Gewidmet allen Frauen,
die sich nicht beirren lassen und alleine reisen,
die noch alleine reisen werden,
und denen, die niemals alleine reisen konnten,
auch wenn sie es wollten.
– Priska Seisenbacher, Im Pamir
Ein elegantes und doch schroffes Hochgebirge, das das Zuhause von herzlichen Menschen darstellt – das ist der Pamir. Hier bauen sie unter harschen Bedingungen ihre Jurten (Anm. der Redaktion: traditionelles Zelt der Nomaden in Zentralasien) auf und meistern ihr Leben. Im Winter fallen die Temperaturen auf bis zu minus 40 Grad, dafür ist es in den Jurten kuschelig warm und das gesamte Leben findet auf wenigen Quadratmetern statt.
Mit dieser Region hat sich Priska Seisenbacher beschäftigt. Die gebürtige Österreicherin reiste alleine durch den Pamir, ein Hochgebirge, das sich über Kirgistan, China, Tadschikistan und Afghanistan erstreckt. Ihre Fotografien zeigen die Kontraste der Region, das Leben der Menschen und insbesondere die Frauen vor Ort.
Wir haben mit Priska Seisenbacher über ihre Reise durch den Pamir, ihre Fotos und die aktuelle politische Lage in der Region gesprochen.
Wie hast du dich Nachrichten über die Entwicklungen in Afghanistan wahrgenommen und was erwartest du für die Region im Pamir?
Priska Seisenbacher: Ich habe viel über die Machtübernahme der Taliban auf Facebook mitbekommen, da ich in Kontakt mit meinen Freund*innen in Ishkashim (Anm. der Redaktion: Grenzstadt Afghanistans zu Tadschikistan) stehe.
Ahmed (Anm. der Redaktion: Name geändert), ein Freund von mir, der auch im Buch vorkommt, studiert in Kabul und stand mir helfend als Übersetzer zur Seite. Nach der Machtübernahme hat er mich gebeten, ihm einen Brief zu schreiben, in dem ich dafür bürge, dass er mein Guide war und mit mir zusammengearbeitet hat. Das würde er dann als Beweis nutzen, um zu zeigen, dass er besonders gefährdet ist und Schutz benötigt, da er einerseits zu den Ismailiten gehört und andererseits mit Westler*innen wie mich in Kontakt steht.
Von den Jurtensiedlungen im Pamir höre ich natürlich nicht viel, da sie sehr von den (sozialen) Medien abgeschnitten sind, aber vor allem Ahmed hat mir in den ersten Wochen erzählt, dass er sich wie ein Gefangener fühlt. Als Teil der liberalen Schicht Afghanistans ist er besonders gefährdet. Und auch die Frauen wurden komplett um ihren Handlungsspielraum betrogen und dürfen nicht mehr arbeiten.
Im Buch sieht man Bilder von Plätzen, die ich vor zwei Jahren gemacht habe. Unter anderem ist auch ein Beamter auf einem Foto zu sehen. Diese Orte sind nun verwüstet und kaputt und ich frage mich, was aus dem Beamten geworden ist, denn er wird sicherlich auf der Liste der Taliban gestanden haben.
Für mich ist es kein unbekannter Fleck Erde, sondern ein Ort, den ich mit Menschen verbinde, die mir nahe stehen.
Reisen auf dem Pferd, Vertrauen in die Karawanenführer*innen, körperliche Beschwerden aufgrund des Höhenunterschieds: Auf welche Risiken muss man sich einlassen, wenn man im Pamir reisen möchte?
Speziell in Afghanistan, wo es in dieser Region wirklich keine Straßen gibt, muss man viel Vertrauen in das Pferd setzen. Zudem sollte man schon schwindelfrei sein, denn es gibt nur enge Trampelpfade zu den Jurtensiedlungen, die sich auf über 4.000 Metern Höhe befinden – da gerät man schnell an seine körperlichen Grenzen.
Die Reise kommt auch mit vielen Entbehrungen. Du wirst mit Reisedurchfall konfrontiert, wirst körperlich schwach sein, bis zu acht Stunden auf dem Pferd sitzen und das hat Auswirkungen auf deine Reaktionsfähigkeit.
Gibt es zwischen den einzelnen Jurtensiedlungen Kontakt? Wie stehen sie zueinander?
Die Jurtensiedlungen stehen im regen Kontakt, weil beispielsweise ganz viele Hochzeiten zwischen ihnen stattfinden. Die Kirgis*innen besuchen sich gegenseitig.
Bei der Hochzeit, zu der auch ich eingeladen war, kamen die Gäste von anderen Jurtensiedungen mit Pferden angeritten. Zu solchen speziellen Anlässen reisen auch die Frauen an, ansonsten ist der Bewegungsspielraum für sie kleiner.
Afghanische Händler ziehen von Siedlung zu Siedlung, um ihre Ware feil zu bieten. Es gibt nicht viel Tourismus. Tourismus an sich könnte auch eher zerstörerisch sein, wenn er nicht nachhaltig ist und die Tourist*innen sich nicht aufrichtig für den Lebensstil der Menschen vor Ort interessieren und diesen auch annehmen.
Was sind die größten Unterschiede, die du zwischen den Pamiris in Tadschikistan sowie Afghanistan und den Kirgis*innen erfahren konntest?
Der Lebensstandard hängt sehr davon ab, in welchem Nationalstaat man lebt. Die Pamiris sind sich sehr ähnlich in ihren Überzeugungen, weil sie Ismailiten sind, Bildung schätzen und eine verhältnismäßig liberale Kultur leben.
