Von Nicky Milne

PETORCA, Chile, 3. Juni — Während Catalina Espinoza auf einem Trampelpfad in der chilenischen Provinz Petorca entlang läuft, zeigt sie auf einen kargen Hügel, der mit trockenen Sträuchern und Kakteen übersät ist – und dann auf die nahegelegene ausgetrocknete Wasserstelle.

Die Stadt Petorca, drei Autostunden nördlich der Hauptstadt Santiago, liegt im Herzen der boomenden Avocado-Industrie Chiles, umgeben von endlosen Reihen tausender Avocadobäume.

Durch seine großflächige Produktion ist Chile zum drittgrößten Exporteur der beliebten Frucht geworden. Aber die begehrte Beute hat einen hohen Preis, wie Einwohner*innen beklagen: überall trocknen die Wasserstellen aus.

Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) werden jährlich etwa 70 Prozent des verbrauchten Süßwassers in der Landwirtschaft eingesetzt.

Wege zu entwickeln, den Wasserverbrauch der Landwirtschaft zu reduzieren und gleichzeitig zu gewährleisten, dass genügend Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung bereitgestellt werden kann, ist daher entscheidend, um den Hunger in der Welt einzudämmen – vor allem in Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels – sagen Lebensmittelexpert*innen.

Aber der globale Lebensmittelhandel – der auch der Handel mit dem Wasser ist, das zur Herstellung der jeweiligen Produkte benötigt wird – müsse durch die zunehmende Wasserknappheit neu strukturiert werden, betonen die Expert*innen.

Die Bewohner*innen und kleinen Avocado-Bauern in Petorca sagen, dass die Ankunft großer kommerzieller Avocado-Unternehmen vor mehr als einem Jahrzehnt die vorherrschende Wasserknappheit verstärkt hat.

Das verschärft die Spannungen vor Ort – und führt teilweise sogar zu Morddrohungen.

“Die Menschen hier möchten nicht, dass unsere Avocados exportiert werden, denn wenn sie unsere Früchte exportieren, exportieren sie auch unser Wasser“, sagt Espinoza, die am Fuße tausender Avocado-Plantagen lebt, die über große Wasserspeicher versorgt werden.

Da die lokalen Wasserquellen durch zunehmende Dürren und die Avocado-Bewässerung austrocknen, sind viele Dorfbewohner*innen darauf angewiesen, dass ihnen ein Lastwagen zweimal in der Woche Wasser bringt.

Graffiti-Schriftzüge in den Straßen Petorcas lauten: “Stiel kein Wasser“.

“Es gibt Menschen, die ihre Avocadopflanzen jeden Tag wässern, während wir Wasser von Lastwagen trinken müssen, von dem wir nicht einmal wissen, ob es sicher ist“, sagte Espinoza.

Der Kleinbauer Gerardo Orrego, der Walnüsse und Oliven anbaut, sagt, dass einige Bauern aufgrund des Wassermangels gezwungen waren, die Region zu verlassen.

"Kleinbauern können hier nicht überleben", sagte er. "Es gibt nichts, was die Leute tun können. Viele Familien sind weg.“

Die weltweit steigende Nachfrage nach Avocados in Europa, den Vereinigten Staaten und China hat zu einer Verschärfung der Konflikte zwischen den Bewohner*innen Petorcas und den großen Avocado-Produzenten über Wasserrechte geführt – vor allem bei der Frage, wie das Wasser verwaltet und der Zugang dazu geregelt werden sollte.

Keiner der großen Avocado-Produzenten der Region, mit Ausnahme eines lokalen Herstellers, ließ sich auf ein Interview mit der Thomson Reuters Foundation ein, um über die Situation in Petorca zu sprechen.

Auf der ganzen Welt nehmen die Kämpfe um das knapper werdende Wasser zu. Das kalifornische Pacific Institute, das Engpässe bei der Wasserversorgung aufzeichnet, dokumentierte einen Anstieg von etwa 16 Konflikten in den 90er Jahren, die auf Wasserknappheit zurückzuführen sind, auf etwa 73 solcher Fälle allein in den vergangenen fünf Jahren.

Wassergesetze

Nach den chilenischen Wasserbestimmungen von 1981 kann Wasser im Land als Handelsware genutzt werden.

