Image: Sheroes’ Hangout

Das Taj Mahal mag zu den größten architektonischen Wundern der Welt gehören. Aber nur wenige Kilometer davon entfernt gibt es eine Location, der man ebenfalls ruhig Aufmerksamkeit schenken darf: ein Café genannt 'Sheroes Hangout'.

„Ich war total aufgeregt, als eine Gruppe indischer Touristen, die unser Café besuchten, mir erzählten, wie sehr sie meinen Mut bewundern" erzählt Rupa. Die 24-Jährige betreibt zusammen mit fünf weiteren Frauen das Café Sheroes Hangout. „Wir haben regelmäßig Gäste, die nicht nur allein wegen einer Tasse Tee herkommen, sondern aktiv das Gespräch mit uns suchen."

Rupa und ihre Freundinnen sind nicht irgendwelche Café-Betreiberinnen. Sie alle sind Überlebende von gewaltsamen Säureattacken. Und sie alle leben seit dem Vorfall mit starken gesundheitlichen Einschränkungen und einer sichtbar verätzten Haut. 

Eröffnet im Dezember 2014 in Agra, einer Stadt im nördlichen Teil der Provinz Uttar Pradesh, begann "Sheroes Hangout" als Crowdfunding Projekt. Ins Leben gerufen wurde es von "Stop Acid Attacks" (kurz: SAA), einer Gruppe engagierter Menschen, die sich aktiv gegen die gewaltsamen Säureattacken an Frauen einsetzen. Alle Einnahmen aus der Spendenaktion "Pay as you wish" ("Jeder gibt so viel wie er möchte") fließen in Rehabilitationsmaßnahmen für Opfer von Säureattacken in Indien. 

„Unsere Gäste sind Menschen aus der ganzen Welt, die in den Nachrichten von uns gehört haben", sagt die 22-jährige Chanchal Kumari, die ebenfalls im Café arbeitet. Auch sie wurde Opfer eines Säureangriffs im Jahr 2012, ausgeführt von einem Mann, dessen Heiratsantrag sie ablehnte. „Die Menschen kommen hier hin, weil sie von uns gehört haben und weil sie mit uns sprechen wollen. Ich schätze das sehr", sagt sie weiter. 

Image: Sheroes’ Hangout


Auch Kumari, die sich derzeit von ihrer fünften Operation zur Herstellung ihrer Gesichtszüge erholt, arbeitet zusammen mit Rupa, Ritu, Saini, Gita Mahor und Neetu Mahor. Sie alle haben in der Zeit vor der Café-Eröffnung jahrelang ein abgeschirmtes Leben zu Hause geführt, allein gelassen mit den Gedanken an ihre vernarbten Gesichter und ihre vernarbten Seelen. Über Facebook haben sie die Gruppe "Stop Acid Attacks" gefunden, die damals am "International Women's Day" im Jahr 2013 eine große Kampagne startete.

Mit Sitz in Neu-Delhi, arbeitet SAA mit Opfern von Säureattacken in Indien zusammen, in dem die Gruppe u.a. medizinische und anwaltliche Beratung zur Verfügung stellt und ihnen dabei hilft, das Trauma der Attacke zu bewältigen. Das Café Sheroes Hangout ist dabei eine von vielen Initiativen.

Säureattacken gehören zur grausamen Realität in Indien. Das "National Crime Records Bureau", eine von der Regierung ins Leben gerufene Abteilung, führt inzwischen Aufzeichnungen über Säureattacken und schätzt, dass pro Jahr mehr als 1000 solcher Attacken in Indien vorkommen. Und das sind nur die gemeldeten Attacken. Es wird vermutet, dass die Dunkelziffer weit höher liegt, da viele Attacken aus Scham, aber auch aus Angst vor einer erneuten Attacke, von den Betroffenen nicht gemeldet werden. 

SAA sammelt Daten aus dem ganzen Land und hat inzwischen Informationen von weit über 430 Überlebenden. Davon wurden mindestens 350 in den letzten 4 Jahren Opfer eines solchen Angriffs. Mit ca. 70 von ihnen steht SAA in engem Kontakt und hat diesen bereits aktiv Unterstützung geboten.

Den Daten zufolge sind 70% der Opfer weiblich. Über die Hälfte von ihnen wurde von ehemaligen männlichen Partnern attackiert. Einer der Hauptgründe für die hohe Zahl der Säureattacken in Indien ist eine fehlende gesetzliche Regelung was den Erwerb von Säure angeht. Säure ist hier frei käuflich und ein Liter kostet umgerechnet keine 50 Cent.

