Wie Global Citizens den Anstoß für den ersten globalen Fonds für Bildung in Krisenregionen gaben

Autor: Leah Rodriguez

Altaf Qadri/AP

Nicola Fennel arbeitet seit über 10 Jahren als Beraterin für Studierende an einem New Yorker College. Da sie in Jamaika aufgewachsen ist, sind viele Dinge, die US-amerikanische Studenten oft für selbstverständlich halten, Luxus für sie – etwa eine MetroCard, um in die Uni zu fahren.

Bevor sie mit 14 Jahren in den New Yorker Stadtteil Queens zog, kannte Nicola Fennel Kinder, deren Schulweg ein langer Fußmarsch war. Und solche, die mitunter gar keine Schule besuchen konnten, weil sie in besonders abgelegenen Gegenden lebten und es dort keinen Bus oder Zug gab.

“Wenn du kein Geld hast, bleibt dir auch der Zugang zu Bildung verwehrt“, erzählt die heute 35-jährige Nicola Fennel im Gespräch mit Global Citizen über das jamaikanische Bildungssystem. Die ersten sechs Jahre Grundschule sind in Jamaika zwar kostenlos, aber durch zusätzliche Gebühren und Schulgeld wird Bildung für viele Familien zu einer finanziellen Belastung.

2013 erfuhr Nicola Fennel durch Zufall von der Möglichkeit, sich auch außerhalb ihrer Arbeitszeit für Bildung einzusetzen. Sie hatte gehört, dass Alicia Keys, eine ihrer Lieblingssängerinnen, beim Global Citizen Festival im New Yorker Central Park auftritt. Der Anreiz, Tickets für das Festival gewinnen und Alicia Keys live sehen zu können, brachte sie dazu, sich der Bewegung zum Kampf gegen extreme Armut anzuschließen.

“Ich fand das super spannend! Ich bekam die Chance, mich für Menschen in aller Welt zu engagieren und nahm sie sofort wahr“, erzählt Fennel.

Jahr für Jahr engagierte sich Nicola Fennel und entwickelte sogar einen Lehrplan rund um die Nutzung der Global Citizen-App. 2016 unterzeichnete sie dann eine Petition anlässlich des dritten Jahrestages der Syrien-Krise. Gemeinsam mit führenden Politiker*innen, Aktivist*innen, sowie den Partnerorganisationen UNICEF, Save the Children und TheirWorld, wollte Global Citizen auf dem World Humanitarian Summit einen Bildungsfonds ins Leben rufen.

In der Petition, die Fennel unterschrieb, wurden Länder weltweit aufgefordert, sich für die mehr als 75 Millionen Kinder einzusetzen, deren schulische Ausbildung durch Konflikte und Krisen unterbrochen wurde. Kinder, die nicht zu Schule gehen können, weil sie auf der Flucht sind oder in Konflikt- bzw. Katastrophenregionen leben.

Ohne die entsprechende Unterstützung haben es diese Kinder schwer, ihr volles Potenzial zu entfalten und später beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen. Bei Kindern in Konfliktländern ist die Wahrscheinlichkeit, keine Schule zu besuchen der UNESCO zufolge doppelt so hoch, wie in Ländern mit stabilen Verhältnissen. Wenn Schulen Ziel von Übergriffen werden, laufen Kinder Gefahr, verwundet oder gar getötet zu werden. Zudem wird Infrastruktur zerstört und die Bildungssysteme langfristig geschwächt.  

“Wir als Global Citizens stehen in der Verantwortung, eine Welt zu schaffen, in der Bildung für jedes Kind an jedem Ort oberste Priorität hat.“ So stand es in der Petition, die innerhalb weniger Monate von 27.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Unterschrift von Nicola Fennel war eine von mehr als 525.000 Aktionen zur Unterstützung einer besseren Finanzierung von Bildung in Krisenregionen, die es seit dem Start der Kampagne im Mai 2016 durchgeführt wurden.

