Sarah Mardini ist eine von 6,7 Millionen syrischen Geflüchteten, die gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu fliehen, um einen friedlichen Ort zum Leben zu finden. Aber im Gegensatz zu vielen anderen hat ihre Geschichte die Aufmerksamkeit von Medien auf der ganzen Welt erregt.
Während ihrer Flucht nach Europa im Jahr 2015 riskierten die heute 23-Jährige Sarah und ihre Schwester Yusra, 21, ihr Leben, um 18 Menschen das Leben zu retten.
Als das Boot im Mittelmeer zu sinken drohte, sprangen die Schwestern, beide Leistungsschwimmerinnen, ins Meer und zogen das Boot ans Ufer von Lesbos.
In Griechenland angekommen, setzten Sarah und Yusra die lange und gefährliche Reise durch Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich fort, um schließlich in Deutschland anzukommen. In Berlin lebten sie acht Monate lang in einer Geflüchtetenunterkunft, bevor sie erfolgreich Asyl beantragten.
Vier Jahre später wurde Sarah in Griechenland verhaftet, nachdem sie Geflüchteten geholfen hatte, das Land sicher zu erreichen. Sie und andere Mitglieder einer Hilfsorganisation wurden verhaftet und unter anderem wegen Spionage, Verletzung des Staatsgeheimnisses und krimineller Machenschaften angeklagt.
Nachdem sie mehr als 100 Tage im Gefängnis verbrachte, ist Sarah nun wieder in Berlin. Hier studiert sie Internationale Beziehungen, Geisteswissenschaften und Soziales am Bard College. Dies ist Sarahs Geschichte.
Es ist jetzt mehr als ein Jahr her, dass ich und mein Freund Sean gegen Kaution freigelassen wurden, nachdem wir mehr als 100 Tage in einem griechischen Gefängnis verbracht hatten.
Wir warten derzeit auf unseren Prozess – bis zu 25 Jahre Gefängnis könnten uns drohen. Mein Anwalt ist optimistisch, aber man hat nie eine hundertprozentige Garantie. Ich fühle mich immer noch nicht völlig frei und sicher.
Aber wenn man mich fragt, warum ich getan habe, was ich tat, sage ich immer: “Weil ich das Gefühl hatte, dass ich es tun muss.”
Dieser Prozess hat mich und mein Verhalten jedoch verändert. Ich hatte schon immer eine große Klappe. Ich habe für mich und andere gesprochen, aber jetzt bin ich etwas stiller als früher.
In Syrien wäre ich vielleicht Anwältin geworden. Ich lebte mit meiner Familie in Damaskus, einer der schönsten Städte der Welt. Ein Ort, an dem die Menschen viel gastfreundlicher und herzlicher sind.
Ich habe mich dort so wohl gefühlt. Die Menschen in Syrien sind Workaholics, aber die Familie ist sehr wichtig für uns. Respekt ist auch eine große Sache. Man würde nie ein Kind sagen hören: "Halt die Klappe, Mama", wie man es in Deutschland tut.
Mein Zuhause ist dort, wo ich von Menschen umgeben bin, die ich liebe. Im Moment lebe ich in Berlin. Aber ich habe nicht viel mit Deutschen zu tun. Die meisten meiner Kommiliton*innen und Freund*innen kommen aus verschiedenen Ländern außerhalb Deutschlands - aus dem Irak, Iran, Syrien und Brasilien.
Wenn ich über die Politik hier in Deutschland nachdenke, weiß ich, dass sich bemüht wurde, viele Geflüchtete ins Land zu lassen. Ich habe hier eine gute Chance bekommen. Aber die Pläne der Politik waren nicht strukturiert genug. Die Integration ist gescheitert.
Sie dachten, es reicht aus, Kurse anzubieten, in denen die Menschen die Sprache lernen können, aber das ist keine Integration. Das ganze System und die Gesellschaft müssen sich ändern. Sie müssen uns in die Diskussionen und Lösungen einbeziehen.
Ich sehe mich nicht mehr für Jahre in Berlin leben. Ich habe noch keine großen Pläne für die Zukunft, aber ich weiß, dass ich wieder da raus und vor Ort aktiv werden muss. Es muss nicht unbedingt Griechenland sein. Aber die Krisenregionen sind der Ort, an den ich gehöre. Ich bin praktisch veranlagt, ich arbeite gerne von Angesicht zu Angesicht, Haut an Haut – ganz nah mit Menschen.
Schaut euch um – in jeder Ecke der Welt gibt es Probleme. Und es ist unsere Schuld, es liegt in unserer Verantwortung. Wir wählen die verantwortlichen Personen. Wir müssen sicherstellen, dass wir klug wählen. Und wir müssen auch die Jugend dazu befähigen, klug zu wählen. Sie sind die Zukunft, und sie müssen lernen, ihre Macht zu nutzen.
Ich sehe mich selbst als Mensch, als Aktivistin und als Geflüchtete - und ich bin dankbar dafür, dass ich eine Geflüchtete bin. Ich verstehe so viel mehr, seit ich diese Erfahrung gemacht habe. Es gibt immer einen nächsten Schritt und jeden Tag eine neue Chance.
Ich denke nicht viel über meine Zukunft nach, aber ich weiß, dass ich weiter für eine Welt ohne Grenzen kämpfen werde. Eine Welt, in der es keine Rolle spielt, woher man kommt, welche Hautfarbe man hat oder welcher Religion man angehört. Wir sind alle gleich. Wir müssen anfangen, an diese Idee zu glauben. Ich werde immer für eine Welt kämpfen, in der alle gleich sind.
Aufgezeichnet von Jana Sepehr.