Gita Mahor, 44, und ihre Tochter Neetu, 28, gehören zu denjenigen, die von SAA unterstützt werden. Gita und ihre Tochter wurden vor 25 Jahren Opfer eines Säureangriffs durch den eigenen Ehemann bzw. Vater. Beide leben seitdem mit entstellten Gesichtern und eingeschränkter Sehfähigkeit. Neetus damals einjährige kleine Schwester, die bei dem Angriff neben ihr schlief, erlag den starken Verletzungen, die die Säure ihr zugefügt hatten.

Mit niemandem an ihrer Seite, der ihnen damals helfen wollte oder konnte, waren Mutter und Tochter gezwungen, weiterhin mit ihrem Peiniger zusammenzuleben. Erst als SAA einschritt, fest entschlossen, Mutter und Tochter von der tagtäglichen Angst zu befreien und ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, konnten die beiden endlich ausziehen. Inzwischen sind Gita und Neetu feste Mitarbeiter im Sheroes Hangout und servieren jeden Tag Kaffee und kleine Snacks und teilen ihre Geschichte mit den Gästen.

„Das Leben von Überlebenden der Säureattacken wird immer dann noch traumatischer, wenn sie aufgrund ihres Aussehens von der Gesellschaft verstoßen werden. Sie brauchen daher nicht nur allgemeine Unterstützung, sondern auch einen Weg, der ihr Selbstbewusstsein wieder aufbaut." sagt SAA Gründer Alok Dixit.

Ein weiteres Ziel, dass SAA mit dem Sheroes Hangout Café verfolgt, ist die Möglichkeit einer Weiterbildung. So konnte Gita mit SAA's Hilfe einen Konditorkurs in einem Hotel in Agra besuchen. Heute bringt sie ihre dort erlernten Fähigkeiten im Sheroes Hangout Café in Form von Keksen und Cupcakes ein. Neetu, die fast blind ist, nimmt inzwischen Gesangsunterricht von einem Freiwilligen aus der SAA Gruppe. 

Image: Sheroes’ Hangout


Saini, 21, war Volleyballspielerin für das indische Volleyball-Team und wurde 2012 nach einem Familienstreit Opfer einer Säureattacke durch den eigenen Cousin. Saini verlor bei dem Angriff ihr linkes Auge und kann seitdem nicht mehr an dem Sport teilnehmen. Heute arbeitet sie in dem Café.

„Seit ich SAA beigetreten bin, hat sich mein Leben grundlegend verändert. Vor allem dank der emotionalen Unterstützung, die ich erhalte, konnte ich mein Selbstbewusstsein zurückerlangen. Heute gehe ich wieder auf die Straße, ohne mein Gesicht zu verstecken. Mich interessiert es nicht mehr, was die Menschen über mein Aussehen denken."

Rupa, die von ihrer Stiefmutter mit Säure attackiert wurde, als sie 12 Jahre alt war, ist eine talentierte Schneiderin und inzwischen Amateur-Designerin für Kleidung. Die Outfits, die sie kreiert, werden im Café ausgestellt und verkauft. „Sheroes Hangout Café ist nicht nur eine Chance, unser eigenes Leben in die Hand zu nehmen und vorwärts zu gehen, sondern auch die Chance, unsere Geschichten in die Öffentlichkeit zu tragen." sagt sie.

Shikha Singh, 22, ist eine der Stammgäste im Café und kommt mindestens einmal die Woche her. „Ich hätte niemals von dem Leben der Menschen hinter diesen Attacken erfahren, wenn ich diese Mädchen und Frauen hier nicht kennengelernt hätte. Es ist großartig zu sehen, wie stark sie sind und ihre Träume verfolgen, trotz ihrer harten Vergangenheit. Ich komme auf jeden viel lieber hier hin und gebe mein Geld für Snacks hier aus anstatt bei McDonalds oder KFC. Hier weiß ich, dass das Geld einem guten Zweck zugute kommt."


Dieser Artikel stammt von Priti Salian von der Organisation TakePart. Priti Salian ist eine Journalistin aus Bangalore. Ihre Artikel erschienen unter anderem bereits im 'The Christian Science Monitor', 'Prevention' und der Zeitschrift 'The National'.
Aus dem Englischen übersetzt und angepasst von Global Citizen.

Editorial

Gerechtigkeit fordern

Überlebende von Säureattacken in Indien eröffnen ein Café der besonderen Art