Syrian children, who were displaced with their families from eastern Aleppo, play in the village of Jibreen south of Aleppo, Syria in December 2016.
Syrian children, who were displaced with their families from eastern Aleppo, play in the village of Jibreen south of Aleppo, Syria in December 2016.
Image: Hassan Ammar/AP

Als Mensch, der schon immer gern anderen Menschen half, fühlte sich Fennel motiviert. “Es fühlte sich wirklich gut an, Teil dieser wachsenden Bewegung zu sein“, erinnerte sich Nicola. “Das hat mich stolz gemacht und mich gleichzeitig mit Hoffnung erfüllt.“

Hinter den Kulissen arbeitete Global Citizen unermüdlich daran, weitere Unterstützung für die Kampagne zu mobilisieren: Im Rahmen einer Veranstaltung mit Fokus auf Bildung in Krisenregionen, bei Treffen mit Vertreter*innen des US-Ministeriums für internationale Zusammenarbeit (USAID) und Kongressabgeordneten, mit Aufrufen an führende Politiker*innen in den USA und mit einer Veranstaltung auf dem Capitol Hill.

Auf dem World Humanitarian Summit im Mai gab der USAID-Leiter bekannt, dass die USA eine Anschubfinanzierung in Höhe von 20 Millionen US-Dollar für den ECW-Fonds (Education Cannot Wait) bereitstellen wird. Der Fonds ist der erste globale Fonds speziell für Bildung in Katastrophen- und Krisenregionen. Der Beitrag der USA floss in einen von mehreren Geberländern finanzierten Pool, aus dem für jedes von Krisen und Konflikten betroffene Kind 112,50 US-Dollar zur Verfügung gestellt werden sollen.

Students work together during a math class at her public high school in Caracas, Venezuela in June 2016.
Students work together during a math class at her public high school in Caracas, Venezuela in June 2016.
Image: Ariana Cubillos/AP

Global Citizen gelang es, von den USA, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Norwegen und der Europäischen Kommission insgesamt knapp 90 Millionen US-Dollar an finanziellen Zusagen zu mobilisieren. Mit diesen Mitteln war ECW in der Lage, schnell auf Krisen in Ländern in aller Welt zu reagieren, darunter Peru, Syrien und Nigeria.

“Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen Global Citizens für ihre großartiges Engagement bei der Mobilisierung von Unterstützung zu danken. Vor allem die Unterstützung der USA, die wir von Beginn an bekamen und mit deren Hilfe wir ECW überhaupt erst auf den Weg bringen konnten”, so Yasmine Sherif, Leiterin von Education Cannot Wait, gegenüber Global Citizen.

In den Jahren nach der Starthilfe für ECW spielte Global Citizen mittels Mobilisierung der Unterstützung von Regierungen, Global Citizens und Prominenten aus aller Welt eine aktive Rolle in der Kampagnenarbeit des Fonds.

Durch diese intensive Kampagnenarbeit gelang es Global Citizen, Zusagen in Höhe von 270 Millionen US-Dollar für ECW zu mobilisieren. Dadurch konnte weltweit 1,3 Millionen Kindern geholfen werden. Als Bangladesch im Sommer 2017 mit dem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus dem Volk der Rohingya zu kämpfen hatte, zählte ECW zu den ersten Organisationen, die helfen konnten: Innerhalb von sechs Wochen nach Krisenbeginn konnten den Partnern vor Ort Mittel bereitgestellt werden. Die Kampagnenarbeit von Global Citizen half ECW zudem, der UNESCO 250.000 US-Dollar für den Bau von Klassenräumen im peruanischen Tumbes zur Verfügung zu stellen. Die Stadt war 2017 als Folge des Wetterphänomens El Niño von Erdrutschen verwüstet worden.

Zwei Lehrer in Nigeria erleben die positiven Auswirkungen der ECW-Mittel hautnah.

Students at school in Maiduguri, Nigeria.
Students at school in Maiduguri, Nigeria.
Image: Global Citizen

In den vergangenen 10 Jahren wurde der Nordosten Nigerias infolge bewaffneter Konflikte verwüstet, sagt Suleh Meleh, stellvertretender Leiter des UNICEF Early Child Development Center in einem Flüchtlingscamp im Bundesstaat Borno, gegenüber Global Citizen.

