Warum das wichtig ist
Der seit 10 Jahren andauernde syrische Bürgerkrieg hat Millionen von Kindern katastrophales Leid zugefügt und sie vieler Grundrechte beraubt. Die Global Goals 1 und 16 der Vereinten Nationen (UN) zielen auf die Beendigung extremer Armut sowie auf Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen ab. Die UN fordert einkommensstarke Länder dazu auf, sich um ein Ende des Krieges zu bemühen und ausreichend humanitäre Hilfe für die Syrer*innen bereitzustellen. Du kannst hier zu diesem und anderen Themen aktiv werden.

Mit zwei Monaten beginnt ein Baby, Menschen anzulächeln. Mit sechs Monaten lernt es, mit anderen zu spielen. Im Alter von einem Jahr kann ein Kind erste Worte formulieren. Mit drei Jahren entwickelt sich eine komplexe Sprache und mit fünf Jahren spricht es deutlich und hat eine gute Kontrolle über seinen Körper. Mit zehn Jahren – in der vierten Klasse – lernen Kinder naturwissenschaftliche Gegebenheiten.

Kinder in Syrien, die 2011 und später geboren wurden, haben diese Entwicklungsstufen 
inmitten eines brutalen Bürgerkriegs durchlaufen. Alle wichtigen Meilensteine des Lebens waren von Gewalt, Tod, Armut und Verzweiflung gezeichnet.

"Zehn Jahre — wenn man darüber im Leben eines Kindes nachdenkt — sind eine erstaunlich lange Zeit", sagte Jamie Weiss-Yagoda, leitende Beraterin für Bildungspolitik beim International Rescue Committee (IRC), gegenüber Global Citizen. "Es bedeutet, dass der Krieg die Kinder in ihren frühesten Jahren beeinflusst hat — das ist die Phase, in der sich das Gehirn am schnellsten entwickelt."

"Bei einem fünfjährigen Kind ist das Gehirn zu 90 Prozent entwickelt. Wenn ein kleines Kind aufwächst und nichts anderes kennt als Vertreibung, Angst, Gewalt und Armut — also Notlagen, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, dann stört das die gesunde Entwicklung des Gehirns", fügte sie hinzu. "Die Neuronen bilden sich buchstäblich nicht so, wie sie sollten, um eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen."

Ein Jahrzehnt voller Krieg

Smoke rises over Saif Al Dawla district in Aleppo, Syria, Tuesday, Oct. 2, 2012.
Image: Manu Brabo/AP

Anlässlich des zehnten Jahrestages des Krieges in Syrien, der am 15. März 2011 ausgerufen wurde, hat das IRC einen Bericht veröffentlicht, der einen Überblick darüber gibt, was syrische Kinder durchgemacht haben. Gleichzeitig wird untersucht, was getan werden kann, um ihnen beim Spielen, Lernen, Wachsen und Gedeihen zu helfen.

"Obwohl die Schäden schwerwiegend und dauerhaft sein können, können sie auch gemildert werden, wenn die richtigen Maßnahmen zur richtigen Zeit in ihrem Leben ergriffen werden", sagte Weiss-Yagoda. "Die Situation ist schlimm und wird es auch weiterhin sein, wenn nicht Investitionen getätigt und Zusagen gemacht werden. Aber mit der richtigen Politik, Finanzierung und den richtigen Programmen wissen wir, dass diese Kinder sich erholen und heilen können."

Zudem betont der Bericht, dass Kinder bemerkenswert widerstandsfähig sind und sich mit der richtigen Unterstützung von Gewalt und Traumata erholen können. Aus diesem Grund findet Weiss-Yagoda den Ausdruck "verlorene Generation", der oft auf syrische Kinder angewendet wird, unpassend.

