Die Welt befindet sich inmitten diverser schwerer Krisen, bei denen jetzt Handeln gefragt ist: Die Klimakrise verschärft sich und wirkt sich auf alle Bereiche des alltäglichen Lebens aus. Hinzu kommen Kriege und gewaltsame Konflikte, eine globale Gesundheitskrise und eine sich verschärfende Hungersnot. Mehr denn je ist die Welt darauf angewiesen, dass Industrienationen wie Deutschland globale Verantwortung übernehmen und ihre Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe stabil halten oder gar erhöhen.

Denn die Lage ist dramatisch: Im Jemen wütet seit fast acht Jahren ein Krieg, die Krise in Syrien hält seit beinahe elf Jahren an. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden durch die anhaltenden Kämpfe in der äthiopischen Region Tigray gewaltsam vertrieben. Während in Afghanistan die humanitäre Krise dramatische Ausmaße annimmt, weiten militärische Gruppen in Myanmar den Konflikt aus, von dem zunehmend auch Zivilistinnen und Zivilisten betroffen sind. Zuletzt zwang Russlands Angriffskrieg in der Ukraine mehr als fünf Millionen Menschen zur Flucht aus ihrem Land, fast acht Millionen Menschen wurden zu Binnenvertriebenen.

All das ereignet sich vor dem Hintergrund multipler globaler Krisen, etwa der COVID-19-Pandemie, die weltweit mehr als sechs Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Derartige Extremsituationen haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen vor Ort, sondern bringen auch weitreichende Folgen für die ganze Welt mit sich – vor allem im Bereich der Nahrungsmittelproduktion. 

Es braucht Investitionen in eine klimaresistente Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist für das menschliche Wohlergehen von grundlegender Bedeutung und gleichzeitig in Krisenzeiten stark anfällig: Die russische Invasion in der Ukraine zeigt die verheerenden Auswirkungen von Kriegen und gewaltsamen Konflikten auf den Anbau und Transport von Nahrungsmitteln. Dadurch ist weltweit mit einem Anstieg des Hungers zu rechnen. Auch die COVID-19-Pandemie hat lokale Nahrungsmittelsysteme erschüttert und zu den schlimmsten Hungersnöten der modernen Geschichte geführt. Zudem gehen Ernteerträge zurück, der Schädlingsbefall nimmt zu und unvorhersehbare Wetterphänomene führen uns die Folgen des Klimawandels deutlicher denn je vor Augen. Das drastische Ausmaß dieser Krisen ist häufig auf unzureichende Investitionen in diejenigen Menschen zurückzuführen, die Lebensmittel produzieren und tagtäglich unter immer prekärer werdenden Umständen leben müssen.

Zwei Drittel der in Armut lebenden Erwachsenen arbeiten in der Landwirtschaft. Das bedeutet, dass die Menschen, die uns alle mit Nahrung versorgen, oft selbst nur eingeschränkt Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Ohne drastische Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen werden sich diese Ungleichheiten weiter verstärken. Denn Prognosen zufolge wird die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln bis 2050 um 50 Prozent ansteigen. Die landwirtschaftlichen Erträge werden jedoch aufgrund der sich verschlechternden Umweltbedingungen im gleichen Zeitraum voraussichtlich um bis zu 30 Prozent zurückgehen. 

Investitionen in eine klimaresistente Landwirtschaft sind unerlässlich, um die Lebensbedingungen von 500 Millionen Kleinbäuerinnen und -bauern weltweit zu verbessern und lokale, widerstandsfähige Nahrungsmittelsysteme zu stärken. Derzeit erhalten Kleinbäuerinnen und -bauern nur 1,7 Prozent der internationalen Mittel, die für die Bewältigung der Klimakrise bereitgestellt werden. Daher ist es unerlässlich, dass wohlhabende Staaten ihr Versprechen einhalten, 100 Milliarden Dollar jährlich der internationalen Klimafinanzierung bereitzustellen und zudem deutlich mehr in die Landwirtschaft zu investieren, sodass Kleinbäuerinnen und -bauern sich gegen die Folgen des Klimawandels rüsten können. 

Globale Akteure wie die Globale Forschungspartnerschaft für eine ernährungssichere Zukunft (CGIAR) müssen mehr Mittel für Klimaanpassungsmaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft erhalten – nur so kann Ernährungssicherheit gewährleistet, die Widerstandskraft erhöht und die biologische Vielfalt der Erde geschützt werden. Mit den richtigen Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung kann dafür gesorgt werden, dass die Nahrungsmittelproduktion in den kommenden Jahrzehnten nicht zurückgeht, sondern steigt.

