Von Miguel R. Ramos, Postdoktorand an der University of Oxford; Douglas Massey, Professor für Soziologie an der Princeton University; Matthew Bennett, Dozent für Sozialpolitik an der University of Birmingham und Miles Hewstone, emeritierter Professor für Sozialpsychologie und Public Policy an der University of Oxford.


Die ethnische und religiöse Zusammensetzung vieler moderner Gesellschaften hat sich durch die moderne Globalisierung enorm verändert.

Diese demografischen Veränderungen nehmen großen Einfluss auf viele Lebensbereiche, etwa das Arbeitsleben, die eigene Nachbarschaft, Schulen, sowie die ethnische und religiöse Zusammensetzung ganzer Nationen. Das stellt Gesellschaften und Individuen vor neue Herausforderungen, wenn sie sich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen und Überzeugungen auseinandersetzen müssen.

Diese Veränderungen haben viele positive Entwicklungen mit sich gebracht – wie das Schließen von Lücken auf dem Arbeitsmarkt und/oder etwa beim Wissensaustausch. Aber sie haben auch das Potenzial für neue soziale Spannungen und Spaltungen geschaffen, wie die umstrittene Politik des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Die soziale Vielfalt ist eine globale Herausforderung – und hat zu entscheidenden geopolitischen Ereignissen wie dem Brexit und der gespaltenen Natur der europäischen Geflüchtetenpolitik beigetragen.

Die Wissenschaft hat auf diese Entwicklungen mit wachsender Sorge reagiert. Viel wurde zu diesem Thema geschrieben, eine wichtige Frage bleibt dennoch unbeantwortet: Sind Menschen in der Lage, sich diesem beispiellosen Wandel der sozialen Vielfalt anzupassen?

Die Theorie der menschlichen Evolution und der sozialen Vielfalt geht übergreifend davon aus, dass das menschliche Gehirn eine Veranlagung zum Schutz der “eigenen“ Gruppen entwickelt hat. Denn das eigene Überleben hing grundsätzlich von der Zusammenarbeit mit Mitgliedern aus der eigenen Gruppe und demnach davon ab, die Gruppe vor potenziellen Gefahren zu schützen, die von Unbekannten ausgehen könnte. Daher wurden Fremde eher mit Vorsicht behandelt.

Diese menschliche Veranlagung ist vielleicht der Grund für folgende Ergebnisse aus der Forschung: In mehreren Fallstudien stellten Wissenschaftler*innen fest, dass das gegenseitige Vertrauen und der soziale Zusammenhalt in gemischten Gemeinschaften geringer ausgeprägt war. Zudem zeigten Personen, die mit unbekannten Mitgliedern einer anderen sozialen Gruppe interagieren sollten, eine erhöhte Stress- und Angstreaktion.

Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass diese Konditionierung, die eigene Gruppe zu schützen, eine Rolle bei der Bildung von Gruppen und den gesellschaftlichen Strukturen spielt, in denen wir heute leben. Wir glauben jedoch, dass diese menschliche Veranlagung mit sich schnell verändernden Gesellschaften unvereinbar sein könnte. Denn Menschen, die in modernen Städten leben, stehen zwangsläufig im ständigen Kontakt mit neuen Kulturen, Normen und Werten.

Die Kehrseite

Trotz dieser natürlichen Veranlagung sehen wir, dass Menschen dennoch im Verlauf der Zeit immer wieder den Kontakt zu “anderen” Gruppen eingehen.

Tatsächlich glauben Biolog*innen und Anthropolog*innen seit Langem, dass es dem Menschen besser ergangen ist als anderen Arten, weil der Kontakt mit "Fremden" eine Vielzahl von Vorteilen mit sich bringt, die nicht durch die Interaktion mit Mitgliedern der eigenen Gruppen hätten erreicht werden können. Beispiele dafür sind eine erhöhte genetische Vielfalt durch gruppenübergreifende Paarung, der Austausch von Wissen und Informationen und der Zugang zu neuen Ressourcen.

