Wahlen in den Niederlanden sind wie ein Möbelstück von IKEA: viele Auswahlmöglichkeiten und beim ersten Blick auch ganz einfach zum Zusammenbauen, doch zu Hause dann doch zu komplex und eine Lebensaufgabe.

Die Wahl selbst ist relativ leicht zu verstehen: gewählt werden während der Parlamentswahl die 150 Abgeordneten, die in der Zweiten Kammer sitzen. Und diese Sitze werden gemäß den landesweiten Stimmenzahlen nach einem bestimmten Verfahren auf die Parteien verteilt. Soweit so gut.

Sobald die Stimmen allerdings abgegeben wurden, wird es haarig.

Es gab nämlich in den Niederlanden bisher noch nie eine Regierung, die von einer einzigen Partei gestellt wurde und auch dieses Jahr sieht es so aus, als ob es keiner einzigen Partei gelingen wird, mehr als 25 der 150 Sitze für sich zu gewinnen. Mehr als die Hälfte werden allerdings benötigt, um eine Regierung zu stellen, die keine Koalition mit einer oder mehreren Parteien eingehen muss. Wer geht da also mit wem zusammen?

Und dieses Jahr ist die Auswahl besonders groß: Es gibt mehr als 28 Parteien, die zur Wahl stehen. Während der letzten Wahl 2012 zogen 11 Parteien ins Parlament ein. Dann bräuchte man dieses Mal also mindestens fünf Parteien, die eine funktionierende Koalition miteinander bilden könnte. Soweit noch verständlich?

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Die Wahl findet am 15. März statt. Doch mit all der Verwirrung und Entwirrung, die normalerweise rund um die Parlamentswahl und die Parteien herrscht, kann man sich auf langes Warten einstellen: Im Durchschnitt dauert es in den Niederlanden 73 Tage, bis sich eine Koalition formt. 1977 hat es sogar ganze 208 Tage gedauert.

40% der Niederländer sind sich bis jetzt nicht sicher, wen sie wählen sollen. Am Mittwoch könnte also alles Mögliche passieren.

In der Zwischenzeit wäre es gut zu verstehen, wer denn dieses Jahr die Hauptparteien in der Wahl sind. Insgesamt kann man von drei Parteien ausgehen:

Partei für die Freiheit (PVV)

Wahlspruch: “Die Niederlande gehören uns”*

Nationalismus und Islamfeindlichkeit scheinen in letzter Zeit bei rechtspopulistischen Parteien rund um den Globus im Mittelpunkt zu stehen. So ist das auch bei der PVV - der Partei für die Freiheit. Der Parteivorsitzende ist der blonde Geert Wilders, der mit seiner Frisur einem jungen Draco Malfoy Konkurrenz macht. Seine politische Karriere startete er aber eigentlich bei einer anderen Partei, der VVD - der Volkspartei für Freiheit und Demokratie - doch zu denen kommen wir später. 2004 trat er jedoch aus der VVD aus und bildete eine Einmannfraktion mit dem Namen “Groep Wilders”. Anfang 2006 gründete er dann die PVV.

Überraschenderweise ist er noch immer - selbst nach 11 Jahren! - das einzige offizielle Mitglied der Partei, neben der Geert Wilders Foundation. Das scheint seiner Beliebtheit und der seiner Partei jedoch nicht zu schaden: kurz vor den Parlamentswahlen führt er die Umfragen an. Doch vieles weist darauf hin, dass sich die PVV auf absteigendem Ast befindet, so wie das meistens mit Wilders Partei kurz vor bzw. am Wahltag passiert. Aber hey! Wenn uns das Jahr 2016 eins gelehrt hat - man denke an Brexit und Trump - müssen Umfragen nicht unbedingt das Wahlergebnis widerspiegeln.

Wilders ist absoluter EU-Gegner. Eine Sache ist ihm jedoch noch wichtiger als gegen die EU zu wetter: die De-Islamisierung der Niederlande. In seinem einseitigen Wahlprogramm befürwortet er ein Verbot des Koran, eine Schließung aller Moscheen und eine Schließung aller niederländischen Grenzen. Gleichzeitig will er die Entwicklungshilfe komplett zurückfahren und keine Gelder für Innovation oder Kunst ausgeben. Wilders lebt mittlerweile unter 24-stündigem Polizeischutz, nachdem er letzten Dezember zur Diskriminierung aller Marokkaner aufgerufen hatte. Heute ist Wilders mehr auf Twitter als in der Öffentlichkeit unterwegs. Aber keine Sorge: Obwohl alles danach aussieht, als ob Wilders am Mittwoch die meisten Stimmen bekommen wird, wird er mit (fast) absoluter Sicherheit nicht der nächste Ministerpräsident werden. Mehr dazu später.

Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD)

Wahlspruch: “Sichere Niederlande”

Die VVD ist die derzeit amtierende Partei und nimmt die meisten Sitze im Parlament bzw. in der Zweiten Kammer ein. Vorsitzender der Partei ist Ministerpräsident Mark Rutte, der so ein bißchen an den Typen aus “The Hangover” erinnert, dem ein Zahn fehlt. Rutte fährt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Alles sieht danach aus, als ob er das Amt des Ministerpräsidenten weiter halten würde, egal welche Koalition er eingehen würde. Momentan liefert sich Rutte ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Wilders. Wahrscheinlich wird die VVD in der kommenden Parlamentswahl weniger Sitze gewinnen als zuvor, aber Rutte wird nichtsdestotrotz die Diskussionen rund eine neue liberale Regierung, die ohne Wilders auskommt, anführen.

Die VVD ist für die Europäische Union, möchte aber gleichzeitig auch Reformen sehen. Und auch wenn die VVD nicht in einem Satz mit der PVV genannt werden will, gibt es auch Parallelen: Rutte startete seinen Wahlkampf, indem er gegen Migranten in den Niederlanden wetterte, die sich nicht richtig integrieren (wollen). Er verlangt von ihnen, sich entweder „normal zu verhalten oder zu das Land zu verlassen”. Hört sich bekannt an?

Image: Ministerie van Buitenlandse Zaken

GrünLinks (GL)

Wahlspruch: “Zeit für Veränderung”

Wenn man Fan von Justin Trudeau ist, wird einem der Niederländer Jesse Klaver gefallen. Klaver ist es gelungen, die Wählerstimmen seiner Partei zu vervierfachen. Deshalb wird er gerne auch „Jessiah“ genannt. Wilders nennt Marokkaner „Abschaum“. Klaver hingegen hat marokkanische Wurzeln. Als sich andere Parteien immer mehr darum zu kümmern schienen, wie sie gegen Flüchtlinge und Migranten wettern können, war Klaver durchgehen dafür, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Die britische Zeitung Guardian berichtet, dass Klavers Wahlprogramm auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung ausgelegt ist und er für eine „politische Bewegung mit Einfühlungsvermögen steht“. Die Zeitung ist davon überzeugt, dass „das Wunderkind der nächste niederländische Ministerpräsident“ werden könnte. Mit gerade einmal 23 Jahren war Klaver der jüngste, der jemals in den Wirtschafts- und Sozialrat der Niederlande gewählt wurde. Jetzt, im Alter von 30, hofft er, dass er die GL zu ihrem besten Wahlergebnis führen kann, die die Partei je gesehen hat. Bisher war die GL nie Teil der Regierung. Das könnte sich jetzt jedoch schlagartig ändern.

Wie aber schon erwähnt, geht es nicht nur um diese drei Parteien: insgesamt haben wir 28 Köche, die den Parteienbrei verderben könnten. Hier deshalb 10 weitere Parteien, diei großen Einfluss haben könnten:

Democraten 66

Vorsitzender: Alexander Pechtold

Wahlspruch: “Stark zusammen, Möglichkeiten für jeden” *

Wichtig zu wissen: Sind für die EU; sind für eine Lockerung der Drogengesetze; würden in jeder linksgerichteten Koalition ein wichtiger Teil sein

Partei der Arbeit (PvdA)

Vorsitzender: Lodewijk Asscher

Wahlspruch: “Gemeinsam vorwärts”

Wichtig zu wissen: hat unter der Führung eines Kernphysikers in der letzten Koalition einen Platz sichern können; werden am Mittwoch wohl schlechter abschneiden

Christlich-Demokratischer Aufruf (CDA)

Vorsitzender: Sybrand van Haersma Buma

Wahlspruch: “Für ein Land, das wir weitergeben wollen”

Wichtig zu wissen: sozial-konservative Partei; befindet sich in der politischen Mitte; sehr einflussreich; werden ohne Zweifel auch in einer neuen Koalition involviert sein

Sozialistische Partei (SP)

Vorsitzender: Emile Roemer

Wahlspruch: “Die Macht ergreifen”

