Hinweis: Aufgrund der Brutalität der Angriffe und der Schwere der damit einhergehenden Verletzungen, können die folgenden Bilder in diesem Artikel verstörend wirken. 

Es ist ein ganz normaler Tag. Die Einkäufe müssen erledigt werden. Eier, Milch, ein paar weitere Lebensmittel. Der Weg bis zum Supermarkt ist nicht weit, nur ein paar Straßen. Es ist mitten am Tag. Reshma zieht sich ihre Schuhe an und macht sich auf den Weg. Als sie den Bürgersteig entlang schlendert, sieht sie von weitem zwei Motorräder die Straße entlang gefahren. Sie fahren schnell, aber nicht auffällig.
Plötzlich werden die Motorräder langsamer. Und als sie auf Reshmas Höhe sind, zieht einer der Fahrer plötzlich eine Flasche hervor, öffnet sie in sekundenschnelle und schüttet den Inhalt Reshma ins Gesicht. Dann rasen beide Räder davon.
Reshma kann sich vor Schock nicht bewegen. Im ersten Augenblick fühlt es sich komisch kühl an - dann, ganz plötzlich, fühlt es sich an als ob ihr Gesicht Feuer fängt und schmilzt.

Und genau so ist es: ihr Gesicht schmolz. Was als harmloser Einkauf begann, hat Reshmas ganzes Leben auf grausame Weise verändert. Für immer. 

Image: Zoriah


Zugetragen hat dieser Tag sich vor zwei Jahren. Reshma Qureshis Schwager und ein paar seiner Freunde attackierten sie mit purer Schwefelsäure, hochgradig ätzend, die Reshmas Gesicht fast vollständig verätzte. Der Grund: ein Familienstreit. Reshmas Schwester hatte sich mit ihrem Ehemann verworfen, was der Bruder des Mannes zum Anlass nahm, Resham zu 'bestrafen'. Bei dem Angriff verlor Reshma ein Auge, ihr Gesicht ist stark vernarbt, auch einige Stellen an ihrem Unterarm trugen Narben davon, sie lebt seitdem unter regelmäßigen Schmerzen.

Statistiken sprechen von weltweit 1500 Säureattacken pro Jahr. Die Dunkelziffer hingegen ist unbekannt, man geht allerdings davon aus, dass mehrere hunderte Attacken pro Jahr nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Tausende von Mädchen und Frauen, deren Leben in Bruchteilen von Sekunden zerstört werden.
Die Angriffe sind immer gezielt und in ihrer Grausamkeit genau so geplant, um die Opfer zu verletzen, zu entstellen oder aber qualvoll zu töten.

Am rasantesten verbreitet sind diese Attacken in Ländern wie Kolumbien, Uganda, Pakistan, Indien, Nepal, Bangladesch aber auch Kambodscha, da hier Säuren wie Schwefelsäure und Salzsäure leicht einfach zu kaufen sind. Manchmal schon für weniger als einen US-Dollar. 

Image: Zoriah

„Ein Säureattacken-Angriff ist die 'einfachste' und brutalste Art, eine solche Straftat zu begehen. Sie erfordert nur eine leichte Bewegung aus dem Handgelenk und die hochgradig ätzende Flüssigkeit findet die Haut des Opfers. Eine Attacke, die ihre Opfer physisch und psychisch entstellt zurücklässt", sagt Ria Sharma, Gründerin der Organisation 'Make Love Not Scars' in Neu-Delhi.

75 - 80% aller Opfer von Säureattacken sind Frauen und Mädchen, Täter hingegen sind fast immer Männer. Und ihre Gründe absurd: zurückgewiesene Heiratsanträge, Familienstreitigkeiten, Neid, Eifersucht.

Säuren haben die Fähigkeit, sich durch die Haut zu fressen, je nach Schwere sogar durch Knorpel und Knochen. Sie lassen Haare in wenigen Sekunden schmelzen. und abgesehen davon, dass nicht in jeder Situation Wasser zur Verfügung steht, um die Säure abzuwaschen, hilft es manchmal nicht mal, da es Säurearten gibt, denen Wasser nicht wirklich viel anhaben kann. Die Opfer tragen also fast ausnahmslose immer Schäden davon. Und während die physische Zerstörung manchmal durch (oft langwierige und teure) Operationen ansatzweise wieder hergestellt werden kann, sitzen die psychischen Schäden viel tiefer und gehen oft nicht mehr weg.

Die harsche Realität allerdings ist, dass die meisten Angriffe gut geplant sind, die Säure enorm ätzend ist und die äußeren Schäden so extrem sind, dass die Opfer für den Rest ihres Lebens mit einem stark entstellten Aussehen leben müssen. Gesicht, Kopf, Arme, Körper, manchmal bleibt nichts verschont und es grenzt an ein Wunder, dass die Opfer diesen Angriff überhaupt überleben. 