Die Terrormiliz Boko Haram – was grob übersetzt “Westliche Bildung ist Sünde“ heißt – hat tausende von Mädchen und Frauen gekidnappt und gezwungen, Soldaten zu heiraten oder selbst Soldatinnen zu werden – alles im Namen der Einführung des Scharia-Rechts. Bisher starben mehr als 20.000 Menschen in den Kämpfen zwischen der nigerianischen Armee und der Terrorgruppe.

Insgesamt 1.400 Schulen in Nigeria hat Boko Haram angegriffen und niedergebrannt, Schüler*innen als Kämpfer*innen rekrutiert und in einigen Fällen die Lehrer*innen umgebracht. Jetzt haben die Kinder Angst, wieder zur Schule zu gehen, erklärt Meleh. Im Bundesstaat Borno bleiben 57 Prozent der Schulen geschlossen. Mit ECW-Mitteln konnte jedoch das UNICEF Early Child Development Center eröffnet werden.

Suleh Meleh, Assistant Headmaster at UNICEF Early Child Development Center in Stadium IDP Camp in Borno State, Nigeria.
Suleh Meleh, Assistant Headmaster at UNICEF Early Child Development Center in Stadium IDP Camp in Borno State, Nigeria.
Image: Global Citizen

“Was passiert mit einem Kind, das nicht zur Schule gehen kann“, fragt Saleh Adams, Leiter des UNICEF Early Child Development Center. Und antwortet gleich selbst: “Sie erhalten keine gute Ausbildung und können daher später keine Führungsrollen übernehmen.“

In Kooperation mit einer internationalen Koalition gab ECW 194.000 nigerianischen Kindern, die der Konflikt mit Boko Haram zu Vertriebenen gemacht hatte – davon 52% Mädchen – eine neue Chance auf Bildung. Insgesamt 2,49 Millionen US-Dollar aus Zusagen der USA flossen im Oktober 2018 in ein mehrjähriges Programm zur Schaffung eines sicheren Zugangs zu Bildung für Schüler*innen in den Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe im Nordosten Nigerias.

Im Rahmen des auf 12 Monate ausgelegten ECW-Programms im Bundesstaat Borno wurden Lehrmaterialien, dauerhafte Schulen und die Ausbildung von Lehrer*innen finanziert. Weil diese Mädchen und Jungen aufgrund von Gewalt, traumatischer Erlebnisse, Angst und Elend einem höheren Risiko ausgesetzt sind, psychische Probleme zu entwickeln, fördert das Programm zudem ihre psychosoziale Entwicklung.

Seit das UNICEF Early Child Development Center im Stadium Flüchtlingscamp im Jahr 2018 seine Pforten öffnete, freuen sich die Schüler*innen wieder auf das Lernen, so Adams. ”Man muss sie sich nur anschauen: Sie sind voller Begeisterung und Freude über das, was sie jetzt haben“, berichtet er.

Students at school in Maiduguri, Nigeria.
Students at school in Maiduguri, Nigeria.
Image: Global Citizen

Zurzeit unterrichtet die Schule 750 Kinder, in Zukunft soll ihre Zahl auf 1250 anwachsen. Und dafür benötigt man weitere Mittel.

“Sie [hochrangige Politiker*innen] müssen ihr Bestmögliches tun, um diesen Konflikt zu beenden“, erklärt Adams. “Ich wünsche mir, dass sich die Staats- und Regierungschefs zusammensetzen, das Problem diskutieren, intervenieren und nichtstaatliche Organisationen motivieren, ihr Engagement auszuweiten und die Schulen besser auszustatten.“

Global Citizen hilft ECW zurzeit dabei, sein selbst gestecktes Ziel zu erreichen, bis 2021 Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar zu mobilisieren. Eine Kampagne zielt dabei speziell auf Japan, Frankreich, die Europäische Union und die USA als Geberländer ab.
Nicola Fennel wird sich auch weiter engagieren, um Global Citizen beim Erreichen dieser Ziele zu helfen. Und sie ruft andere auf, sich ihr anzuschließen.

“Deine Stimme zählt“, sagt sie, “und dein Engagement bewirkt etwas“.