diese Revolution, die die Frauen* im Iran nach dem staatlichen Femizid an (Mahsa) Jina Amini angezettelt haben, geht uns alle an!"

– Katja Musafiri, Journalistin und Vorstandsmitglied Flamingo e.V.

Image: Seeliger Fotodesign


"Wir müssen dafür kämpfen, dass alle frei sind. Keine Frau ist frei, solange nicht jede Frau frei ist. Und derzeit können Frauen im Iran nicht entscheiden, ob sie ihr Haar bedecken wollen oder nicht. Wir müssen unsere Stimme erheben und sicherstellen, dass wir für sie sprechen.”

– Payzee Mahmod, Gewinnerin des britischen Bürgerpreises und Citizen Awards 2022 des Global Citizen Prize, Aktivistin der Iranischen und Kurdischen Frauenrechtsorganisation (IKWRO)


"Injustice anywhere is injustice everywhere.
Wir alle sind connected. Die feministische Revolution im Iran ist ein Kampf gegen das Patriarchat, welches überall auf der Welt wirkmächtig ist.
Die Protestierenden im Iran geben derzeit ihr Leben für Selbstbestimmung und Freiheit. Unsere Aufmerksamkeit, unsere Solidarität, unsere Anteilnahme ist unabdingbar. Denn noch einmal: wir – und damit auch unsere Kämpfe – sind alle verbunden.“

– Tupoka Ogette, Vermittlerin von Rassismuskritik, Autorin von “exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen” und “Und jetzt Du. Rassismuskritisch leben.” 

Image: Laura Hoffmann


“Iran ist Handelspartner der Bundesrepublik. Diese Partnerschaft stabilisiert das Mullah-Regime, trägt aktiv zur Unterdrückung der Menschen in Iran bei und ist eine aktive Sabotage einer feministischen Bewegung. Wer sich feministische Außenpolitik auf die Fahne schreibt, muss jetzt die Menschen in Iran unterstützen, die für ihre Rechte kämpfen. Jin, Jiyan, Azadî!“

– Sibel Schick, Autorin und Journalistin

Image: Benjamin Jenak/veto


“Die feministische Bewegung, die aus Zhinas Tod hervorgegangen ist, verbindet unterschiedliche Kämpfe miteinander und genau das brauchen wir. Wir müssen Kämpfe miteinander verbinden, denn unsere Unterdrückungen existieren nicht losgelöst voneinander. Wir werden nicht aufhören, für eine Welt zu kämpfen, in der unsere Körper nur uns gehören.“

– Nafas (keine Pronomen), autistische*r, queere*r, agender Illustrator*in aus der iranischen Diaspora in Berlin 

Die Auseinandersetzung mit dem Tod von Mahsa Jina Amini hat Nafas künstlerisch dargestellt:

Bei den Illustrationen dreht sich alles um kollektive Befreiung, Repräsentation, Community und Empowerment. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kunst bewegt sich Nafas vor allem in den Bereichen (Mental Health) Awareness, Trauma-Arbeit und nachhaltigem Aktivismus. (lovenrageillustrations)


So viele Namen, die wie Nummern klingen
Mahsa Amini, Ghazaleh Chelavi, Hananeh Kia, Minu Majidi, Mehsa Mogoi, Hadis Najafi…

Sie wurden ermordet

Seit einer Ewigkeit wütet diese Gewalt auf dieser Welt

und nennt sich: Patriarchat, Sexismus 

Wir trauern um sie.
Völlige Verzweiflung beschäftigt uns

Hoffnungslosigkeit und Trauer begleitet uns

Sareh und Elham erwartet die Todesstrafe

denn sie standen für die Rechte der LGBT ein.
So viele Frauen* weltweit werden ermordet,
gedemütigt,
inhaftiert,
misshandelt,
weil sie ihr Recht auf Selbstbestimmung einfordern.

– Elnaz ist ein*e Autor*in, Dichter*in und Aktivist*in. Im Schreiben beschäftigt sich Elnaz mit den Themen Rassismus, Spiritualität, Flucht und Healing. Elnaz gibt kreative Schreibworkshops und macht Bildungsarbeit zu intersektionalen Themen. Elnaz praktiziert Reiki und setzt sich mit globaler Heilung auseinander.

Global Citizen Asks

Gerechtigkeit fordern

So denken Aktivist*innen & Journalist*innen über den Tod von Jina Mahsa Amini

Ein Beitrag von Tess Lowery  und  Nora Holz