"Es ist noch nicht alles verloren”

"Es ist noch nicht alles verloren. Sie sind noch nicht verloren", sagte sie. "Aber wenn wir keine Hilfe erhalten, wird der Schaden, der den Kindern zugefügt wird, irreversibel sein. Wir haben immer noch eine Chance. Wir wissen, dass sich die Gehirne von Kindern noch entwickeln. Wir wissen, dass Kinder widerstandsfähig sind. Und wir wissen, dass, wenn wir jetzt nicht handeln, wir langfristige Auswirkungen auf die Fähigkeiten der Kinder sehen werden — beim Wachstum, der Entwicklung, beim Lernen, Arbeiten und den Fähigkeiten, Beziehungen und Gesellschaften wieder aufzubauen."

Mehr als 600.000 Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg gestorben. Der Konflikt hat weitere 12,3 Millionen Menschen vertrieben, darunter fünf Millionen Kinder. Trotz verschiedener Friedensversuche im Laufe der Jahre ist ein Ende des Krieges derzeit nicht in Sicht.

Aufwachsen inmitten von Konflikt

UNICEF berichtet, dass 90 Prozent der syrischen Kinder humanitäre Hilfe benötigen. Mehr als 500.000 Kinder unter fünf Jahren leiden unter Mangelernährung und 2,45 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule.

2019 führte das IRC eine Umfrage unter Betreuungspersonen in Nordwesten Syriens durch. Die Betreuer*innen gaben an, dass 62 Prozent der Kinder ohne ersichtlichen Grund ständig weinen, 46 Prozent zeigen kein Interesse am Spielen oder an Gesprächen und 47 Prozent haben Probleme, nachts zu schlafen. 

Im Jahr 2016 lud UNICEF syrische Kinder ein, im Rahmen einer therapeutischen Initiative zu zeichnen und viele von ihnen malten Bomben, Waffen, zerstörte Häuser und Tränen.

Aus diesem Grund müssen diese Kinder unterstützt und mit Nahrung, sauberem Wasser, Unterkunft, medizinischer Versorgung und Schutz vor Gewalt versorgt werden. Doch es muss auch über die grundlegende humanitäre Hilfe hinausgehen und ebenso Bildung und Entwicklung einschließen, so Weiss-Yagoda.

"Wir benötigen Geld", sagte sie. "Wir brauchen Mittel für die Versorgung von Kindern in Krisen wie Syrien. Es ist unfassbar, wie wenig das eine humanitäre Priorität ist. Bildung erhält durchweg weniger als drei Prozent der gesamten Hilfe und frühkindliche Bildung ist nur ein kleiner Teil davon. Andere Dienstleistungen für Kinder in Form von Lern- und Entwicklungsprogrammen für Betreuer*innen sind ein winziges Bruchstück. Es ist kaum messbar."

Ende März hält die Europäische Union eine Geberkonferenz für den Krieg in Syrien ab. Weiss-Yagoda erklärte, dass das IRC eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Hilfe für den Bildungsbedarf im Land anstrebt.

Bildung in Krisenzeiten

Die Erziehung von Kindern in einem Kriegsgebiet oder Flüchtlingslager erfordert Bemühungen, die weit über den normalen Unterricht hinausgehen. 

Viele Kinder haben Jahre des Schulbesuchs verpasst und müssen behutsam auf ein angemessenes Klassenniveau zurückgeführt werden. Noch dringender ist es, jahrelange Traumata aufzuarbeiten, damit die Kinder wieder offen an das Lernen herangehen können, denn diese beeinträchtigen die Lernfähigkeit von Schüler*innen erheblich. 

"Sie haben Gewalt miterlebt oder direkt erfahren", erklärte Weiss-Yagoda. "Sie haben gesehen, wie geliebte Menschen getötet und ihr Zuhause zerstört wurden. Ihre Bezugspersonen stehen ebenfalls unter Stress. Wir wissen, dass dies die Fähigkeit der Vormünder beeinträchtigt, stabile und pflegende Betreuung zu bieten, doch das sind die Grundlagen für das Wachsen und Gedeihen von Kindern."