Das Gesetz erlaubt es Einzelpersonen und privaten Unternehmen – einschließlich Avocado-Produzenten – bei der Regierung Wasser-Zertifikate zu beantragen.

Mit einem solchen Zertifikat ist es den Inhabern dann gestattet, eine bestimmte Wassermenge zu entnehmen und zu nutzen.

Lucas Palacios, Chiles stellvertretender Minister für öffentliche Arbeiten, betonte, dass Wasser für den menschlichen Gebrauch in Chile kostenlos und gesetzlich garantiert sei.
“Wasser ist nicht privatisiert“, sondern wird reguliert, sagte er der Thomson Reuters Foundation während eines Interviews in seinem Büro in Santiago.

Weiterhin sagte er, dass ihm die “unmenschlichen Zustände“ in Petorca bekannt seien und dass die Regierung daran arbeite, das Trinkwassersystem der Region zu verbessern, damit die Einwohner*innen nicht mehr auf das Wasser angewiesen sein müssen, das ihnen per Lastwagen geliefert wird.

“Aber das wird einige Zeit dauern. Es wird Jahre dauern“, sagte er.
Und “es ist wichtig, anzumerken, dass die Situation in Petorca sehr extrem“ im Vergleich zu anderen Regionen Chiles ist, fügte er hinzu.

'Grünes Gold'

Laut dem Bürgermeister von Petorca, Gustavo Valdenegro, wurden die Avocadobäume in der Region “willkürlich" gepflanzt, mit wenigen Einschränkungen und Kontrollen.
Währenddessen hat der Klimawandel zu weniger Niederschlägen geführt und Dürreperioden verschärft.

Als ab 2006 die großen Avocado-Produzenten auftauchten, galt das von ihnen angebaute 'grüne Gold' zunächst als Hoffnungsträger für Petorca, sagte der zum dritten Mal wiedergewählte Bürgermeister.

"Es sollte das Allheilmittel sein. Wir würden ein besseres Leben und bessere Jobs haben", sagte er.

Aber “gleichzeitig litten wir an einer enormen Dürre und von da begann der Konflikt zwischen der Gemeinde und den großen Firmen“, sagte er.

Daniel Bosch, Großanbauer und Einwohner Petorcas, betont, dass die Region vor Beginn des Avocados-Anbaus im großen Stil vor mehr als zehn Jahren noch zu den ärmsten Gegenden Chiles zählte.

Die Avocado-Industrie hätte laut Bosch das bitter nötige Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze in die Provinz gebracht, und wie er findet, “die Gegend um einiges aufgewertet.“

Aber die Bewohner*innen der Städte der Region sind der Auffassung, dass vor allem die Avocado-Produzenten reicher geworden sind. Denn viele der von ihnen geschaffenen Jobs sind kurzfristige Anstellungen und bringen nicht wie erhofft feste Arbeitsplätze.

Morddrohungen

Da die Wasserressourcen in Petorca immer knapper werden, nehmen die Vorwürfe wegen Wasserdiebstahl gegen die Großbauern zu.

Laut der chilenischen Umweltorganisation MODATIMA, die sich für den Schutz von Wasser, Landbesitz und Umwelt einsetzt, verbrauchen die großen Avocado-Bauern mehr Wasser, als ihnen zusteht.

Rodrigo Mundaca, Agrarwissenschaftler bei MODATIMA, berichtete, dass einige Farmen ihre Plantagen stillschweigend immer näher in Richtung Flussbett erweiterten und illegal Flusswasser entnehmen würden.

Andere bohren nicht genehmigte Grundwasserbrunnen, die immer tiefer und tiefer nach dem knappen Wasser suchen, während die Brunnen von Bewohner*innen – die es sich nicht leisten können, so tief zu graben – versiegen würden, sagte er.

Einige der großen Avocado-Bauern legen laut MODATIMA sogar illegale Wasserleitungen an, um sicherzustellen, dass sie genügend Wasser für ihre Bewässerung haben.

Eine Studie der chilenischen Wasserbehörde Direccion General de Aguas aus dem Jahr 2011 ergab anhand von Satellitenbildern, dass mindestens 65 solcher illegaler unterirdischer Leitungen und Systeme, die Wasser aus Flüssen zu den Avocadoplantagen befördern, von privaten Unternehmen auf Petorca betrieben werden.

