Wenn sich gestern eine Naturkatastrophe zugetragen hätte, bei der hunderttausende Menschen umgekommen wären, Häuser in sich zusammengefallen und Kinder von ihren Eltern getrennt worden wären und 14 Millionen Menschen kein Zuhause mehr hätten, dann würde der Rest der Welt sofort handeln. Dann würde es in allen Nachrichten stehen.
Wäre die Syrien-Krise eine Naturkatastrophe, dann sähen die Schlagzeilen wahrscheinlich so aus:

Verheerende Katastrophe: Über 200.000 Tote, 14 Millionen Menschen obdachlos

Viele würden die Schlagzeile und den Artikel lesen, tief in die Tasche greifen und den Betroffenen großzügige Spenden zukommen lassen. Aber bei der Syrien-Krise ist das nicht der Fall, oder zumindest nicht in dem benötigten Umfang. Und wir wissen alle, warum das so ist. Die Syrien-Krise wurde von Menschen verursacht. Denn Fakt ist: bei Not, die durch Kriege entstanden sind, fühlen die meisten Menschen sich weniger angesprochen aktiv zu werden, als bei Not, die durch Naturkatastrophen entstanden ist.
Der Bürgerkrieg in Syrien wütet nun schon seit über 4 Jahren. Anfang Juni zählte man fast 4 Millionen syrische Flüchtlinge — das entspricht der Einwohnerzahl von Los Angeles— die nun mehr fern ihrer Heimat sind und nicht wissen, ob sie jemals wieder zu ihrem alten Leben zurückkehren können. 

Image: World Vision

So weit weg Krieg sich für uns anfühlen mag, so nah sollten uns die Menschen sein, denn deren Sorgen sind menschliche Sorgen: Stell dir vor, du bist ein syrisches Kind, das ein Jahr nach Beginn der Syrien-Krise im August 2012 aus seiner Heimat fliehen musste. Du hast inzwischen über 1000 Nächte in fremden Betten geschlafen; 1000 Nachmittage nicht mit deinem besten Freund gespielt; 1000 Nachmittage ohne dein Haustier verbracht; 1000 Tage lang dein Spielzeug vermisst, deine Nachbarn, deine Lieblingsfernsehsendung, das Zwitschern der Vögel, die im dem Baum in deinem Vorgarten saßen, das Fahrrad, dass du die Straße rauf und runter gefahren bist.

Stell dir vor, du wärst die Mutter oder der Vater des Kindes. Das sind 1000 Nächte, in denen du um die Sicherheit deines Kindes bangst; dich fragst, wie du es ernähren sollst; und wann ihr alle wieder nach Hause zurückkehren könnt.

Ich habe meine neue Stelle als Kommunikationsdirektorin der Syrien-Krise bei World Vision vor gerade mal 26 Tagen begonnen. Die größte Herausforderung für mich ist, ein neues Licht auf die verheerende humanitäre Auswirkung dieser Krise zu werfen. Und es ist wirklich nicht einfach. Der Rest der Welt ist inzwischen müde von der andauernden, überwältigenden Not und dem Leiden - ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Es sind immer wieder die gleichen Geschichten; Familien, die Angehörige verloren haben;  Menschen, die unter Todesangst vor Kämpfen fliehen; Flüchtlinge, die in provisorischen Unterkünften schlafen; Kinder, die seit Jahren nicht mehr die Schule besuchen und Kinder, die gezwungen werden zu arbeiten oder zu heiraten, damit ihre Familie eine Chance hat zu überleben.  

Ist das Leid eines Kindes, das durch Krieg verursacht wurde, weniger wichtig als das Leid entstanden aus einer Naturkatastrophe? Haben diese Kinder etwa weniger mit der Kälte, dem Hunger und der Angst zu kämpfen?

Image: World Vision

Der 13-jährige Rheem aus Syrien sagte etwas, was mir wirklich zu Herzen ging.

“Kannst du uns ins Fernsehen bringen? Kannst du jedem von uns erzählen? Vielleicht hilft uns die Welt dann.“

Wir versuchen es, Rheem. Wir versuchen es wirklich.


World Vision reagiert auf die Syrien-Krise in Jordanien, in der kurdischen Region Iraks, im Libanon und in Syrien. Bisher haben wir etwa 2 Millionen Flüchtlinge (darunter auch Binnenflüchtlinge) erreicht und zudem die Gemeinden, die einen großen Strom an Flüchtlingen aufnehmen, mit Trinkwasser und Sanitäranlagen ausgestattet, sowie in die Gesundheitsversorgung, kinderfreundliche Unterkünfte sowie Möglichkeiten für Förderunterricht für Kinder investiert. Aber die Not ist trotzallem groß und wächst kontinuierlich. Erfahre mehr unter www.wvi.org/syria-crisis 


Übersetzt von Global Citizen, aus dem englischen von Suzy Sainovski, Kommunikationsdirektorin der Syrien-Krise bei World Vision

Editorial

Gerechtigkeit fordern

1000 Nächte fern der Heimat