Der globale Handel lebt von Ungleichheit – eine ziemlich eindeutige Erkenntnis, wenn man sich die Verteilung von Wohlstand anschaut. Ob Lidl, Aldi oder Wal-Mart – die großen Handelsketten aus Industriestaaten werden immer stärker, während kleine und mittelständische Anbieter nach und nach verschwinden. 

Lieferketten sind sehr lang und nicht durchschaubar. Als Endverbraucher*innen können wir oft nicht herausfinden, woher die Produkte und Lebensmittel kommen, die wir konsumieren und nutzen. Wenn wir weiterhin nur nach den günstigsten Waren Ausschau halten, tragen wir zudem dazu bei, unfaire Lieferketten stabil zu halten. Dadurch fallen viele landwirtschaftliche Betriebe immer weiter ins Existenzminimum, bis sie gezwungen werden, ihre Höfe aufzugeben.

Dem wollen Sozialunternehmen etwas entgegensetzen. Sie produzieren lokal und denken gleichzeitig an die Rechte von Erzeuger*innen, Arbeiter*innen, Landwirt*innen und Lieferant*innen. Sie wollen faire Preise anbieten, ohne die eigene Wirtschaftlichkeit zu gefährden

Kazi Yetu ist eins dieser Sozialunternehmen. Von der Produktion der Zutaten, dem Branding der Produkte bis hin zur Weiterverarbeitung passiert alles in Tansania. Die Lebensmittel werden unter fairen Bedingungen hergestellt und das Unternehmen macht die Produktionsketten von Anfang bis Ende transparent und nachvollziehbar. Ein Großteil der Gewinne wird in die Schaffung von Arbeitsplätzen und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen investiert. 

Tahira Nizari ist Mitbegründerin von Kazi Yetu. In ihrer Karriere hat sie mit verschiedenen Arten von Unternehmen in Ostafrika und Südasien zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass auch sie unter fairen und inklusiven Bedingungen wirtschaften können. Seit 2018 betreibt sie das Sozialunternehmen mit großer Leidenschaft und setzt sich für faire und nachhaltige Produktionsketten ein. 

Wir haben mit ihr gesprochen, um mehr über die Herausforderungen von Sozialunternehmen und ihren Produktionsketten zu erfahren. 


Global Citizen: Hallo Tahira. Kazi Yetu klingt nach einem ganz spannenden Projekt – was bedeutet der Name? 

Tahira Nizari: Kazi Yetu ist Suaheli für “Unsere Arbeit”. Wir sehen uns als ein Sozialunternehmen und Agrarbetrieb, der nach sozialen und ökologischen Kriterien wirtschaftet, Arbeitsplätze für Frauen schafft und die Lebensbedingungen der Landwirt*innen in Tansania verbessern will. 

Wie kam es zu der Idee für Kazi Yetu und was waren eure ersten Schritte, um alles in die Tat umzusetzen?

Als wir mit dem Projekt anfingen, mussten wir zunächst das Angebot und die Nachfrage unseres Produktes herausfinden. 

Deswegen fuhren wir zu verschiedenen Farmen und haben zuerst mit Bäuer*innen gesprochen. Das konnte bis zu 14 Stunden dauern, den ganzen Weg hinauf in die Berge. Wir nahmen Proben von schwarzem und grünem Tee sowie Kräutern und Gewürzen mit und untersuchten, welche Pflanzen in Tansania angebaut werden können. Als wir wieder zu Hause waren, begannen wir, unsere eigenen Tees zu kreieren und zu mischen, um herauszufinden, welche Sorten sich gut eignen.

Um zu schauen, wie es auf der Nachfrageseite aussieht, besuchten wir diverse Geschäfte, um zu sehen, was es bereits gibt und was noch fehlt. 

Und was habt ihr dabei festgestellt?

Wir fanden heraus, dass viele der Tees auf dem Markt nicht rückverfolgbar sind. Man kann nicht wirklich sehen, woher er kommt. Ich fand die Verpackung auch nicht wirklich schön. Für uns muss sie eine Geschichte erzählen und Teil des Verkaufserlebnisses sein. 

