An die G20 Finanzminister*innen: 

Wir schreiben Ihnen im Vorfeld des zweiten Treffens der G20-Finanzminister*innen am 20. April, um Ihnen unsere wichtigsten Empfehlungen zur Bekämpfung extremer Armut weltweit zu übermitteln. Unsere Empfehlungen knüpfen dabei an die Ergebnisse des ersten Treffens der G20-Finanzminister*innen vom 17. und 18. Februar an.

Während die Welt weiterhin mit den gesundheitlichen Folgen der Pandemie konfrontiert ist, müssen wir auch auf die zahlreichen Krisen reagieren, die durch die Pandemie verschärft wurden und die zugrunde liegenden, systemischen Ursachen der weltweiten Ungleichheit in den Blick nehmen. Dies schließt auch den durch die Invasion in die Ukraine ausgelösten Zusammenbruch des globalen Nahrungsmittelsystems ein. Wir bitten Sie daher dringend, im Vorfeld des diesjährigen G20-Gipfels die folgenden wichtigen Maßnahmen zu unterstützen: 

Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Bekämpfung extremer Armut 

Seit Beginn der Pandemie haben wohlhabende Länder, einschließlich der G20, mehr als 16 Billionen US-Dollar zur Unterstützung ihrer eigenen Bevölkerung und Wirtschaft mobilisiert. Ärmere Länder hingegen hatten keinen Zugang zu entsprechenden Mitteln. Die G20-Staaten müssen daher Maßnahmen ergreifen, die es Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ermöglichen, auf die Pandemie zu reagieren und sich von ihren vielfältigen Auswirkungen zu erholen. Wir appellieren daher an Sie, sich für die folgenden wichtigen Maßnahmen einzusetzen: 

Reallokation von Sonderziehungsrechten (SZR) in Höhe von mindestens 100 Mrd. US-Dollar: Letztes Jahr haben sich die G20-Staaten verpflichtet, 100 Milliarden US-Dollar an Sonderziehungsrechten an die am stärksten benachteiligten Länder umzuverteilen. Wir fordern die G20-Staaten nun auf, dieses 100-Milliarden-Dollar-Ziel nicht nur zu erreichen, sondern zu übertreffen, indem sie bis zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank mindestens 25% ihrer neuen Sonderziehungsrechte (oder einen gleichwertigen finanziellen Beitrag) umverteilen und somit sicherstellen, dass mehr Mittel an die Länder gehen, die diese am dringendsten brauchen. Die Unterstützung durch neu zugewiesene SZR muss zusätzlich zum 0,7%-ODA-Ziel geleistet werden. Weiterhin sollte die von den Geberländern für die Ukraine bereitgestellte Unterstützung zusätzlich sein und nicht dazu führen, dass die für strukturelle Bedürfnisse der Länder mit niedrigem und mittleren Einkommen vorgesehenen Mittel abgezogen werden.

Mit Blick auf die Einrichtung des neuen Resiliency and Sustainability Trust (RST) durch den Internationalen Währungsfonds bitten wir Sie, sich für folgende drei Punkte einzusetzen: Erstens darf der RST keine Konditionalitäten enthalten, die Kompromisse mit Blick auf essentielle Sozialausgaben erzwingen. Zweitens muss der Zinssatz auf 0,05% oder weniger begrenzt sein. Und drittens muss der RST von bestehenden IWF-Krediten und -Programmen entkoppelt sein.  

Aufbauend auf Ihrem Kommuniqué vom Februar ermutigen wir Sie, SZR auch über multilaterale Entwicklungsbanken wie die Afrikanische Entwicklungsbank umzuverteilen.

Sicherstellen, dass Unternehmen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen: Die Pandemie hat gezeigt, dass neue, zusätzliche Einnahmequellen erforderlich sind, um globale öffentliche Güter zu finanzieren. Solidaritätssteuern könnten sicherstellen, dass Sektoren, die traditionell von der Globalisierung profitiert haben, auch zur Bewältigung ihrer Herausforderungen beitragen. Dazu könnte zum Beispiel eine globale Finanztransaktionssteuer gehören,  die von einer Gruppe von Vorreiterländern eingeführt wird und deren Einnahmen an Investitionen in globale Gesundheit und Klimaschutz gekoppelt sind.  Zusätzlich könnte eine CO2-Steuer eingeführt werden, die den doppelten Vorteil hätte, zur Verringerung der CO2-Emissionen beizutragen und gleichzeitig neue Einnahmen zu generieren, die zur Unterstützung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen weltweit eingesetzt werden können, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen. Der Steuersatz sollte jedoch ehrgeizig genug sein, um die Emissionen tatsächlich zu senken und den massenhaften Kauf von Emissionsgutschriften zu verhindern. 