Hinzu kommt das soziale Stigma, dass diese Frauen ab dem Zeitpunkt mit sich tragen. Gerade in Kulturen, in denen solche Attacken häufig vorkommen wissen die meisten, dass der Hintergrund ein Mann war. Viele wollen damit nichts zu tun haben und wenden sich entsprechend von den Frauen ab.

Früher war Reshma Qureshi eine aufgeweckte Studentin. Nach der Attacke zog sie sich komplett zurück, auch weil sie von der Gesellschaft geächtet wurde. 

Zudem waren die Verletzungen so stark, dass Reshma dringend operative Hilfe brauchte, die ihre Familie sich allerdings nicht leisten konnte. Die Regierung versprach Reshma zwar eine Entschädigungszahlung, das Geld hat Reshma jedoch nie erhalten. Die ganze Familie sammelte alles Ersparte zusammen und warb um Kredite bei der Bank, aber das Geld reichte einfach nicht.

Als letzte Möglichkeit und mit Hilfe der Organisation 'Make Love Not Scars' versuchte Reshma, die Summe durch Crowdfunding zusammen zu bringen. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: in der ersten Runde sammelte Reshma knapp 9000 US-Dollar zusammen - genug Geld, um die ersten fünf Operationen zu bezahlen. 

Und langsam aber sicher freundete Reshma sich mit ihrem 'neuen' Leben an und kam zu der Erkenntnis, dass ihr Leben nicht vorbei war: „Ich erinnere mich, dass ich früher Opfer von Säureattacken gesehen hatte, aber nie gedacht hab, dass mir das eines Tages einmal selbst zustoßen könnte. Ich hab mich schrecklich gefühlt, jeden einzelnen Tag, bis ich Ria kennenlernte. Seitdem fühle ich mich langsam besser. Ich glaube, dank ihrer Hilfe habe ich inzwischen viele Schritte gemacht."

In einem ihrer Videos bricht Reshma mit dem Tabu und spricht offen über die Attacke und die Zeit danach. Reshma hat sich vorgenommen, dass ihre Erfahrung zu etwas gut sein soll und damit begonnen, sich aktiv für ein Verkaufsverbot von Säure von Indien einzusetzen.  

Heute ist sie ein Internetstar in der Youtube-Videoserie 'Beauty Tips by Reshma', in der sie nicht nur Schminktipps gibt, sondern dazu aufruft, sich ihrem Vorhaben anzuschließen und den Verkauf von Säure in Indien ein für alle mal zu stoppen. Reshma hat dafür eine Petition gestartet, die sich mit genau diesem Aufruf an die indische Regierung wendet. Reshmas Slogan: es dauert 2 Minuten, um Rouge aufzutragen, aber nur 3 Sekunden, ein Gesicht mit Säure zu verätzen. #endacidsale.

Das Video wurde inzwischen über 1 Million Mal angesehen und hat in den sozialen Medien den Hashtag #EndAcidSale geschaffen. Reshma ist zum Gesicht einer internationalen Kampagne geworden.
Mehr noch, Reshma ist zur Hoffnung für viele junge Frauen und Mädchen geworden, sowohl für Opfer von Säureattacken als auch solche, die tagtäglich in der Angst vor einer Attacken leben, allein aufgrund der Tatsache, dass Säure in ihrem Land noch frei käuflich ist. 

Menschen wie Reshma ist es zu verdanken, dass die internationale Gemeinschaft auf das Thema aufmerksam wurde und sich nun gemeinsam dafür einsetzt. Und auch ein erster Erfolg wurde bereits erzielt: in Lucknow, einem Staat in Uttar Pradesh in Indien wurde der Verkauf von Säure bereits verboten. 


Auch Reshma selbst hat einige persönliche Erfolge erzielt. Inzwischen hat sie mehrere Operationen hinter sich und eine weitere große steht bevor, in der ihr Augenlid wiederhergestellt werden soll.    

Und: Reshma hat es inzwischen auf die internationale Fashionbühne geschafft und wird an der diesjährigen New Yorker Fashion Week teilnehmen. In Zusammenarbeit mit FTL MODA und 'Global Disability' wird erwartet, dass sie bei einer Modenschau laufen wird und die Gelegenheit nutzt, die weltweite Aufmerksamkeit weiter auf das Thema aufmerksam zu machen.

Menschen wie Reshma Qureshi sind eine unglaubliche Inspiration und sagenhaftes Vorbild für Willenskraft und die Hoffnung, dass man weder sich selbst noch diese Welt aufgeben darf. 

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Gerechtigkeit fordern

Das ist Reshmas Kampf gegen grausame Säureattacken

Ein Beitrag von Garima Bakshi