“In Chile wird Wasser nicht als Menschenrecht betrachtet“, sagte Mundaca.
Während er früher noch in den umliegenden Flüssen schwimmen konnte, fließt seit zwölf Jahren kaum noch Wasser in ihnen, sagte er.

Gleichzeitig “haben sich die Hügel in blühende Landschaften verwandelt. Sie sind von dem Wassermangel unberührt“, fügt er hinzu.

Das Kampagnenteam von MODATIMA hat den Wasserdiebstahl und die mangelnde Versorgung in Petorca öffentlich angeprangert und sogar vor das lokale Gericht und in die internationalen Medien gebracht.

2017 kam es dadurch zu Morddrohungen, sagt Mundaca.

“Ich wurde zweimal telefonisch bedroht“, fügt er hinzu. Seitdem gehe er nicht mehr alleine vor die Tür, um sich zu schützen.

Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Front Line Defenders haben die Drohungen bestätigt.

Die Thomson Reuters Foundation versuchte, Kontakt zu Cabilfrut – dem größten Exporteur von “Hass Avocados” in Petorca – und Chiles Hass Avocado Lobby aufzunehmen, aber beide weigerten sich, über die Situation in Petorca zu sprechen.

Der chilenische Avocado-Produzent Baika S.A hat ebenfalls nicht auf E-Mail-Anfragen reagiert.

Bosch, Avocado-Großanbauer, sagte, die Regierung solle große Wassertanks in Petorca installieren, um mehr Wasser sammeln und speichern zu können. Dadurch könnte die vorherrschende Wasserknappheit vor allem in den trockenen Sommermonaten überbrückt werden.

Avocado-Bauern würden bereits ähnliche Sammelbehälter einsetzen, um das Wasser in trockenen Zeiten zu ihren Pflanzen zu leiten.

"Ich besitze Speicher von rund 50.000 Kubikmetern", sagte Bosch. "Im Winter fülle ich sie auf. Überschüssiges Wasser behalte und nutze ich, wie jetzt im Sommer, wenn ich es brauche."

Die Landwirte in der Region fordern die Regierung seit 50 Jahren auf, zusätzliche Wasserspeicher zum Wohle der Gemeinschaft zu bauen.

Die Reaktion der Regierung

Die neue chilenische Regierung, die im März 2018 in Kraft trat, sagt, dass sie die Bemühungen zur Überwachung und Regulierung der Wassernutzung verstärkt hätte und dafür Satellitenbilder und Drohnen einsetzt.

Das hätte geholfen, den unbefugten Wasserverbrauch einzudämmen, sagte Palacios. "Nie zuvor wurden so viele Masseninspektionen wie in der Region Petorca durchgeführt", sagte Palacios.

“Das hat entscheidend zur Abschreckung und zur Vorbeugung illegaler [Wasser-]Gewinnung und Brunnen beigetragen."

Im vergangenen Jahr führte das Ministerium für öffentliche Arbeiten 167 Inspektionen durch, die bisher zu neun Geldbußen gegen Unternehmen wegen illegaler Wassernutzung geführt haben. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, gegen die Entscheidungen Berufung einzulegen.

Aber Mundaca, Mitarbeiter der MODATIMA, sagte, dass die Geldstrafen wenig Einfluss nehmen, da die Unternehmen sie als kleines Übel ansehen, um mit ihren Geschäften fortfahren zu können.

“Wir sind nicht gegen den Avocado-Anbau. Wir wollen, dass Avocados die Märkte in Europa und den Vereinigten Staaten erreichen", sagte er.

"Aber [der Anbau von] Avocados sollten nicht auf Kosten einer systematischen Verletzung des Menschenrechts auf Wasser gehen“, betonte er.

(Dieser Beitrag stammt von Nicky Milne und Anastasia Moloney, überarbeitet von Laurie Goering und Belinda Goldsmith. Bitte die “Thomson Reuters Foundation” als Quelle angeben, wenn dieser Artikel zitiert/geteilt wird. Die Thomson Reuters Foundation berichtet über Themen wie humanitäre Hilfe, Rechte von Frauen- und LGTB+-Personen, Menschenhandel, Klimawandel und vielem mehr auf news.trust.org.)

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