Ich habe Manizha kennengelernt. Die damals 16-Jährige hat gemeinsam mit ihrer Mutter und den weiblichen Familienmitgliedern ein Gästehaus betrieben und davon geträumt, in die Großstadt zu ziehen und Tourismus zu studieren. Sie wird da sehr von ihrer Familie unterstützt.
Im Kontrast dazu hast du Afghanistan. Da geht es um das Überleben und darum, die Landwirtschaft oder Viehwirtschaft am Laufen zu halten. Da herrscht aufgrund der wenigen Möglichkeiten ein sehr traditionelles Leben.
Du berichtest davon, dass du viele Momente der Solidarität mit den Menschen im Pamir erlebt hast. Kannst du einige dieser Momente mit uns teilen?
Zum Stichwort Solidarität fällt mir vor allem die Frauensolidarität ein, denn die ist ganz besonders wichtig als alleinreisende Frau. Ich befand mich in einer Marshrutka (Anm. der Redaktion: ein Sammeltaxi) an der kirgisisch-chinesischen Grenze und LKW-Fahrer wollten unbedingt, dass ich mit ihnen zusammen Alkohol trinke und mit zu ihnen komme. Das war eine beklemmende Situation. Eine weitere Frau war als Passagierin dabei und es war für sie klar, dass sie auf mich zugeht, mich unter ihre Fittiche nimmt und ich bei ihr schlafen würde.
Das hat mir gezeigt, dass bei brenzligen Situationen auch immer Frauen vor Ort sein werden, auf die ich mich ein Stück weit verlassen kann.
Wurdest du als weiße Reisende jeweils wie die Frauen vor Ort behandelt oder gab es da Unterschiede? Wie haben sich diese geäußert
Ich wurde vor allem nicht unter der Brille “Frau” gesehen, sondern “Westlerin” und “Gast”. Dadurch war ich den strikten Geschlechterrollen nicht unterworfen und das hat einen großen Unterschied gemacht. So durfte ich bei den Händlern mit Platz nehmen und hatte mehr Rechte als die lokalen Frauen. Gleichzeitig erhielt ich aber auch einen intimen Einblick in die Frauenwelt und hatte als alleinreisende Frau den Vorteil, sowohl in der Männer- als auch der Frauenwelt willkommen zu sein.
Ein wirklich spannender Vergleich zu meinen ersten Afghanistan-Reisen: Damals bin ich mit meinem Ex-Partner gereist und wenn es Sachen zu entscheiden gab, wurden die Worte immer an den Mann gerichtet. Das passiert allerdings mitunter auch in Europa.
Zu zweit bleibst du in deiner Komfortzone. Ich hatte nicht den gleichen Zugang zu den Frauen und wurde ganz anders wahrgenommen. Als ich alleine da war, war die Verbindung zu den Frauen vor Ort viel intensiver. Sie gingen auf mich zu und ich hatte viel mehr Interaktionen mit ihnen.
Wie bist du mit den unterschiedlichen Geschlechterrollen umgegangen?
Ein wichtiger Punkt für mich ist, da keinen anmaßenden Blick drauf zu werfen. Wir alle sind durch kulturelle, wirtschaftliche Aspekte gefangen und nur weil es in anderen gesellschaftlichen Systemen unterschiedlich ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es sich um Missstände handelt.
Für mich sind die Frauen mündige Personen, die viel Sexismus erleben und deren Handlungsspielraum kleiner ist als der der Männer. Es ist aber teilweise für beide Geschlechter einschränkend. Beispielsweise entscheiden bei der Hochzeit weder der Mann noch die Frau, wen sie heiraten. Der Umstand, dass die Kirgisinnen die Schule nicht besuchen, ist eine große Einschränkung.
Ich denke, hier ist es wichtig, ein gutes Mittelmaß zu finden und diese Umstände weder zu romantisieren, noch Schwarzmalerei zu betreiben.
Welche Tipps würdest du Frauen geben, die alleine verreisen möchten, sich aber noch unsicher fühlen?
Ich habe mich besonders entmündigt gefühlt, als ich die Reise das erste Mal alleine antreten wollte und viele Leute sagten: “Alleine kannst du das nicht machen”. Da wurde ich auf das Frausein reduziert und die Leute wollten mich beschützen.
Wir sollten uns aber nicht beirren lassen! Klar ist, dass man Widerständen ausgesetzt ist, wenn man als Frau eine Reise alleine antritt. Da darf man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich finde es wichtig, sich kritisch mit den Verhältnissen vor Ort auseinanderzusetzen, Risiken abzuwägen und dann Entscheidungen zu treffen.
Was wünschst du dir für die Frauen von Afghanistan?
Ich wünsche mir, dass sie die Stärke, die sie besitzen, auch weiterhin unter Beweis stellen können und dass die Unterdrückung nicht soweit geht, dass die Fortschritte der letzten 20 Jahre komplett zunichte gemacht werden.
Die afghanischen Frauen, die wir in den Berichterstattungen sehen, die kämpfen und sich ihre Rechte nicht nehmen lassen wollen, nehmen größte Risiken in Kauf. Das bewundere ich sehr. Sie verdienen unsere volle Anerkennung.
Der Kampf für mehr Gleichberechtigung ist noch lange nicht vorbei. Doch wir können mithelfen, indem wir die Geschichten der Frauen im Pamir lesen und die afghanische Gesellschaft hier unterstützen. Hier kannst du Priska auf Instagram folgen.