Wichtig zu wissen: Arbeiterpartei, die gegen Globalisierung ist; linksgerichtet; weniger fremdenfeindlich wie Geerd Wilders PVV

Partei für die Tiere (PvdD)

Vorsitzende: Marianne Thieme

Wahlspruch: “Für seine Ideale einsetzen”

Wichtig zu wissen: Tierrechte zuerst; Thieme hat einmal gegenüber einer niederländischen Zeitung geäußert, dass Adam und Eva Vegetarier waren

Christen Union (CU)

Vorsitzener: Gert-Jan Segers

Wahlspruch: “Hoffentlich realistisch”

Wichtig zu wissen: sind zwar überwiegend liberal, lehnen aber noch immer Abtreibungen ab

50Plus

Vorsitzender: Henk Krol

Wahlspruch: “Weil sich ältere Menschen nicht mehr alles gefallen lassen”

Wichtig zu wissen: will die Interessen aller Menschen über 50 vertreten; wollen das Rentenalter auf 65 runtersetzen

Reformierte Politische Partei (SGP)

Vorsitzender: Kees van de Staaij

Wahlspruch: “Für das Leben stimmen”

Wichtig zu wissen: die Partei für alle fundamentalen Christen; nehmen die Bibel sehr ernst; glauben, dass Frauen in der Politik keinen Platz haben

Denk-Bewegung

Vorsitzende: Tunahan Kuzu und Selçuk Öztürka

Wahlspruch: “Die Niederlande gehören uns allen”

Wichtig zu wissen: wird von Menschen mit Migrationshintergrund geleitet; wollen ein „Rassismus Register“ einführen, in welchem die Benutzung von Hassparolen jeden gewählten Parlamentsmitglieds festgehalten wird

Nicht-Wähler

Vorsitzender: Peter Plasman

Wahlspruch: “Wenn du nicht wählst, weil du nicht daran glaubst, dann bist du bei uns richtig”

Wichtig zu wissen: Partei für Wähler, die nicht wählen; versprechen, jeden Sitz, den sie gewinnen, nicht zu besetzen, damit die Interessen der unpolitischen Niederländer vertreten sind; Nichtwähler sollen für sie wählen, damit sie zwar den Sitz bekommen, aber nie anwesend sein werden: so einfach.

In den nächsten Tagen werden sich die meisten Unterhaltungen wohl um den Wahlausgang für Geert Wilders drehen. Wird er nach dem Brexit-Referendum und Trump einen weiteren Dominostein ins Spiel bringen, der Europa zum Schwanken bringen könnte?

Trotz des ganzen Medienrummels, ist es wichtig festzuhalten, dass Wilders - auch wenn seine Partei mehr Wählerstimmen als zuvor bekommen wird - nicht zu mehr Macht kommen wird. Selbst wenn er die meisten Wählerstimmen bekommen sollte, wird er nicht Teil einer neuen Koalition werden können: schon jetzt haben alle großen politischen Parteien gesagt, dass sie nicht mit ihm zusammenarbeiten werden.

Die Wahl in den Niederlanden ist die erste von drei großen Wahlen, die in diesem Jahr in Europa stattfinden und das Schicksal der Europäischen Union beeinflussen werden. Der Populismus wird am Mittwoch vielleicht nicht in den Niederlanden gewinnen, doch die Debatten, die nach den Wahlen in den Niederlanden in anderen Ländern geführt werden, werden ganz bestimmt dadurch beeinflusst werden. Dann geht es in die Fortsetzung: als nächstes kommen die Wahlen in Frankreich, Deutschland und eventuell auch in Italien. Wilders sagte kürzlich: „Vieler meiner Kollegen kopieren unsere Gedanken“. Damit nimmt Wilders Bezug darauf, dass viele Parteien in Europa von einer politischen Mitte in den Rechtspopulismus abzurutschen scheinen.

Europa erwartet noch einige wichtige Wahlen. Die Versuchung ist groß, sich gegen alles, was von außen kommt, abzuschotten. Doch dem darf man sich nicht hingeben. Die nächsten Tage werden also sehr bedeutend sein: Sie werden wahrscheinlich den Ton für die nächsten Monate in ganz Europa setzen.

*Wahlsprüche aller Parteien aus dem Niederländischen bzw. Englischen übersetzt

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Alles, was du über die Parlamentswahlen in den Niederlanden wissen musst

Ein Beitrag von James Hitchings-Hales