Nachdem wir unsere ersten Musterprodukte kreiert hatten, haben wir diese getestet. Da mein Mitbegründer von Kazi Yetu aus Deutschland kommt, wollten wir uns diesem Markt annähern. Wir haben uns auf die Straßen Berlins gestellt und im Sinne eines Pop-Up-Markts die Leute gebeten, unsere Tees zu probieren, uns ihre Meinung mitzuteilen und zu sagen, wie viel sie für das Produkt bezahlen würden. Wir haben viel gelernt, indem wir uns mit unseren potenziellen Kund*innen auseinandergesetzt haben.

Dabei scheint euch wichtig zu sein, die Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents zu verändern – weg von den negativen Klischeebildern. Welches Bild wollt ihr präsentieren?

Ja, das ist ganz wichtig. Derzeit wird der afrikanische Kontinent mit Armut, Krieg, Misstrauen und Korruption in Verbindung gebracht. 

Aber in Wahrheit boomt die afrikanische Wirtschaft und afrikanische Kultur inspiriert Musik und Mode weltweit. Auch afrikanische Agrarerzeugnisse haben eine hohe Qualität, aber es muss mehr in die Herstellung und Verpackung investiert werden. Wir wollen ein anderes Bild schaffen: Afrika im neuen Zeitalter. Die Zukunft der Welt liegt in der Lebensmittelbranche und ich glaube, dass Afrika dabei eine große Rolle spielen kann. 

Was ist das Problem an der aktuellen Art und Weise, wie auf der Welt produziert wird und was müsste sich generell in der Wirtschaft ändern? 

Lebensmittelprodukte werden von einer Handvoll großer Unternehmen hergestellt. So sind die Einzelhandelspreise sehr niedrig und es ist schwierig für kleine und/oder soziale Unternehmen, mit ihnen zu konkurrieren – auch für solche, die eine integrativer wirtschaften wollen. Wir zahlen unseren Landwirt*innen beispielsweise einen Premiumpreis, um ihre Wachstumskapazitäten zu erhöhen, aber diese Kosten sind im Einzelhandelspreis nur schwer zu berücksichtigen. 

Für kleine und wachsende Unternehmen ist es kostengünstiger, in Tansania und in den Zulieferländern zu produzieren und dann ins Ausland zu verschiffen und die Produkte dort zu verkaufen. So sind wir näher an den Farmen und den eigentlichen Produkten. Es muss also eine Umverteilung der Produktion stattfinden, und zwar zurück in das Ursprungsland. 

Die afrikanische Industrie ist noch jung und hat viel Potenzial. Wir müssen zum Beispiel Verpackungen importieren und gleichzeitig mehr darüber lernen, damit sie für unsere Kund*innen attraktiver sind. 

Was für eine Rolle spielen die Verbraucher*innen?

Ein wichtiger Faktor ist die vorherrschende Kultur. Verbraucher*innen sind größtenteils an billige Produkte gewöhnt, doch die Mentalität ändert sich. Als Produzent*innen haben wir die Aufgabe, die Geschichten hinter unserer Wertschöpfungskette zu erzählen, die Transparenz zu erhöhen und so das Bewusstsein für die Lieferketten von Lebensmitteln zu schärfen. 

Wir stellen fest: Unsere Kund*innen sind aufmerksamer geworden und stellen viele Fragen. Deshalb wollen wir sie aufklären, indem wir mit ihnen in einen Dialog treten. Im Moment haben wir nicht auf alles eine Antwort, aber wir möchten unsere Produktionskette so transparent wie möglich gestalten.

Das ist sicherlich kein leichtes Unterfangen. Wie habt ihr euer Unternehmen entwickelt?

Wir haben 2018 mit Kazi Yetu begonnen und anfangs war ich frustriert, weil wir so viel Zeit brauchten. Ich wollte schneller vorankommen. Aber auf lange Sicht hat sich Langsamkeit und Stetigkeit für uns als erfolgreich herausgestellt. 

