Von Emma Batha

LONDON, 23. März (Thomson Reuters Foundation) — Die Taliban haben ihr Versprechen, Zehntausenden von Schülerinnen in Afghanistan die Rückkehr zum Unterricht zu ermöglichen, gebrochen.

Die meisten älteren Mädchen sind seit August 2021, als die Taliban das Land eroberten, nicht mehr zur Schule gegangen.   

Das Bildungsministerium hatte angekündigt, dass Mädchen ab der 6. Klasse, also im Alter von etwa 13 Jahren, am 23. März dieses Jahres wieder in die Schule gehen dürfen, wenn die Schulen nach der langen Winterpause landesweit wieder geöffnet werden.

Doch als die Schülerinnen zum Unterricht kamen, wurden sie abrupt aufgefordert, wieder nach Hause zu gehen.

Die Taliban-Regierung erklärte, die Schulen würden geschlossen bleiben, bis ein Plan für ihre Wiedereröffnung im Einklang mit dem islamischen Recht ausgearbeitet sei.

Die Taliban hatten während ihrer letzten Regierungszeit von 1996 bis 2001 die Ausbildung von Frauen und die meisten Berufe für Frauen verboten.

Die internationale Gemeinschaft hat die Bildung von Mädchen zu einer zentralen Forderung für jede künftige Anerkennung der Taliban-Regierung gemacht.

Im vergangenen Jahr durften alle Jungen und jüngeren Mädchen ihre Ausbildung wieder aufnehmen. 

Was ist der springende Punkt?

Unter den Taliban gibt es Meinungsverschiedenheiten über die Bildung von Mädchen.

Die Gruppe hat wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nach dem islamischen Recht unterrichtet werden müssten, ohne genau zu sagen, was das bedeutet.

Die BBC berichtete, dass die Entscheidung, die Mädchen nach Hause zu schicken, mit ihrer Schuluniform zusammenhänge.

Der Lehrplan, der Transport von Mädchen zur Schule und die Geschlechtertrennung sind weitere Themen, die seit der Machtübernahme durch die Taliban zur Diskussion stehen.

Ein Bildungsbeamter sagte Mitte März, dass Mädchen bei ihrer Rückkehr in die Schule getrennt von Jungen und nur von Lehrerinnen unterrichtet werden sollten.

In einigen ländlichen Gebieten, in denen es an weiblichen Lehrkräften mangelt, sollen auch ältere Lehrer Mädchen unterrichten dürfen.

Was haben die Mädchen seit August gemacht?

Die meisten waren zu Hause, aber einige haben auch online weiter gelernt.

Einige wenige Mädchengymnasien konnten im vergangenen Jahr wieder öffnen. Auch die privaten Universitäten in Kabul haben ihren Betrieb fortgesetzt. Fotos in den sozialen Medien zeigen Klassenzimmer mit Vorhängen in der Mitte, die männliche und weibliche Student*innen voneinander trennen.

Wie hat sich die Bildung von Mädchen seit der letzten Taliban-Herrschaft verändert?

Die Zahl der Schulbesuche stieg rapide an, als das Verbot der Bildung für Mädchen 2001 nach dem Sturz des früheren Taliban-Regimes durch die internationalen Streitkräfte aufgehoben wurde.

Im Jahr 2018 waren mehr als 3,6 Millionen Mädchen eingeschrieben – mehr als 2,5 Millionen davon in Grundschulen und über eine Million in der Sekundarstufe.

Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF stieg die Zahl der Mädchen, die eine weiterführende Schule besuchen, von sechs Prozent im Jahr 2003 auf fast 40 Prozent im Jahr 2018.

Auch die Zahl der Studierenden an Universitäten stieg sprunghaft an, vor der Rückkehr der Taliban waren es Zehntausende. Einige studierten, um Ärzt*innen, Anwält*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen zu werden. 

Im Jahr 2015 führte die Universität Kabul sogar einen Masterstudiengang für Gender- und Frauenstudien ein.

Dennoch weist das Land eine der größten geschlechtsspezifischen Diskrepanzen im Bildungsbereich auf.