Finanzierung der globalen COVID-19-Maßnahmen: 

Zwar haben die G20-Länder ihre Unterstützung ausgesprochen, das von der WHO gesteckte Ziel zu erreichen und bis Mitte 2022 mindestens 70% der Menschen in jedem Land zu impfen. Jedoch fehlt es weiterhin an einem umfassenden und durch konkrete Verpflichtungen untermauerten Plan. Wir fordern die G20 auf, sich zu konkreten Maßnahmen zu verpflichten, um das 70%-Ziel zu erreichen:

Vollständige Finanzierung des Access to COVID-19 Tools Accelerator (ACT-A): Angesichts geschwächter Gesundheitssysteme und dem fehlenden Zugang zu einer vorhersehbaren und nachhaltigen Versorgung mit Impfstoffen, bleiben die Impfkampagnen für Länder mit niedrigem Einkommen eine große Herausforderung. Die G20-Länder müssen ihren fairen Anteil am ACT-Accelerator und an der allgemeinen globalen COVID-19-Reaktion leisten. Dabei müssen unter anderem finanzielle Mittel für UNICEF und die Impfallianz Gavi bereitgestellt werden, um die Auslieferung von COVID-19-Impfstoffen, Tests, Medikamenten und Schutzausrüstung sowie die Risikokommunikation vor Ort zu unterstützen. 

Wir freuen uns darauf, den Bericht über die Modalitäten zur Einrichtung einer Finanzfazilität für die Pandemievorsorge und -bekämpfung einsehen und kommentieren zu können, der Teil des anstehenden Treffens sein wird und voraussichtlich im Oktober von Ihnen und den G20-Gesundheitsminister*innen angenommen werden soll. 

Klimaschutz und Kampf gegen den Hunger: 

Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen  müssen bei der Beendigung extremer Armut im Vordergrund stehen. Gewaltsame Konflikte und der Klimawandel gehören derzeit zu den Hauptursachen des weltweiten Hungers, der ein Rekordniveau erreicht hat. Dies schließt auch die 500 Millionen Menschen ein, die aufgrund der anhaltenden Gewalt in der Ukraine, einem Hauptproduzenten von Grundnahrungsmitteln, von chronischem Hunger betroffen sein werden. Indem Kleinbäuer*innen in die Lage versetzt werden, den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen, kann eine Verschärfung der weltweiten Hungerkrise verhindert werden. Die Beschlüsse der G20-Staaten müssen den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz unseres Planeten priorisieren, um die am meisten gefährdeten Gemeinschaften zu unterstützen. 

Um den fossilen Brennstoffen ein Ende zu setzen, ist kollektives Handeln erforderlich. Subventionen für fossile Brennstoffe müssen in saubere, gerechte und nachhaltige Energiesysteme reinvestiert werden. Als Reaktion auf das im Februar verabschiedete Kommuniqué sind wir der festen Überzeugung, dass die Politik der G20-Staaten auf dem Weg zur CO2-Neutralität eine Reihe von Steuer-, Markt- und Regulierungsmechanismen umfassen sollte – einschließlich des Einsatzes von Mechanismen und Anreizen zur Bepreisung von Kohlenstoff und der Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe bis spätestens 2025. Gleichzeitig müssen die G20-Staaten sich dazu verpflichten, bei der Erreichung dieser Ziele, die Ärmsten und Schwächsten gezielt zu unterstützen.

Anknüpfend an Ihr Kommuniqué vom Februar fordern wir konkrete Maßnahmen, um eine Übergangsfinanzierung zu ermöglichen, die einen gerechten und bezahlbaren Übergang zu einer treibhausgasarmen und klimaresistenten Wirtschaft unterstützt. 