Wenn man keine externe Finanzierung hat, ist es wichtig, klein anzufangen und das Produkt zunächst zu testen. Wir haben zuerst 500 Verpackungseinheiten bestellt, dann 1.000, dann 10.000 und haben es immer weiter gesteigert. Das mag kurzfristig nicht billig sein, aber wir wollten vor allem intelligent und vorausschauend wachsen. 

2020 begannen wir, nach Deutschland zu exportieren und in den Handel mit anderen Unternehmen einzusteigen, um unsere Produkte zu verkaufen. Doch aufgrund von COVID-19 schlossen alle Geschäfte und die Preise für Rohstoffe stiegen. Deswegen haben wir unsere Fabrik vorübergehend geschlossen und eigene Maßnahmen ergriffen, denn in Tansania gab es keinen Lockdown wie in anderen Ländern. Wir fragten unsere Mitarbeiter*innen, ob sie arbeiten wollten und überließen ihnen die Entscheidung. Das war dann auch das Jahr, in dem wir unseren Online-Shop früher als erwartet eröffneten. 

Was ist für euch entscheidend, wenn ihr Partnerschaften mit Agrarunternehmen eingeht?

Die Qualität des Produkts ist definitiv der erste Aspekt, auf den wir achten, aber unsere sozialen und ökologischen Anforderungen sind genauso wichtig. Wenn wir uns mit einem neuen Unternehmen treffen, sehen wir uns die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen und Landwirt*innen an. Wir besuchen den Betrieb und sehen, ob sie ökologischen Landbau betreiben und wie sehr die landwirtschaftlichen Aktivitäten den Lebensunterhalt der Landwirt*innen unterstützen. Wir bewerten die Nachfrage nach ihren Produkten und die Bereiche, in denen Verbesserungen möglich sind. Auch die Führungskraft des Unternehmens ist ein wichtiger Faktor für den Aufbau von Beziehungen.

Letztlich haben wir ein großes Interesse daran, die Bäuer*innen und Lieferant*innen zu unterstützen. Unsere Minzblätter müssen zum Beispiel ganz trocken sein, sonst besteht die Gefahr einer Verunreinigung. Deshalb haben wir für einen unserer Landwirt*innen einen Trockner gekauft, um ihn bei diesem Vorhaben zu unterstützen. Auch stellen unvorhersehbare Wetterbedingungen eine Bedrohung für die Ernte dar, so dass wir ihnen auf jede erdenkliche Weise helfen wollen. 

Damit Landwirt*innen, Lieferant*innen und Fabrikarbeiter*innen fair bezahlt werden können, muss das Produkt am Ende einen bestimmten Preis haben. Das scheint immer noch viele Konsument*innen abzuschrecken und einigen das Gefühl zu geben, dass es sich um “Luxusprodukte” handelt. Was müsste sich eurer Meinung nach ändern, damit sich diese Wahrnehmung aufhebt?

Das ist immer noch ein heikler Aspekt, aber es kommt vor allem auf die Qualität des Produkts an. Ein großer Teil des Tees auf dem Markt wird in Massenproduktion hergestellt und mit Aromen versetzt. Daran ist nichts auszusetzen, aber das bedeutet, dass er nicht ganz natürlich ist. In unserem Fall schmeckst du genau das, was du auch in der Tasse vorfindest. Der Hibiskus ist Hibiskus. Es wird nichts anderes hinzugefügt, es ist alles natürlich. 

Ein weiterer Punkt wäre, die Wirkung unserer Produktionsketten aufzuzeigen. Wir müssen anerkennen, dass wir uns nicht abwenden und zu unseren alten Gewohnheiten zurückkehren können. Die Verbraucher*innen werden immer globaler und mit dem Klimawandel wird uns klar, dass wir alle miteinander vernetzt sind. Wir müssen erkennen, dass die fehlerhaften Produktionsketten unser aller Problem sind. Das ist es, was wir immer wieder fördern und wofür wir das Bewusstsein schärfen wollen. 

