Warum das wichtig ist
Das Global Goal 16 der Vereinten Nationen (UN) zielt auf Gerechtigkeit für alle Menschen ab. Doch Sinti*zze und Rom*nja, ethnische Minderheiten in Europa, erleben regelmäßig Diskriminierung. Künstler*innen verheimlichen der Öffentlichkeit ihre Wurzeln, um keine Nachteile zu erleiden und Menschenrechtler*innen kämpfen fast unbemerkt für ihre Rechte. Hier kannst du mit uns aktiv werden und dich für mehr Gerechtigkeit und andere Themen stark machen. 

19 Prozent der Deutschen haben eindeutige negative Einstellungen gegen Sinti*zze und Rom*nja. Das zeigt eine Studie, die der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes beauftragt haben. Gegenüber keiner anderen Gruppe zeigte sich "ein so durchgehendes Bild der Ablehnung". Die Kommission Antiziganismus stellte kürzlich einen Bericht zur Problematik vor. Das Fazit: Antiziganismus sei ein "massives gesamtgesellschaftliches Problem in Deutschland".

Untergruppen der Minderheit der Rom*nja 
Der Begriff Sinti*zze und Rom*nja löst das als diskriminierend empfundene Z-Wort ab – eine Fremdbezeichnung für Angehörige der romanessprechenden Gesamtminderheit der Rom*nja. Der Begriff Sinti*zze steht für eine Untergruppe der Rom*nja. Doch es gibt noch viele weitere Untergruppen.

Zwar genießen Debatten um Rassismus und Diskriminierung seit einiger Zeit wachsende Aufmerksamkeit. Doch um das Thema Antiziganismus ist es vergleichsweise still. Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen sind in Medien nur selten vertreten. Berühmte Menschen aus der Kultur verheimlichen ihren Hintergrund, da sie noch immer Stigmatisierung und Diskriminierung erfahren.

Wir stellen dir neun Rom*nja und Sinti*zze vor, deren Namen wir uns einprägen sollten – oder von denen wir wissen sollten, dass sie der Minderheit angehören:

Gianni Jovanovic

Als Sohn einer Roma-Familie wurde er mit 14 Jahren verheiratet, als er 16 war, kam sein erster Sohn zur Welt. Etwa vier Jahre später outete er sich als homosexuell und trennte sich von seiner Ehefrau. Heute setzt er sich für die Rechte von Rom*nja und Sinti*zze sowie Angehörigen der LGBTQI+-Community ein. Das Thema intersektionale Diskriminierung – also das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsformen – liegt ihm besonders am Herzen und er gründete die Initiative "Queer Roma". Das Buch "Nachts, wenn Schatten aus dunklen Ecken kommen" von Katja Behrens erzählt seine Geschichte.

Gilda Horvath

Gilda Horvath engagiert sich als Journalistin gegen Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja. Sie hat Wurzeln in Deutschland und Ungarn und ist in Wien aufgewachsen. 2017 gründete sie den Romblog, auf dem sie Nachrichten fernab von mainstream-stereotypen Narrativen bereitstellt. Im Februar veröffentlichte sie bei der Deutschen Welle eine dreisprachige Portraitserie über Angehörige der Minderheit. Für die feministische Zeitschrift Anschläge verfasste sie eine Antirassismus-Kolumne. Als Obfrau der Organisation Lovara-Roma Österreich engagiert sie sich für die Erhaltung und Förderung der Kultur der Lovara-Roma, zu der sie ebenfalls angehört.

Charlie Chaplin 

Dass auch Charlie Chaplin Vertreter der Minderheit ist, war lange unbekannt. Der Künstler schwieg bis zu seinem Tod. Doch dann tauchte ein Brief eines Romas an Chaplin auf, in dem es darum ging, dass Chaplin in einem Wohnwagen in einer Roma-Gemeinde geboren sei.

Seine Enkelin Carmen Chaplin, die als Regisseurin und Produzentin tätig ist, veröffentlichte später einen Film über die Wurzeln und das Erbe der Komiker-Legende: "Charlie Chaplin, a Man of the World". Carmen Chaplin erklärte gegenüber Variety, ihr Großvater sei sich einer Roma-Wurzeln sehr bewusst gewesen. "Er erzählte meinem Vater und seinen anderen Kindern davon. Es war etwas, auf das er stolz war, das aber oft übersehen wurde".

