Anmerkung der Redaktion: Am 24. Juni wurde bekannt, dass der Oberste Gerichtshof der USA das Urteil Roe v. Wade gekippt hat. Hier erfährst du, wie du dich für das Recht auf Abtreibung und für das Recht aller Menschen weltweit auf Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit einsetzen kannst. 

Als die kenianische Hausfrau Ann im September letzten Jahres erfuhr, dass sie schwanger war, wusste sie sofort, dass sie das Kind nicht bekommen konnte.

Die 27-Jährige war jahrelang von häuslicher Gewalt betroffen: Ihr Mann schlug sie regelmäßig, verweigerte ihr das Geld für die Ernährung ihrer drei Kinder und hatte sexuelle Beziehungen zu anderen Frauen.

Ann – deren Name geändert wurde, um die Identität ihrer Kinder zu schützen – wollte nicht noch ein weiteres Kind in ihre Welt der Gewalt und Armut bringen, so eine ihrer engen Freund*innen gegenüber der Thomson Reuters Foundation.

Doch in einem Land, in dem der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gesetzlich stark eingeschränkt ist und diejenigen, die sich dem Eingriff unterziehen, stigmatisiert werden, war Ann gezwungen, sich heimlich Abtreibungspillen von einem nicht zugelassenen Apotheker zu besorgen. Nur wenige Tage später war sie tot.

"Ich hörte mitten in der Nacht Schreie aus ihrem Haus und fand sie blutend auf dem Boden liegend", sagt einer von Anns Freunden, der ebenfalls in Korogocho, einer informellen Siedlung im Nordosten der Stadt Nairobis, lebt und darum bat, anonym zu bleiben. 

"Wir brachten sie ins Krankenhaus, aber es gab eine lange Schlange und sie starb, während wir auf die Behandlung warteten", so der Freund.

Angesichts der Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof der USA das bahnbrechende Urteil Roe v. Wade, das die Abtreibung landesweit legalisierte, aufgehoben hat, warnen Befürworter*innen von Abtreibungsrechten aus der ganzen Welt vor den potenziell verheerenden Auswirkungen.

"Frauen haben und werden immer abtreiben, unabhängig vom Gesetz", sagt Evelyne Opondo, leitende Regionaldirektorin für Afrika beim Center for Reproductive Rights (CRR).

"Wenn das Gesetz gekippt wird, bedeutet das lediglich das Ende sicherer Abtreibungen", so Opondo weiter. "Frauen werden stattdessen unsichere Abtreibungen machen, wie sie von Quacksalbern in Hinterhofkliniken durchgeführt werden. Am stärksten werden die Armen und Ausgegrenzten davon betroffen sein.” 

Christlich-Konservative und viele republikanische Amtsinhaber versuchen seit Langem, Roe v. Wade zu kippen. Zahlreiche republikanisch geführte Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren unter Missachtung des Präzedenzfalls Roe verschiedene Abtreibungsbeschränkungen erlassen.

Schwangerschaftsabbrüche in Hinterhöfen 

Laut CRR ist es in 26 Ländern weltweit komplett verboten abzutreiben, beispielsweise in El Salvador, Honduras, Ägypten, Madagaskar und den Philippinen.

In weiteren 50 Ländern ist eine Abtreibung nur dann erlaubt, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder Inzest entstanden ist.

In mehr als drei Vierteln aller Länder stehen Abtreibungen in irgendeiner Form unter Strafe. Dazu gehören lange Gefängnisstrafen oder hohe Geldstrafen für Personen, die den Eingriff vornehmen oder dabei helfen.

Gesundheitsexpert*innen zufolge führen solche Einschränkungen dazu, dass Frauen und Mädchen verzweifelte Maßnahmen ergreifen, um eine ungeplante Schwangerschaft zu beenden. Die reichen von der Verwendung von Kleiderbügeln oder dem Trinken von Bleichmittel bis hin zum Besuch von Hinterhofkliniken, die von ungeschulten Ärzt*innen betrieben werden.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) finden weltweit jedes Jahr mehr als 25 Millionen unsichere Abtreibungen statt, an denen etwa 39.000 Frauen und Mädchen sterben und Millionen weitere mit Komplikationen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

Die meisten dieser Todesfälle ereignen sich unter armen Frauen, die in Ländern mit niedrigem Einkommen leben – mehr als 60 Prozent davon in Afrika und 30 Prozent in Asien, so die WHO.

In Kenia, wo Schwangerschaftsabbrüche nur erlaubt sind, wenn die Gesundheit oder das Leben der Frau gefährdet ist, sowie in Fällen von Vergewaltigung, sterben laut CRR jährlich mehr als 2.500 Frauen und Mädchen durch unsichere Abtreibungen. Das entspricht durchschnittlich sieben Todesfällen pro Tag. 