Einige Lieferant*innen sind nicht offiziell nach bestimmten europäischen Zertifikaten bio-zertifiziert. Oft sind sie zu klein oder können es sich schlicht nicht leisten. Damit sind sie schon von vornherein von einem bestimmten internationalen Absatzmarkt ausgeschlossen und können auch nicht von höheren Verkaufspreisen profitieren, die mit einem solchen Siegel einhergehen. Wie können wir als Verbraucher*innen die Lieferant*innen unterstützen?

Zwei Lösungen wären hierbei hilfreich:

Erstens sollten wir offener dafür werden, uns die ganze Geschichte anzuhören. Ja, Zertifizierung ist wichtig, aber es ist auch schwer, sie zu standardisieren. Bei Produkten wie unseren müssen die Menschen offener sein für die Art und Weise, wie wir die Rückverfolgung und die Überwachung der ökologischen Praktiken durchführen. Das bedeutet, dass sie sich die Zeit nehmen müssen, die Informationen zu lesen, zu verstehen und zu würdigen. Sie müssen anerkennen, dass Lieferketten nicht schwarz-weiß sind, also zertifiziert sind oder nicht. 

Zweitens wäre es wichtig, mehr in die Zertifizierung von Landwirt*innen und Lieferant*innen zu investieren. Ehrlich gesagt haben wir dafür nicht die Mittel, aber wir bräuchten verschiedene Zuschussgeber*innen, die uns bei der Zertifizierung von Landwirt*innen helfen, damit deren Lebensbedingungen verbessert werden. Eine integrative Lieferkette wird allen Beteiligten zugute kommen.

Eure Fabrik in Dar es Salaam wird ausschließlich von Frauen betrieben. Warum ist es euch so wichtig, insbesondere Frauen zu stärken?

Normalerweise beschränken sich Frauen in der Landwirtschaft in Tansania auf den Anbau. Das heißt, Männer bringen die geernteten Produkte auf den Markt und verkaufen sie. So bleibt unklar, wer was verdient. Uns war es deshalb wichtig, mehr Arbeitsplätze und Möglichkeiten für Frauen zu schaffen. 

Dar es Salaam ist eine der am schnellsten wachsenden Städte in Afrika mit einer hohen Arbeitslosenquote. Unsere Frauen sind großartige Arbeitskräfte, da sie eine positive und dankbare Mentalität haben. In Suaheli gibt es ein Sprichwort, das wir verwenden, wenn wir jemanden sehen, der/die hart arbeitet, und das in etwa so lautet: "Tut mir leid für deine harte Arbeit" (In Suaheli: pole kwa kazi). In unseren Fabriken haben wir diesen Spruch jedoch in "Glückwunsch zu deiner Arbeit" (In Suaheli: hongera kwa kazi) umgewandelt, weil die Frauen so glücklich sind und ein so schönes Arbeitsklima schaffen. 

Das möchte ich unterstützen. Die tansanischen Sektoren sind ziemlich männerdominiert. Wir wollen natürlich nicht alles trennen, denn für einen gesunden Geschlechterdialog brauchen wir sowohl Männer als auch Frauen am Tisch. Aber wir wollen zeigen, dass es möglich ist, ein Unternehmen mit einem reinen Frauenteam zu führen. 

Zum Abschluss: Welche Tees trinkst du am liebsten?

Derzeit trinke ich Cinnamon Spice am liebsten am Morgen. Er hat eine angenehm wärmende Wirkung. Abends bevorzuge ich Hibiscus Star, der koffeinfrei ist und mir hilft, mich zu entspannen. Er ist auch gut für die Verdauung. Aber mein Geschmack ändert sich und hängt auch von meiner Stimmung ab. Manchmal brauche ich einen kleinen Koffeinschub und dann würde ich Ginger Mint Fusion oder einen anderen Tee nehmen. Aber ich bin durch und durch Teetrinkerin! 

Liebe Tahira, vielen Dank für das Gespräch.

Sehr gerne.

Wenn auch du dich für nachhaltige und faire Produktionsketten einsetzen willst, dann werde mit uns aktiv. 

Global Citizen Asks

Armut beenden

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Ein Beitrag von Nora Holz