Warum das wichtig ist
Über hundert Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft später stehen Entschädigungszahlungen an ehemalige deutsche Kolonien in Afrika aus. Kolonial- und Kriegsverbrechen hemmen die nachhaltige Entwicklung von betroffenen Staaten und Ländern. Ihre Aufarbeitung ist daher entscheidend, um die nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 zu erreichen. Werde hier mit uns aktiv, um Chancengleichheit und Gesundheit in der Welt zu fördern.

Dieser Artikel wurde am 10.12.2021 aktualisiert.

Namibia hat ein Entschädigungsangebot der Bundesregierung nach den Verhandlungen letztes Jahr zur Aufarbeitung der Kolonialverbrechen Deutschlands abgelehnt. Der namibische Präsident Hage Geingob bezeichnete das Angebot als “nicht akzeptabel” und als “eine Beleidigung für Namibia”. Das berichtete die namibische Zeitung The Namibian mit Bezug auf eine Rede Geingobs Anfang Juni. Deutschland bot Namibia eine Entschädigungszahlung von zehn Millionen Euro an.

Als Reaktion auf das Angebot betonte Präsident Geingob, Namibia werde bei den Verhandlungen standhaft bleiben. "Wir bleiben beim Abschluss dieser Schlüsselmission konsequent", so Geingob auf Twitter. Er wies seinen Sondervermittler dazu an, die seit fünf Jahren anhaltenden Verhandlungen mit der Bundesregierung fortzusetzen.

Völkermord: Deutsche Kolonialverbrechen in Namibia

Die im Verhältnis zu den Kolonialverbrechen Deutschlands in Namibia gering erscheinende Summe lässt in Namibia Zweifel über die Ernsthaftigkeit der deutschen Absichten aufkommen. Das ehemalige Deutsche Kaiserreich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia – damals Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Zwischen 1904 und 1908 verübten deutsche Soldaten einen Genozid an den beheimateten Volksgruppen Herero und Nama, die sich gegen die Deutsche Kolonialherrschaft zur Wehr setzten.

Die Deutsche Besatzungsmacht ging Historiker*innen zufolge besonders brutal gegen den Aufstand vor, vergiftete Brunnen und zerstörte Nahrungsmittel. Im Zuge des Vernichtungskriegs wurden laut Schätzungen etwa 65.000 der damals in Namibia lebenden 80.000 Herero und mindestens 10.000 der 20.000 Nama getötet. Damit verübte die deutscheKolonialmacht den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Namibia: Der lange Kampf um die Unabhängigkeit

1914 hatte sich Deutschland nach Großbritannien und Frankreich das drittgrößte Kolonialreich einverleibt. Mit Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zerfall des Deutschen Kaiserreichs musste Deutschland 1919 auf alle Kolonien verzichten. Im Anschluss wurden diese unter den Siegermächten aufgeteilt. Das heutige Namibia, damals Südwestafrika, kam unter südafrikanische Verwaltung. In den sechziger Jahren führte das Apartheid-Regime mit dem sogenannten Homeland-System eine strenge Trennung von Land in Südwestafrika ein. Außerhalb der zugewiesenen Territorien, wie etwa dem Herero oder Nama-Land, waren dauerhafte Aufenthalte verboten.

Ab 1960 startete mit Gründung der South West Africa People’s Organisation (SWAPO) die Unabhängigkeitsbewegung Namibiasbegleitet von Gewalt. Über viele Jahrzehnte lieferten sich die SWAPO und südafrikanische Truppen blutige Auseinandersetzungen und Konflikte. Nach langjähriger Verhandlung und Interventionen der Vereinten Nationen (UN) fanden 1989 die ersten demokratischen Wahlen statt. Die bis heute in Namibia regierende SWAPO sicherte sich die absolute Mehrheit. Bei der verfassunggebenden Versammlung erhielt Namibia seinen heutigen Namen nach der Wüste Namib. Am 21. März 1990 erklärte Namibia seine Unabhängigkeit.

Namibia heute: Weiße Elite trifft auf hohe Arbeitslosigkeit

30 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung ist Namibia heute wie kaum ein anderes Land der Welt von großer Ungleichheit geprägt. So war Namibia lange Zeit das Land mit den größten Einkommensunterschieden weltweit. Heute belegt es hinter Lesotho, Südafrika, Haiti und Botswana den fünften Platz. Ein Grund dafür könnte Angaben zufolge sein, dass der Großteil des namibischen Bruttoinlandsprodukts mit dem Bergbau erwirtschaftet wird, der mit geringem Personalaufwand viel Geld abwirft. Zudem leidet Namibia unter einer hohen Arbeitslosenquote, vor allem unter jungen Schwarzen Namibier*innen. Diejenigen, die sich einen vergleichsweise europäischen Lebensstandard in Namibia leisten können, sind vorwiegend Weiß oder gehören der kleineren neuen Schwarzen Mittelschicht an.

Zudem lebt ein Großteil der namibischen Bevölkerung weiterhin in den Regionen der ehemaligen Homelands im Norden Namibias von der landwirtschaftlichen Selbstversorgung und unter ärmlichen Verhältnissen.

Regierung Namibias fordert Entschuldigung und “Reparationen”

Im Rahmen der aktuellen Verhandlungen um die Wiedergutmachung Deutschlands für begangene Kolonialverbrechen fordert die Regierung Namibias eine umfassende Entschuldigung – sowie weitere Zusagen über Entwicklungshilfen. Zudem besteht Präsident Geingob auf die Bezeichnung der Entschädigungszahlungen als “Reparationen. Die Bundesregierung sprach in diesem Zusammenhang bisher von einer "Heilung der Wunden in der gemeinsamen Geschichte", wodurch das Schuldbekenntnis rechtlich nicht genau geklärt wird. 

Im Sommer 2021 erkannte Deutschland den Völkermord an, entschuldigte sich bei der Bevölkerung Namibias und will nun 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten. "Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten", sagte der damalige Außenminister Heiko Maas.

Doch nicht alle sind zufrieden mit dem Ergebnis. Teile der Herero bestehen darauf, dass die Bunderegierung Reparationszahlungen leisten muss. Doch hätte sich Deutschland dazu bereit erklärt, dann wäre es zu einem Präsenzfall für andere ehemalige Kolonialmächte geworden, die sehr teuer für Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und weitere Länder geworden wäre. 

Dabei ist eins nach wie vor Fakt: Das Leben vieler junger Namibier*innen wurde durch das brutale Vorgehen der Kolonialmächte für immer geprägt und ist für viele kommende Generationen spürbar. Und genau deswegen ist es wichtig, dass die deutsche Regierung sich ihrer Schuld bewusst wird und zu Reparaturzahlungen zusagt.

Editorial

Gerechtigkeit fordern

Deutsche Kolonialverbrechen: Namibia lehnt Entschädigungsangebot der Bundesregierung ab

Ein Beitrag von Pia Gralki