In einem kleinen Dorf im Westen Indiens läuft das Leben in etwas anderen Bahnen als in anderen Dörfern rund um den Globus. Denn hier in Shani Shingnapur leben die Menschen in Häusern ohne Türen, ohne Schlösser, ohne Schlüssel...und ohne Verbrechen.

Shani Shingnapur liegt im indischen Bundesstaat Maharashtra, einer Region mit einer der höchsten Verbrechensraten im ganzen Land. Doch davon lässt sich das Dorf nicht abschrecken. Im Gegenteil. Selbst die örtliche Bank wird nachts nicht verschlossen. So leben die Einwohner schon seit Generationen. Wie kann das funktionieren?

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Die Antwort liegt im Glauben des ganzen Dorfes: „Vor Jahren erschien Shani den Gläubigern im Traum", sagt die Einwohnerin Jayashree Gade. „Er sagte: Ich werde Euch schützen. Deshalb haben wir keine Türen." Shani ist eine Hindu-Gottheit.

Insgesamt leben 5.000 Menschen in Shani Shingnapur. Der Legende nach wurde eine eisenhaltige Steinplatte vor mehr als 300 Jahren an den nahegelegenen Fluss geschwemmt. Als Hirten mit einem Stock auf die Platte stießen, soll sie angefangen haben zu bluten. In der gleichen Nacht soll ein Bewohner geträumt haben, dass das Felsstück ein Abbild Shanis sei. Seitdem steht das Dorf unter dem Schutz der Gottheit.

„Manchmal, wenn ich für einen ganzen Monat verreisen muss, stelle ich nur ein großes Holzbrett vor den Eingang“, sagt Ladeninhaber und Dorfoberhaupt Balasaheb Raghunath. „Ich verlasse mich ganz auf das Holzbrett und meinen Glauben an Shani. Wenn ich dann 10-15 Tage außer Haus bin, habe ich keinen Zweifel daran, dass alles noch an Ort und Stelle ist.”

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In manchen Nächten sieht man auch andere Hauseingänge, vor denen größere Holzplatten lehnen - aber die sind nur dazu da, um wilde Tiere davon abzuhalten, in die Häuser zu kommen.

„In den letzten 400-500 Jahren hat es hier keinen Diebstahl mehr gegeben”, heißt es von Seiten des Dorfpolizisten Vaibhav Petkar.

So ganz stimmt das jedoch nicht. In den letzten Jahren gab es eine handvoll Diebstähle in Shani Shingnapur. Im Jahr 2010 sollen einem Besucher Wertgegenstände in Höhe von 35.000 Rupien (ca. 485 Euro) aus dem Auto gestohlen worden sein. Er hatte ein paar Kilometer außerhalb des Dorfs einen Anhalter mitgenommen und den Diebstahl erst bemerkt, nachdem er den Anhalter abgesetzt hatte.

Die Anzahl an Diebstählen ist aber immer noch verschwindend gering.

Vielleicht ist es wirklich der Hindu-Gott Shani, der die Bewohner und Besucher davon abhält, Diebstähle zu begehen. In einem Prospekt der Stadt heißt es zum Beispiel: „Professionelle Räuber, Diebe, Banditen, Nicht-Vegetarier, Säufer kommen hier nicht her. Und wenn sie doch kommen, dann benehmen sie sich wie Gentlemen." Vielleicht ist es aber auch das gegenseitige Vertrauen, das die Bewohner von Shani Shingnapur zusammenschweißt.

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Editorial

Gerechtigkeit fordern

Dieses Dorf hat keine Türen oder Schlösser - und trotzdem keine Verbrechen

Ein Beitrag von Katrin Kausche