Laut UNICEF waren 60 Prozent der 3,7 Millionen afghanischen Kinder, die vor der Machtübernahme durch die Taliban nicht zur Schule gingen, Mädchen.

Nach Angaben von Human Rights Watch können nur 37 Prozent der Mädchen im jugendlichen Alter gegenüber 66 Prozent der Jungen lesen und schreiben.

Nach Angaben der Regierung sind ein Drittel der Mädchen im Alter von 18 Jahren verheiratet und fast neun Prozent im Alter von 15 Jahren.

Sind die geschlossenen Schulen das einzige Hindernis?

Selbst wenn die Mädchen wieder in die Oberschulen zurückkehren dürfen, werden sie immer noch auf Hürden stoßen.

Der seit Langem bestehende Mangel an Lehrerinnen dürfte sich noch verschärfen, nachdem viele Fachkräfte nach der Machtergreifung der Taliban aus dem Land geflohen sind.

Laut UNICEF waren 2016 nur ein Drittel der Lehrkräfte weiblich und in ländlichen Gebieten und oberhalb der Primarstufe war der Anteil noch viel geringer.

Da nur zehn bis 15 Prozent der Lehrerinnen voll qualifiziert sind, stellt sich auch die Frage nach dem Bildungsstandard, den Mädchen erhalten.

Ein weiteres Problem sind die mangelnden Karrieremöglichkeiten. Da die Taliban Frauen faktisch von den meisten Arbeitsplätzen ausschließen, sind Familien möglicherweise weniger geneigt, ihre Töchter ausbilden zu lassen.

Es wird auch befürchtet, dass sich der Schulunterricht für Mädchen zunehmend auf die religiöse Erziehung konzentrieren könnte. 

Laut Human Rights Watch sind Taliban-Beamte in mehreren Provinzen bereits dabei, weltliche Fächer aus dem Lehrplan zu streichen und den Religionsunterricht auszuweiten.

In ländlichen Gebieten sind Mädchen mit zusätzlichen Hindernissen konfrontiert. Während in städtischen Gebieten vor der Machtübernahme der Taliban 70 Prozent der Mädchen die Grundschule besuchten, waren es in ländlichen Gebieten nur 40 Prozent, so das Center for Global Development.

Der Unterschied zwischen Jungen in der Stadt und auf dem Land ist wesentlich geringer.

Traditionelle Einstellungen gegenüber Mädchen sowie Armut, Sicherheitsbedenken und Transportschwierigkeiten sind häufige Gründe, warum Familien in ländlichen Gebieten ihre Töchter von der Schule fernhalten.

Ein Verbot der Taliban für gemischte Schulen könnte das Geschlechtergefälle in einigen Provinzen, in denen nur einer von zehn Lehrkräften weiblich ist, noch verschärfen.

Können die Taliban die Uhr zurückdrehen?

Expert*innen sagen, dass die Taliban die Macht unter ganz anderen Umständen übernommen haben als vor zwei Jahrzehnten.

Im Jahr 1996 sei das Land durch einen Bürgerkrieg verwüstet worden, eine ganze Generation war mit wenig oder komplett ohne Zugang zu Bildung aufgewachsen und die meisten gebildeten Afghan*innen hatten das Land verlassen.

Seitdem haben die Geber*innen Milliarden in die Bildung gesteckt, wobei die Verbesserung der Bildung und der Beschäftigungsmöglichkeiten für Mädchen oft als Erfolg hervorgehoben werden.

Auch viele ehemalige Geflüchtete kehrten nach 2001 zurück, nachdem sie im Ausland ausgebildet worden waren und ein breiteres Weltbild kennengelernt hatten.

Laut einer Umfrage der Asia Foundation, einer internationalen Entwicklungsorganisation, aus dem Jahr 2019, ist die Unterstützung für die Bildung von Mädchen in Afghanistan nach wie vor groß: 87 Prozent befürworten sie.

Doch selbst wenn die Taliban ihr Versprechen einlösen, Mädchen studieren zu lassen, hat sich die Grundphilosophie der Kämpfer nach Ansicht von Expert*innen nicht geändert, sodass es unwahrscheinlich ist, dass Frauen in der Lage sein werden, Karriere zu machen und sich am öffentlichen Leben zu beteiligen. 

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