Eine Studie des örtlichen Gesundheitsministeriums zeigt, dass 2012 in Kenia fast eine halbe Million Abtreibungen, die meisten davon unsicher, durchgeführt wurden. Jede vierte Frau erlitt dabei Komplikationen wie hohes Fieber, Sepsis, Schock oder Organversagen. 

Die Studie ergab auch, dass verpfuschte Abtreibungen das öffentliche kenianische Gesundheitssystem zusätzlich belasten und Kosten in Höhe von fünf Millionen US-Dollar (rund 4,8 Millionen Euro) verursachen.

"All das, was wir hier in Kenia sehen, werden sie auch in den USA erleben, wenn das Urteil gekippt wird", sagt Nelly Munyasia, Geschäftsführerin des Reproductive Health Network Kenia.

Wegen einer Fehlgeburt in Haft 

In El Salvador, wo Schwangerschaftsabbrüche seit 1998 unter allen Umständen strafbar sind, selbst bei Vergewaltigung, Inzest, fötalen Anomalien oder wenn die Gesundheit der Frau in Gefahr ist, werden zahlreiche Frauen wegen Abtreibung ins Gefängnis gesteckt.

Im Jahr 2008 war Cinthia Rodriguez im achten Monat schwanger, als sie nach einer Totgeburt ein Krankenhaus aufsuchte, um eine Notversorgung zu erhalten. Stattdessen wurde sie mit Handschellen an das Krankenhausbett gefesselt, verhaftet, wegen schweren Mordes und zu 30 Jahren Haft verurteilt.

"Man trauert um den Verlust seines Kindes, und wenn man dann eines Verbrechens angeklagt wird, das man nicht begangen hat, ist das wirklich hart", sagt Rodriguez und fügt hinzu, dass sie als "Babymörderin" bezeichnet und von anderen Häftlingen körperlich angegriffen wurde.

Sie wurde erst nach fast elf Jahren Haft entlassen.

Fünf weitere lateinamerikanische Länder haben ebenfalls ein totales Abtreibungsverbot, aber El Salvador sticht durch seine Verurteilungs- und Gefängnisstrafen besonders hervor. 

In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden mehr als 180 Frauen wegen Straftaten im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen inhaftiert, so der gemeinnützige Verein Citizen Group for the Decriminalization of Abortion.

"Abtreibung sollte nicht kriminalisiert werden", sagt Rodriguez. "Jede Frau kennt ihre eigene Situation und die Wahrheit über das, was sie durchgemacht hat."

Kampagnen, die den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch verbieten oder einschränken, haben laut Rodriguez auch dazu geführt, dass viele Mädchen im Teenageralter die Schule wegen ungeplanter Schwangerschaften abbrechen müssen.

In einigen Ländern wie Tansania und Sierra Leone wurde schwangeren Mädchen und jungen Müttern in der Vergangenheit sogar der Schulbesuch verboten. 

Diese Politik, die nicht nur Stigmatisierung und Scham fördert, sondern auch zu Diskriminierung führt, kann sich auch auf andere auswirken, sagen Abtreibungsrechtler*innen.

In vielen Ländern werden Kliniken für sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie Frauenrechtler*innen von allen Seiten und sogar von den Behörden angegriffen.

In Polen, wo Abtreibung nur bei Vergewaltigung, Inzest und Gefahr für das Leben der Frau erlaubt ist, werden Abtreibungsbefürworter*innen bedroht, verfolgt und mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren bestraft.

Marta Lempart, eine 43-jährige Anwältin und Anführerin von Strajk Kobiet (Frauenstreik), einer Bewegung, die sich gegen eine Verschärfung der Abtreibungsbestimmungen wendet, sagt, dass ihr Protest gegen das polnische Abtreibungsgesetz mit hohen persönlichen Kosten verbunden war.

"Ich musste mein Haus verlassen, weil meine Adresse veröffentlicht wurde und es gab mindestens einen Mordanschlag auf mich", sagt Lempart und fügt hinzu, dass bei ihr als Folge dieser Verfolgung eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde.

(Berichterstattung von Nita Bhalla @nitabhalla in Nairobi und Anastasia Moloney in Bogota; zusätzliche Berichterstattung von Joanna Gill in Brüssel. Geschrieben von Nita Bhalla; Redaktion: Helen Popper. Bitte verwenden Sie den Namen der Thomson Reuters Foundation, den wohltätigen Arm von Thomson Reuters, der über das Leben von Menschen auf der ganzen Welt berichtet, die um ein freies oder faires Leben kämpfen. Besuchen Sie http://news.trust.org)

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