„Als Kind wollte ich immer zur Schule gehen. Irgendwann durfte ich dann auch, aber kurze Zeit später musste ich wieder auf die Tiere zu Hause aufpassen. Ich weiß noch, wie ich meine Eltern fragte, ob ich wieder hin dürfte. Aber als Antwort bekam ich nur: ‚Das einzige, was ein Mädchen einmal wird, wenn sie zur Schule geht, ist schwanger. Sonst nichts.’

Das war damals die Einstellung vieler Erwachsener. Wenn man ein Mädchen zur Schule schickt, wird sie dort nur Jungs kennenlernen, schwanger werden und dann noch nicht einmal heiraten. Deshalb durfte ich nicht zur Schule. Stattdessen wurde ich mit 13 verheiratet” - Yeshi 


Yeshi (Bild oben) wurde in Oromia in Äthiopien geboren. Noch vor ihrem 18. Lebensjahr wurde sie bereits verheiratet und wieder geschieden. Als Erwachsene muss sie sich als alleinerziehende Mutter um drei Kinder kümmern. Mit einem mickrigen Einkommen. Wenn sie heute auf ihren Lebensweg zurückblickt, ist sie fest davon überzeugt, dass die meisten Hürden und Herausforderungen wohl vermeidbar gewesen wären, wenn ihre Eltern ihr damals erlaubt hätten, weiterhin zur Schule zu gehen.

„Ich glaube, wenn mir meine Eltern erlaubt hätten, zur Schule zu gehen und wenn mein Mann zur Schule gegangen wäre, hätten wir oft bessere Entscheidungen getroffen”, sagte Yeshi. „Uns wurde nie beigebracht, wie man sich um die Dinge kümmert. Das fing bei unserer Ehe an und betraf nach und nach alles in unserem Leben.”

„Nachdem ich geschieden wurde, bin ich hierher gezogen. Ich war neu hier und kannte niemanden. Das Leben war hart. Ich dachte sogar schon an Selbstmord. Der Glaube an Gott hat mir dabei geholfen, den Neuanfang hier durchzustehen. Aber die ganze Zeit über dachte ich, dass es mir besser gehen würde, wenn ich zur Schule gegangen wäre und man mir beigebracht hätte, mit solchen Situationen zurecht zu kommen.”

Trotz aller Widerstände fand Yeshi die Kraft, weiterzumachen. Und seit dieser Erfahrung setzt sie alles in Bewegung, damit ihre Kinder später nicht das gleiche durchmachen müssen wie sie. Trotz ihres geringen Einkommens konnte Yeshi ihre beiden Söhne erfolgreich zur Schule schicken und das gleiche will sie auch für ihre Tochter (Bild unten) erreichen.

Image: Girls' Education Challenge

„Ich will nicht, dass meine Tochter so aufwachsen muss wie ich. Wenn man zur Schule geht, weiß man, wie man die besten Entscheidungen für sich treffen kann. Das ist wichtiger als Geld. Menschen, die zur Schule gehen können, sehen das Licht - sind Optimisten - und nicht die Dunkelheit.”

Um ihre Tochter Firegenet auch wirklich zur Schule schicken zu können, versucht Yeshi auf jegliche Art und Weise, Geld zu verdienen: sie verkauft Lebensmittel auf dem Wochenmarkt in ihrem Dorf. Wenn davon etwas übrig bleibt, zieht sie von Tür zu Tür, um die Lebensmittel nicht wegschmeißen zu müssen und noch ein bisschen hinzu zu verdienen.

„Ich bin sogar Mitglied in einer ‚Spargruppe’ meines Dorfes”, erzählt Yeshi mit einem Lächeln. „Wir treffen uns jeden Sonntag Nachmittag und tauschen uns darüber aus, wie wir noch mehr Geld sparen können, so dass wir unsere Töchter zur Schule schicken können.”

„Meine Kinder sagen immer zu mir ‚Du bist vielleicht nicht durch eine Schule gebildet, aber du bildest uns’.”

Und die harte Arbeit zahlt sich aus. Yeshis Tochter geht zur Schule. Und durch den Schulbesuch ihrer eigenen Tochter hat Yeshi nun selbst das Gefühl, dass sie jeden Tag neues Wissen und Selbstvertrauen gewinnt. Denn Firegenet hat ihrer Mutter schon beigebracht, wie man seinen eigenen Namen schreibt. Das war für Yeshi etwas völlig neues! Jedes Mal, wenn sie nun etwas unterschreibt, macht sie dies mit einer solchen Sorgfalt, dass man meinen könnte, ihr ganzes Leben stecke in dieser einen Unterschrift. Auf ihre Unterschrift ist Yeshi sehr stolz. Denn für sie bedeutet es mehr als nur ihr Name. Die Unterschrift zeigt für Yeshi, dass Bildung Identität bedeutet, und nicht nur Geld und Arbeit:

„Ich weiß, dass viele Mädchen die Schule wieder verlassen und nicht Ärztinnen werden, so wie sie es sich erträumt haben. Viele von ihnen werden wahrscheinlich in ihren ländlichen Gegenden bleiben. Aber ihre Bildung ist trotzdem wichtig! Denn dann haben sie wenigstens ihr Wissen. Dann müssen sie nicht mit einem Fingerabdruck unterschreiben, wie ich es musste, bevor ich lernte, meinen eigenen Namen zu schreiben. Den Finger nur dafür benutzen zu können, um ihn irgendwo aufzustempel, wenn man etwas unterschreiben muss, ist wirklich beschämend.”

Image: Girls' Education Challenge

Für Yeshi sind ihre nächsten Schritte glasklar: weiterhin arbeiten, um noch mehr Geld zu sparen, damit ihre Tochter noch länger zur Schule gehen kann. Sie hofft, dass die Geschäfte auf dem Markt weiterhin gut laufen und sie ihren Stand sogar noch ausbauen kann. Vielleicht kann sie bald auch ein eigenes Haus bauen - all das, um die Zukunft ihrer Kinder, vor allem aber die Zukunft ihrer Tochter, zu verbessern.

„Ich arbeite so hart wegen Firegenet. Für sie nehme ich die Strapazen auf mich. Wofür sollte ich denn sonst so hart schuften? Ich arbeite so hart, damit sie ein besseres Leben führen kann.”

„Wenn die Leute zur Schule gehen können, können sie alles verändern. Je mehr Mädchen in einem Land zur Schule gehen, desto schneller wird sich das Land und das Leben jedes einzelnen Einwohners verbessern.”


Die in diesem Artikel dargestellte Meinung reflektiert ausdrücklich die Meinung des Autors und nicht maßgeblich die Meinung von Global Citizen, unseren Partnern und/oder unserer Partner-Organisationen. 

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'Ich arbeite so hart, damit meine Tochter zur Schule gehen & ein besseres Leben führen kann.'