Die G20-Staaten sollten konkrete Schritte zur Schaffung von Netto-Null-Finanzsystemen und zur Unterstützung der internationalen Konvergenz darlegen. Auf der COP26  wurden von den G20-Staaten signifikante Zusagen zu Netto-Null-Finanzsystemen gemacht. Diesen Zusagen sollten nun konkrete nächste Schritte folgen, einschließlich der Entwicklung von Klimaschutzplänen für den Privatsektor, der Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten, und Taxonomien für nachhaltige und nicht nachhaltige Investitionen. Die G20-Staaten sollten sich weiterhin dazu verpflichten, die Empfehlungen internationaler Normungsgremien anzunehmen, um ein internationales System zur Angleichung, Konvergenz und Gleichwertigkeit der wichtigsten klimarelevanten Finanzvorschriften zu schaffen. Die Schaffung gemeinsamer Standards in internationalen Foren wird dazu beitragen, die regelbasierte multilaterale Ordnung zu festigen und gleichzeitig den effizienten Fluss von privatem und öffentlichem Kapital für Netto-Null-Zwecke zu erleichtern.

Wir fordern die Regierungen auf, die versprochene Klimafinanzierung in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr bis 2025 unverzüglich bereitzustellen, um Ländern mit niedrigem Einkommen bei der Reduzierung ihrer Emissionen und der Bewältigung der Klimakrise zu unterstützen. Wohlhabende Länder müssen ihren fairen finanziellen Beitrag leisten – zusätzlich zu den Mitteln der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA). Die Finanzierungslücken der vergangenen Jahre müssen geschlossen und ein einheitliches und transparentes System zur Berichterstattung muss eingeführt werden. Als Reaktion auf Ihr Kommuniqué vom Februar betonen wir, wie wichtig es ist, dieses Ziel unverzüglich und vollständig zu erreichen. Die bereitgestellten Mittel müssen zu gleichem Anteil zwischen Schutz- und Anpassungsmaßnahmen aufgeteilt werden, um das derzeitige Ungleichgewicht auszugleichen, bei dem nur etwa ein Viertel der Mittel für die Anpassungsmaßnahmen aufgewendet wird.

Dazu gehört auch die Bereitstellung erheblicher Mittel für Klimaanpassungsmaßnahmen für ländliche Gemeinden und Kleinbäuer*innen, beispielsweise im Rahmen der 12. Wiederauffüllung des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) und die Unterstützung des IFAD-Programms ASAP+ (Enhanced Adaptation for Smallholder Agriculture Programme). Die Stärkung von Kleinbäuer*innen ist der Schlüssel zum Aufbau widerstandsfähiger, lokaler Nahrungsmittelsysteme. Wir fordern die G20 außerdem auf, in Wissenschaft und Forschung zu investieren, um Instrumente für die Transformation des globalen Ernährungssystems zu entwickeln und Armut zu bekämpfen, beispielsweise durch Investitionen in CGIAR.

Die G7- und G20-Staaten müssen den Weg ebnen für ein wesentlich ehrgeizigeres Ziel für die internationale Klimafinanzierung nach 2025, das gemeinsam mit Niedrigeinkommensländern und den vom Klimawandel am stärksten bedrohten Gemeinschaften auf der diesjährigen COP vereinbart werden soll. 

Die Welt sieht sich aufgrund der dreifachen Bedrohung durch Konflikte, Klimawandel und COVID-19 mit einer bedeutenden humanitären Krise konfrontiert, die zu einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Hunger und Ernährungsunsicherheit führt. Dies wird zusätzlich dadurch verschärft, dass der Krieg in der Ukraine den Zugang zur weltweiten Nahrungsmittelhilfe (die Ukraine ist ein Hauptlieferant des Welternährungsprogramms) und globaler Nahrungsmittel-Lieferketten zu unterbrechen droht. Regierungen weltweit müssen sich dafür einsetzen, die erforderlichen 183,5 Mio. US-Dollar für dringende Nahrungsmittelhilfe und zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Landwirtschaft in der Ukraine bereitzustellen. Die Finanzierungslücken, die mit Blick auf die Beendigung der aktuellen Hungersnot bestehen, müssen jetzt geschlossen werden – einschließlich der vollständigen Auffüllung des Immediate Response Account (IRA) des Welternährungsprogramms sowie der Bereitstellung von 7 Milliarden US-Dollar, um die 45 Millionen Menschen zu erreichen, die am Rande des Hungertodes stehen.

Wir fordern Sie auf, jetzt aktiv zu werden und zu handeln! Denn die Welt schaut zu. 

Advocacy

Armut beenden

An die G20 Finanzminister*innen: Ihr Handeln ist jetzt gefordert!