Petra Rosenberg

Petra Rosenberg ist eine Berliner Diplom-Sozialpädagogin, Wissenschaftlerin, Autorin sowie Politikerin. Als leitende Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg führt sie das Engagement ihres Vaters und in diesem Amt Vorgängers Otto Rosenberg fort. Er überlebte nationalsozialistische Konzentrationslager und zählt zu den wichtigsten Mitbegründern der Bürgerrechtsbewegung der Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland.

Romani Rose

Seit 1982 ist Romani Rose Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma – eine Interessensvertretung, die sich für die Bedürfnisse von Sinti*zze und Rom*nja mit deutscher Staatsbürgerschaft einsetzt. Seine Schwerpunkte sind Gleichberechtigung, Schutz vor Diskriminierung und Aufklärung über den Porajmos, den Völkermord an den europäischen Rom*nja.

13 Angehörige der Familie Rose wurden in Konzentrationslagern ermordet. Sein Vater Oskar und sein Onkel Vinzenz Rose überlebten den Porajmos. Vinzenz Rose begründete in den frühen 1970er Jahren die Bürgerrechtsbewegung der Sinti*zze und Rom*nja.

Marianne Rosenberg 

Marianne Rosenberg ist nicht nur Musikerin (z.B. “Er gehört zu mir”), sondern auch die Tochter von Otto Rosenberg und damit die Schwester der bereits erwähnten Petra Rosenberg. In einem Interview mit der Zeit sagte Rosenberg, ihr Vater habe sie angehalten, nicht über ihre Wurzeln zu sprechen. "Ich glaube, alle, die Auschwitz überlebt haben, dachten, das kann noch einmal geschehen. Man spürte es auf den Familienfeiern", erzählte sie. Doch die Familie brach ihr Schweigen. Ihr Vater und ihre Schwester engagierten sich im Verband Deutscher Sinti und Roma Berlin. Marianne Rosenberg unterstützt die politische Arbeit, indem sie ihre Bekanntheit nutzt und öffentlich über die Diskriminierung der Sinti*zze und Rom*nja spricht.

Alfreda "Noncia" Markowska

Im Jahr 1914 ermordeten deutsche Soldaten fast ihre ganze Familie. Noncia wurde deportiert, doch ihr gelang die Flucht. In der Stadt Stalowa Wola in Polen begann sie eine Tätigkeit als Bahnarbeiterin. Eines Tages übergab ihr eine Mutter, die nach Auschwitz deportiert werden sollte, ihren Sohn. Daraufhin suchte Noncia nach weiteren zurückgebliebenen Kindern oder rettete sie aus den Zügen. Sie nahm sie heimlich bei sich auf, organisierte ihnen gefälschte Ausweise und vermittelte sie an Pflegefamilien. Sie rettete damit circa 50 Kinder und Jugendliche. 

Elena Gorolová

Schon bei der Geburt ihres Sohnes wussten Elena Gorolová und ihr Mann, dass sie sich ein zweites Kind wünschen. Doch der sie behandelnde Arzt sterilisierte sie bei der Geburt heimlich. Gorolová war zu diesem Zeitpunkt erst 21 Jahre alt. Hunderte weitere Rom*nja teilen Gorolovás Schicksal. 

Ihre Organisation klärt über die Praktik auf und verhilft Betroffenen zu Entschädigung. Gorolová sorgte dafür, dass in ganz Europa gegen die Zwangssterilisierung demonstriert wurde und sprach vor dem UN-Ausschuss. 2009 sprach Tschechien eine offizielle Entschuldigung aus. Ein erster Gesetzentwurf für die Entschädigung folgte im März 2021.

Sido 

Rapper Sido verliebt sich im Film "Eine Braut kommt selten allein" in eine Romnja. "Besonders lustig finde ich, dass ich im Film einen Deutschen spiele, obwohl ich selber Sinti-Wurzeln habe – aber das sieht man mir ja nicht an", sagte er in einem Interview mit der Berliner Morgenpost. 

Auf die Frage, wie seine Mutter mit dem Thema umgeht, sagte er: "Sie redet schon viel darüber. Frauen werden in der Familie meiner Mutter traditionell nicht so gut behandelt, und sie würden gerne freier sein, als sie sind – das ist eine Kulturfrage." Der Film wurde vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gelobt, da er mit Stereotypen "spielt und sie so negiert".

Wenn auch du in einer Welt leben möchtest, in der Menschen aufgrund ihrer Herkunft nicht diskriminiert, sondern gerecht und fair behandelt werden, dann werde hier mit uns aktiv. 

Editorial

Gerechtigkeit fordern

Von Aktivismus bis Kultur: 9 Sinti*zze und Rom*nja, die du kennen solltest

Ein Beitrag von Tanja Koch