Genauso wie es falsch wäre, eine Krise gegen die andere auszuspielen, dürfen wir die Prävention zukünftiger Krisen nicht vernachlässigen. Wenn wichtige Entwicklungsprogramme unterfinanziert sind, wird es zukünftig nicht mehr möglich sein, auf Notsituationen zu reagieren und neuen Krisen vorzubeugen. Mehr denn je sind nun globale Verantwortung, mutiges sowie strategisches Handeln gefragt. Konkret bedeutet das, die Menschen zu stärken, die an der Grenze zu und in extremer Armut leben. 

Deutschland hat eine besondere Verantwortung

In den vergangenen Jahren hat Deutschland im globalen Kampf gegen den Hunger eine führende Rolle eingenommen. Die Bundesregierung hat erheblich in die globale Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung investiert. Auch bei der Bereitstellung von Geldern für Entwicklungszusammenarbeit insgesamt, steht Deutschland weltweit an zweiter Stelle. Die Führungsrolle, die die Regierung in diesem Rahmen in den letzten Jahren übernommen hat, könnte zu keinem wichtigeren Zeitpunkt kommen. Denn angesichts der zahlreichen Krisen, mit denen die Welt konfrontiert ist, ist die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit von höchster Relevanz. Auch die Stärkung multilateraler Institutionen wird von entscheidender Bedeutung sein, um auf die mittel- und langfristigen Folgen der aktuellen Krisen reagieren und künftige Krisen verhindern zu können. 

Ihren Einsatz für eine starke Entwicklungszusammenarbeit muss die Bundesregierung daher konsequent fortführen. Gerade in einem Jahr, in dem Deutschland die G7-Präsidentschaft innehat, werden die Handlungen und Entscheidungen der deutschen Regierung weitreichende Auswirkungen auf internationaler Ebene haben. Mit einem klaren Bekenntnis zur Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit kann die Bundesregierung ein wichtiges Signal senden, das die Bedeutung des Einsatzes für die UN-Nachhaltigkeitsziele und die am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen weltweit untermauert. Um die Welt auf dem G7-Gipfel Ende Juni wieder auf Kurs zu bringen, ist es wichtig, dass Deutschland weiterhin eine Führungsrolle in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit einnimmt.

Als Deutschland 2015 zuletzt den G7-Vorsitz innehatte, verpflichteten sich die G7-Staaten, 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu heben und die finanziellen Mittel entsprechend aufzustocken. Diese Zusage bleibt bislang unerfüllt. Der Krieg in der Ukraine, die humanitäre Krise in Afghanistan und die zunehmenden Dürren und Überschwemmungen, die wir in Afrika und Asien erleben, haben die Dringlichkeit noch weiter verstärkt. Die drastischen Folgen von Konflikten und Klimawandel bedrohen die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Die G7-Staaten müssen dringend Klimaschutzmaßnahmen ergreifen und ihre Ambitionen in der globalen Klimafinanzierung steigern, besonders im Hinblick auf Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft. 

Wenn wir jetzt nicht angemessen reagieren, wird sich die globale Situation mit jeder neuen Krise weiter verschärfen - angefangen vom Zugang zu Nahrungsmitteln, über explodierende Energiepreise, bis hin zu extremen Wetterereignissen, Pandemien wie COVID-19 und der anhaltenden Vertreibung von Menschen.

In diesen außergewöhnlichen Krisenzeiten müssen Bürgerinnen und Bürger weltweit ihre Regierungen dazu auffordern, alles in ihrer Macht Stehende zu tun und weltweite Unterstützung zu leisten. Geberländer müssen ihre Entwicklungsbudgets erhöhen, um die steigenden Kosten zu decken. Und Deutschland kann in diesem Jahr eine Vorreiterrolle für internationale Solidarität und Zusammenarbeit übernehmen. 

Ban Ki-moon war 8. Generalsekretär der Vereinten Nationen. 2018 gründete er gemeinsam mit dem ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer das Ban Ki-moon Centre for Global Citizens. In Partnerschaft mit Global Citizen setzen sie sich für eine gerechte Welt für alle ein und fordern unter anderem von Regierungen weltweit mehr Investitionen in die internationale Entwicklungszusammenarbeit.

Editorial

Armut beenden

Warum unsere Zukunft von einer starken Entwicklungszusammenarbeit abhängt

Ein Beitrag von Ban Ki-moon