Auf dem ersten Blick scheint der Schutz unserer eigenen Gruppe im Widerspruch zu der Annäherung mit unbekannten Gruppen zu stehen, bei denen ungewiss ist, ob sie Freund oder Feind sind. Aber wir glauben, dass Menschen zwischen beiden Polen verhandeln lernen, wenn sie mit sozialer Vielfalt konfrontiert sind. Während die Tendenz, unsere eigene Gruppe zu schützen, beim ersten Kontakt mit Fremden überwiegt, beginnen Individuen mit der Zeit, ein zunehmendes Interesse an dem fremden Gegenüber zu entwickeln.

Denn Menschen lernen mit der Zeit, dass sie von diesem Austausch profitieren können. Aus diesen Gründen nehmen wir an, dass der erste Kontakt zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen zunächst eine Herausforderung ist, die mit der Zeit überwunden werden kann.

Um diese Annahmen zu überprüfen, haben wir eine großangelegte und ehrgeizige Studie durchgeführt. Dafür haben wie Datensätze aus 22 Jahren analysiert – genauer die öffentlich zugänglichen psychologischen, soziologischen und demographischen Studien der "World Values Survey“, der "European Social Survey“ und von “Latino Barometer“. Zusammengenommen umfassten diese drei Datensätze mehr als 338.000 Befragungen, die in 100 Ländern auf der ganzen Welt durchgeführt wurden.

Mit diesen Daten untersuchten wir die kurz- und langfristigen Auswirkungen der religiösen Vielfalt auf die wahrgenommene Lebensqualität von einzelner Menschen.

Fortschritte brauchen Zeit

Wie angenommen, konnten wir feststellen, dass Individuen kurzfristig negativ auf Veränderungen der religiösen Vielfalt reagieren und einen Rückgang ihrer Lebensqualität erleben. Aber im Laufe der Zeit passten sich die Befragten an die Veränderungen in der Gesellschaft an und begannen, die Vorteile der Vielfalt wahrzunehmen, wodurch die Lebensqualität wieder auf das ursprüngliche Niveau zurückkehrte.

Warum ist das so? Um dies zu beantworten, haben wir die psychologischen Mechanismen untersucht, die an diesen Prozessen beteiligt sind.

Wir fanden heraus, dass die anfänglichen negativen Auswirkungen durch einen Vertrauensverlust zustande kamen, den Menschen in Ländern mit einer wachsenden religiösen Vielfalt gegenüber anderen Menschen verzeichneten. Aber nach einem Zeitraum von vier bis acht Jahren begannen die Studienteilnehmer*innen zu berichten, dass sie sich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft austauschen würden. Dies hatte einen positiven Einfluss hinsichtlich ihres Vertrauens in ihre Mitmenschen und verbesserte letztendlich ihre Lebensqualität. Wichtig ist, dass der anfänglich negative Effekt, bei dem Vielfalt mit einem Vertrauensverlust gleichgesetzt wurde, durch den positiven Austausch mit Mitgliedern verschiedener Gruppen vollständig aufgehoben wurde.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Mensch trotz anfänglicher Berührungsängste gegenüber dem sozial Fremden lernen kann, mit der sozialen Vielfalt umzugehen. Sie zeigen auch, dass wenn wir uns nur auf die kurzfristigen Effekte konzentrieren, wir zu einer ungenauen, pessimistischen Schlussfolgerung über die Auswirkungen sozialer Vielfalt kommen können. Eine Zunahme der sozialen Vielfalt bietet den Mitgliedern verschiedener Gruppen die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, sich gegenseitig kennenzulernen und zusammenzuarbeiten.

Sobald dieser positive Effekt einsetzt, weichen die ursprünglich wahrgenommenen Herausforderungen der langfristig positiven Wirkung der sozialen Vielfalt.


Dieser Artikel wurde in dem Magazin “The Conversation” veröffentlicht. Der Originalartikel ist hier zu finden.

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