"Bei unserem Modell geht es in erster Linie darum, dass sich die Kinder in einer sicheren, geborgenen und pflegenden Umgebung befinden", sagte sie. "Die Kinder können nur lernen, wenn es ihnen gut geht, sie glücklich sind und sich umsorgt und geliebt fühlen."

IRC und seine Partner*innen arbeiten mit Betreuer*innen zusammen, um Kindern die Liebe zum Spielen und Lernen zurückzugeben. Mit dem Sesame Workshop hat das IRC ein frühkindliches Entwicklungsprogramm namens Ahlan Simsim entwickelt, das Kindern eine lustige, fürsorgliche und spannende Lernerfahrung bietet. 

"Wir haben Geflüchteten-Muppets, die unsere Bildungsressourcen ergänzen", sagte Weiss-Yagoda. "Sie beinhalten Lektionen darüber, wie es sich anfühlt, zu flüchten. Wir beziehen uns auf die Lebenserfahrungen der Kinder, wie es ist, sein Zuhause zu verlassen und seine Freunde und Lehrer zu verlieren, in einer neuen Heimat, einem neuen Land und einer neuen Umgebung zu sein und nicht zu wissen, wann man wieder nach Hause gehen darf. Bei allem, was wir tun, geht es darum, das Lernen der Kinder, ihre psychische Gesundheit und ihr psychosoziales Wohlbefinden und ihre Fähigkeiten zu unterstützen."

Das IRC und seine Partner*innen kommunizieren regelmäßig mit den Eltern, wie wichtig es ist, mit ihren Kindern zu spielen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Weiss-Yagoda sagte, dass sie herausgefunden haben, dass Vormünder diese Lektionen am besten verstehen, wenn sie als kognitive Entwicklungstechniken dargestellt werden.

"Grundsätzlich haben wir gesehen, dass die Eltern bereit sind, alles zu tun, um sicherzustellen, dass ihre Kinder noch lernen", sagte sie. "Das gibt ihnen Hoffnung für die Zukunft."

Das IRC betreibt auch Schulen für Kinder, aber viele von ihnen wurden durch die COVID-19-Pandemie unterbrochen. Die Umstellung auf die Pandemie war schwierig, aber das IRC hat Unterrichtspläne per WhatsApp verschickt und mit den Lehrer*innen für das Homeschooling koordiniert. 

Kein Ende in Sicht

Der syrische Bürgerkrieg dauert bereits ein Jahrzehnt an, doch viele weitere Krisen auf der Welt existieren noch länger

Weiss-Yagoda berichtete, dass langanhaltende humanitäre Krisen die neue Norm sein werden. Infolgedessen müssen die Zusagen von Regierungen einen langfristigen Ansatz verfolgen.  

Die Geberkonferenz am Ende des Monats kann einen neuen Präzedenzfall für eine Finanzierung schaffen, die dem Ausmaß der Krise gerecht wird. Aber das kann nur geschehen, wenn die Länder die "Gebermüdigkeit" überwinden, die die humanitäre Hilfe für den Syrienkrieg zurzeit bestimmt.

"Wir haben kein System, das für langfristige humanitäre Krisen ausgelegt ist", sagte Weiss-Yagoda. "Wir haben kurzfristige Finanzierung, kurzfristige Aktionen für Nahrung, Wasser und Unterkunft und dann wird damit abgeschlossen." 

"Doch so sehen Krisen nicht mehr aus", sagte sie. "In Syrien herrscht nur einer von vielen Kriegen, die ewig dauern, Verdrängung, die ewig dauert. Wir brauchen eine Finanzierung über mehrere Jahre. Wir brauchen eine Koordination zwischen den humanitären Gemeinschaften und wir brauchen mehr Investitionen in die Kinder."

Wenn auch du dich für die Bildung der Kinder einsetzen möchtest, dann werde zusammen mit uns hier aktiv. 

News

Gerechtigkeit fordern

Kinder in Syrien kennen seit einem Jahrzehnt nichts anderes als Krieg

Ein Beitrag von Joe McCarthy